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EditorialKrieg und Medien: Warum wir die Menschen nicht belügen sollten

Editorial / Krieg und Medien: Warum wir die Menschen nicht belügen sollten
Ginge es nach Ali Ruckert, würde wohl einer der bekanntesten politischen Flüchtlinge heutzutage keine Wohnung in Differdingen erhalten: Karl Marx. Foto: Editpress/Isabella Finzi

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William Howard Russell schrieb über den Krimkrieg – 1854. Warum wir im aktuellen Ukraine-Krieg genau wie vor 170 Jahren ticken.

Man verkommt zum Berufszyniker. Selbst, wenn es einen nicht alle paar Monate an irgendeine Front treibt: Jede Generation wächst mit ihrem (Massen-)Mörder auf. Tagein, tagaus bestimmt der Schlächter den Nachrichtenzyklus. Hier ein Anschlag auf ein Krankenhaus, dort wie Vieh ermordete Zivilisten – Auslandsberichterstattung als Zahlenspiel mit Toten, Krieg als Event.

Waren Reporter wie Russell Pioniere, weil sie an vorderster Front erstmals vom Schrecken erzählten, wirkt es heute bequem, so zu berichten, als reite man noch zu Pferde durch die Welt. Insbesondere der Blick auf die TV-Kanäle zeigt, dass der Friedensjournalismus vom Aussterben bedroht ist. Statt kontextorientierter Kriegsberichterstattung wird die emotionale Maschinerie so lange bedient, bis lösungsorientierte Ansätze wie Verharmlosung wirken. Das Ironische: Das ungeheure Leid, das die Ukrainer gerade erleben, wird durch diese ursprüngliche Art von Kriegsberichterstattung nicht gemindert. Im Gegenteil.

Dass wir alle von diesem Krieg überrascht wurden, ist ein systemischer Fehler. Es verrät alles über den Zustand unserer politischen und medialen Funktionsweise: Die ungeheure Fokusverengung auf Kriege als Resultat grandios vergeigter Diplomatie verbietet es einem fast, die Genese solcher Blutbäder zu erklären – es ist nicht mehr politisch korrekt. Wenn aber lösungsorientierte Kriegsberichterstattung ein Ziel hat, dann ist dies nicht weniger, als die Ursachen des Mordens zu verstehen. Denn: Wenn Bürger und Politiker sich viel zu spät für Krisengebiete interessieren, muss der Ursprung des Blutbads aufgearbeitet und analysiert werden, um den Weg für die Diplomatie zu ebnen.

Denn am Ende werden sich die testosterongeilen Streithähne auf irgendeinem „Friedengsipfel“ einigen, den Krieg einfrieren, lösen oder vor sich herschieben. Auf Kosten ihrer Zivilisten, auf Kosten ihrer Märtyrer. Und die Hinterbliebenen werden sich fragen: War es das wirklich wert? Sterben für unfähige, komplexierte Politiker, die Großmachtfantasien hinterherjagen? Oder sterben für übermütige Hobbypolitiker, die durch Social Media an die Macht gelangt sind und keinen blassen Schimmer von den Feinheiten effizienter Diplomatie haben?

Wer den vielen Menschen, die jetzt auch zu uns nach Luxemburg flüchten, weiteres Leid ersparen will, sollte ehrlich sein. Jegliches Heldentum, das eigentlich nichts anderes als die Drecksarbeit für ein Bündnis ist, das die Ukrainer nicht verteidigen kann und will, ist fehl am Platz. Wir können jeden Tag feiern, wie toll die Ukrainer die Russen in Schach halten. Das sollten wir auch: Ein Regime wie jenes von Putin, das ein Nachbarland überfällt und seine eigene Zivilgesellschaft physisch, psychologisch und rechtlich mundtot macht, gehört bekämpft. Wenn wir uns jedoch zu Chronisten des Leichenzählens degradieren lassen, gestalten wir Frieden nicht mehr mit.

