Möglicherweise war es das Ende einer jahrelangen Fehde: Ein Mann stürmt in die Redaktionsräume einer Lokalzeitung und schießt um sich. Fünf Menschen sterben. Bei anderen Journalisten im Land des polternden Medienkritikers Donald Trump geht nun die Angst um.
Hatte er eine alte Rechnung offen? War es Rache? Ein bewaffneter Mann ist am Donnerstag in die Redaktion der kleinen Lokalzeitung «Capital Gazette» in der US-Stadt Annapolis eingedrungen und hat fünf Menschen erschossen. Zwei weitere wurden verletzt, vermutlich durch umherfliegende Glassplitter. Reporter des Blattes berichteten, wie sie sich unter ihren Schreibtischen verschanzten. «Ich habe nur gehofft, dass mein Telefon nicht klingelt», sagte der Journalist Phil Davis dem US-Sender CNN. Der Schütze wurde festgenommen. Die Ermittler halten ihn für einen Einzeltäter.
Eine andere Reporterin musste den Tod eines Kollegen aus nächster Nähe mit ansehen: «Ich sah nicht den Täter, aber ich sah, wie er getroffen wurde. Er ging zu Boden», sagte sie.
Nach Berichten mehrerer US-Medien handelt es sich bei dem Täter um einen 38 Jahre alten Mann aus der Region. Er fechte mit dem Blatt seit Jahren einen erbitterten Rechtsstreit aus. «Das ist das, was wir hören», sagte Polizeichef Bill Krampf dazu nur.
Polizeisprecher Ryan Frashure bestätigte jedoch: «Das war ganz offensichtlich jemand, der eine alte Rechnung mit der Zeitung offen hatte.» Es sei eine gezielte, wenngleich nicht besonders akribisch geplante Tat gewesen. Augenzeugen berichteten, wie sich der Schütze seinen Weg in Richtung der Schreibtische gebahnt hatte, wo ein Teil der Führungsmannschaft der Zeitung saß.
Genaueres muss die Polizei nun mühsam ermitteln. Der Tatverdächtige wurde unmittelbar nach dem Geschehen stundenlang verhört. Er sei nur bedingt kooperativ, hieß es von der Polizei. Seine Wohnung sei durchsucht werden. «Die Ermittlungen sind das, was nun am längsten dauern wird», sagte Krampf.
Die Polizei sei extrem schnell am Ort des Geschehens gewesen, binnen 60 Sekunden, sagte Steve Schuh von der Bezirksregierung des Anne-Arundel-County. «Die Beamten haben enormen Mut bewiesen und sind sofort ins Gebäude gegangen.» Dies habe Schlimmeres verhindert. Zufällig hatten die Einsatzkräfte erst kürzlich für solche Situationen trainiert. «Wir hätten nicht besser vorbereitet sein können.»
Die Polizeikräfte waren am Tag des Geschehens sichtlich getroffen. «Mit diesen Leuten arbeiten wir fast täglich zusammen, manche sind Freunde», sagte Krampf über das Redaktionsteam. Laut Polizeisprecher Frashure arbeiteten alle Opfer für die Zeitung. In dem Gebäude befinden sich auch andere Büros und Arztpraxen. Die Polizei brachte rund 170 Menschen unverletzt in Sicherheit.
Die Tat von Annapolis schlug unmittelbar Wellen in der Medienlandschaft der USA. In New York verschärfte die Polizei die Sicherheitsmaßnahmen für große Medieneinrichtungen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, hieß es. Auch die «Washington Post» in der US-Hauptstadt, nur eine Autostunde von Annapolis entfernt gelegen, führte striktere Sicherheitskontrollen ein.
Das Attentat von Annapolis kommt in einer Zeit, in der der Präsident der Vereinigten Staaten einen Kleinkrieg gegen Journalisten führt und seriöse Medien als «Feinde des Volkes» bezeichnet. Es gab jedoch zunächst keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Tat mit der Anti-Medien-Kampagne Donald Trumps in Verbindung stehen könnte.
Die «Capital Gazette» ist ein kleines Lokalblatt mit einer Auflage von rund 40 000 Exemplaren. Die überregionalen Nachrichten kommen von der Muttergesellschaft, der «Baltimore Sun». Die Schwesterzeitung schrieb: «Als Journalisten haben wir über mehr Todesschüsse berichtet, als wir zu zählen bereit sind. Aber jetzt hat es unsere Familie getroffen und wir spüren den Schmerz akuter, als wir uns das vorstellen konnten.»
Trump drückte umgehend via Twitter sein Mitgefühl für die Hinterbliebenen aus und verurteilte die Tat. Seine Sprecherin Sarah Sanders schrieb: «Ein gewalttätiger Angriff auf unschuldige Journalisten ist ein Angriff auf alle Amerikaner.»
Kanadas Premierminister Justin Trudeau trauerte mit den Menschen im Nachbarland. «Journalisten erzählen die Geschichten aus unseren Gemeinden, sie schützen die Demokratien, und oft genug setzen sie ihr Leben aufs Spiel.»
Die Überlebenden der Redaktion in Annapolis haben ihren Job einfach weitergemacht. Auch und gerade am Tag nach den schrecklichen Ereignissen sollte die «Capital Gazette» erscheinen.
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