Wir wiederholen dadurch nur die immer gleichen Fehler: Genauso wie wir das ungeheure Leid westlicher Großmächte im Irak und in Syrien komplett fehlinterpretierten, Terrororganisationen wie den IS nicht kommen sahen, haben wir auch die russische Invasion „royalement“ verpennt. Im syrischen Aleppo wurde wegen ähnlicher Versäumnisse rund zehn Jahre lang ein Stellvertreterkrieg in städtischer Umgebung ausgetragen. Zu was die Russen fähig sind, haben wir dort nur allzu gut gesehen. Was sich gerade in der Ukraine abspielt, ist – verzeihen Sie mir bitte die analytische Kälte – noch nichts gegen das, wozu Putins Terrorregime fähig ist. Der Luxemburger Kriegsexperte Armand Clesse bringt das „politically incorrect“ auf den Punkt – und es stimmt. Es war ein Jahrzehnt lang beobachtbar: „Aus einer objektiven Analyse: Putin und die russische Regierung halten sich bislang ziemlich zurück.“

Wollen wir die Ukrainer also auch durch die gleichen Höllenqualen wie die Syrer treiben? Lassen wir sie über Jahre in einem Guerilla-Krieg gegen ein größenwahnsinniges Regime und gegen Terroristen ausbluten? Liefern wir fleißig Waffen, helfen mit klandestinen Einsätzen und riskieren eine nukleare Auseinandersetzung? Oder tun wir das, was zum Wohle dieser Menschen ist, und lassen die Hintertür für eine diplomatische Lösung offen? In dem Fall müssen wir nämlich nicht nur den Kriegsverbrecher Putin fokussieren, sondern auch den ukrainischen Präsidenten. Dass er offenbar einsieht, dass auch sein schwammiger Umgang mit dem Minsker Friedensabkommen kontraproduktiv war, ist eine Schlüsselentwicklung. Im Gegenzug zu Sicherheitsgarantien einen NATO-Beitritt aufzuschieben, zeugt nämlich von wahrem politischen Heldentum: Im Zweifel den eigenen Gesichtsverlust in Kauf zu nehmen, um so viele Menschenleben wie möglich zu retten, ist heroischer, als in Kriegsmontur für Instagram zu posieren.

Wenn aber jeder, der sich auch nur traut, in diese Richtung zu denken, ein gottloser Waschlappen ist, tragen auch wir Berufsmoralisierer nur dazu bei, dass die Menschen nicht verstehen, was in der Ukraine passiert (ist). Dann schüren wir nur Frust und spielen all den unsäglichen Globalisierungsgegnern in die Hände, die sich sehnlichst eins wünschen: vom internationalen Kriegs-Chaos des Staatsterroristen Putin zu profitieren und Ressentiments gegen die Schwächsten zu schüren. Was üblicherweise der „fonds de commerce“ von Helden wie der ADR ist, wird dann sogar am anderen Ende des politischen Spektrums ausgeschlachtet.

Jüngstes Beispiel: KPL-Präsident Ali Ruckert. Er hat gegenüber Radio 100,7 kritisiert, dass ukrainische Flüchtlinge geplante Sozialwohnungen in Differdingen erhalten sollen. Wenn selbst Luxemburgs Kommunisten die Konkurrenz und Verteilungskämpfe am ärmsten Rande unserer Gesellschaft befeuern, sollten wir alles dafür tun, dass unsere neuen Mitmenschen schnellstmöglich wieder in ihr Land zurückkehren können, um es wieder aufzubauen: Ein rot-braunes Willkommenskomitee aus Kommunisten und Faschisten haben sie nicht verdient.

Grober J-P.
15. März 2022 - 10.23

Erklärt mer een wourun een richteg Mënschlechkeet erkennen kann, emol vun riets emol vun lénks an och aus der Mëtt.

gierenz.armand
13. März 2022 - 19.23

eine quizfrage, wo ist der kommunismus oder tiefroter sozialismus am bestens angesehen? ja genau, an alle alliy ruckerts, 68ger ode vieleicht Robert Hottuas (sorry Robert , ich habe Sie vielleicht nicht richtig verstanden ), dort wo er NIE gehaust hat.

Robert Hottua
11. März 2022 - 17.05

@ Grober :
Der Artikel aus dem "Journal" ist leider nicht mehr abrufbar. Die in dem Artikel erwähnte "Sozialreform" bestand seit 1933 aus der Folterung und Ermordung von "minderwertigen" PatientInnen des Gesundheitswesens.
https://www.aerzteblatt.de/archiv/173372/Frank-Schneider-NS-Verbrechen-und-die-Mitwirkung-der-Aerzte
MfG
Robert Hottua
Virun 80 Jor gouf den HITLER Reichskanzler
Gusty GRAAS, journal.lu, 29.01.2013
Zu Lëtzebuerg haten der dat begréisst
Den 30. Januar 1933 hat definitiv ee ganzt schwaarzt Kapitel an der rezenter Geschicht vun der Mënschheet agelaut: den HITLER war als Reichskanzler un d'Muecht komm a sollt dunn am Laf vun de Jore seng grausam Zerstéierungsmaschinerie iwwer d’ganzt Welt ausbreeden. Nom mäerdereschen Zweete Weltkrich haten der net wéineg de Naziregime veruerteelt, déi awer am Ufank d'brong Pescht wëllkomm geheescht haten!
Gäre gëtt haut nach vergiess, datt och an eisem Land d'Muechtergräifung vum fréieren éisterräichesche mëttelméissege Moler als ee gutt Rezept géint d'Problemer vun der Zäit duergestallt gouf. Autoritéitsdenken an antidemokratesch Tendenzen waren duerch d'Weltwirtschaftskris ausgeléist ginn an och Lëtzebuerg war vun dëser Entwécklung, virun allem nom 30. Januar 1933, net verschount ginn.
Besonnesch an der "Rietspartei", de Virleefer vun der heiteger CSV, an an hirem Ëmfeld hat sech Sympathie fir déi Tendenze bemierkbar gemaach. Der Partei war et och ëm d'Lous vun der däitscher Zentrumspartei gaang, déi de 24. Mäerz 1933 an der Krolloper zu Berlin dem ëmstriddenen Ermächtigungsgesetz zougestëmmt hat.
Stramm Téin aus dem "Luxemburger Wort"
D’"Lëtzebuerger Wort" sengersäits hat net mat senger Meenung hannert dem Bierg gehalen. Ganz graff huet et den 28. Abrëll 1933 an dëser Zeitung geklongen: "Um eine Sozialreform durchzuführen, wie HITLER sie plant, muss erst die Masse aus der psychosenhaften Denkart herausgerissen werden, in der sie der Liberalismus und Sozialismus durch jahrzehntelange Bearbeitung hineinverstrickt haben. Der Aufruf von Dr. GOEBBELS ist in diesem Sinne programmatisch und sogar psychologisch gut. Methodisch und gedanklich gibt es kein besseres Kampfmittel gegen den Sozialismus."
* (und um überhaupt eine Sozialreform im christlichen Sinne zu verwirklichen)
Den 13. Mee 1933 (13. März laut ROEMEN) konnt een weider an der Zeitung liesen "dass in mancher Hinsicht der Faschismus und Nationalsozialismus uns sympathischer sind als Liberalismus und Sozialismus, weil sie gewissen Naturrechten weniger zuwider sind als sie."
Mä och an der "Luxemburger Zeitung", de Sproochrouer vun der Stolindustrie an de Verteidiger vun der radikalliberaler Politik, goufe gelungen Artikel publizéiert. D'Arbed-Zeitung hat just Interessi un der Wirtschaftspolitik vun den Nazis.
Am Hierscht 1933 krut dunn d'Polemik ëm den Nationalsozialismus hei am Land neit Gewiicht, wéi de Jean-Baptiste ESCH Virschléi fir eng Statsreform ënnerbreet hat. De Wort-Redakter a Geeschtlechen ESCH, dee spéider am KZ säi Liewe gelooss hat, war ee grousse Verfechter vun engem staarken antiparlamentaresche Stat an netchrëschtlech Parteien haten a sengem Weltbild keng Plaz.
Esou Astellungen hu selbstverständlech an de liberalen a lénke Kreeser fir gepeffert Reaktioune gesuergt. D'Aarbechterpartei hat esouguer zwou Interpellatiounen zum Naziregime an der Chamber gemaach. An der Sëtzung vum 15. November 1933 hat de Jean ORIGER - och hien sollt am KZ ëmkommen - amplaz vum deemools scho kranke Präsident vun der "Rietspartei" Eugène DONDELINGER reagéiert an all Virwërf vu Sympathie fir de Nationalsozialismus an de Faschismus zréckgewisen.
Liberaler géint hir eege Prinzipien
Haut gëtt dës quasi Vergötterung vum Faschismus mat der Begrënnung erkläert, d'Wiese vum Nationalsozialismus wier zu dem Zäitpunkt net richteg erkannt ginn an d'Angscht virum Kommunismus wier immens grouss gewiescht, obwuel an den Artikelen den Terme Sozialismus gebraucht ginn ass.
Bei Deelwalen 1934 haten d'Kommunisten ee klengen Erfolleg verbucht, wat dozou gefouert hat, datt d’"Rietspartei" an de Kommunisten eng méi grouss Gefor gesinn hat wéi déi riets Diktature vum HITLER a MUSSOLINI, woubäi een awer haut Problemer huet esou eng Interpretatioun nozevollzéien.
De BECH hat jo dunn de 9. November 1933 ugekënnegt een Ordnungsgesetz auszeschaffen, wat zum berühmten "Maulkuerfgesetz" gefouert huet a schliisslech de 6. Juni 1937 zu engem Referendum.
Och déi Liberal hate mat hirer neutraler Haltung zu de Nazie fir Onverständnis gesuergt. Si wollten déi wirtschaftlech Bezéiunge mat Däitschland net a Fro stellen. Dës Positioun hat dozou gefouert, datt si sech net géint de Faschismus gewiert haten, well se an der Doktrin ee Verbündeten géint de Kommunismus gesinn haten. Et war also kee Wonner, datt hir Mandatären an der Chamber fir "d’Maulkuerfgesetz" gestëmmt haten.
Verschidde Kreeser hate sech awer kloer géint de Faschismus ausgeschwat, wéi zum Beispill déi liberal-sozialistesch Studentebewegung "ASSOSS", déi an hirem Organ "La voix des jeunes" virun der bronger Gefor gewarnt hat. Mat hirem Präsident Henri KOCH-KENT un der Spëtzt hat d’"ASSOSS" och mobil géint dem BECH säin Ordnungsgesetz gemaach.
D'Fro, déi sech réckbléckend stellt, ass natierlech déi, ob net an den 30er Joren eng méi konsequent Antinazi-Haltung vun der "Rietspartei", der kathoulescher Kierch a vu verschiddene Liberalen d'Land méi staark a senger spéiderer Resistenz gemaach hätt an d'Zuel vu Kollaborateure méi kleng gehalen hätt? Lëtzebuerg war jo och dat eenzegt besate Land, wou een d'Nationalitéit wéinst Kollaboratioun verluer hat. Et waren 1.332 Persounen, dovun 800 Lëtzebuerger d'origine.
Bibliographie:
ROEMEN Rob, "Aus Liebe zur Freiheit", 1995.
TRAUSCH Gilbert, "CSV - Spiegelbild eines Landes und seiner Politik", 2008.
URL : https://www.journal.lu/top-navigation/article/virun-80-jor-gouf-den-hitler-reichskanzler/
(Gusty GRAAS, 29.01.2013)

HTK
11. März 2022 - 14.24

@Romain,
ich bezweifle ob der Sozialismus und Kommunismus irgendetwas mit Menschlichkeit zu tun haben.Auch wenn der Kapitalismus seine Mängel hat,von hier aus kann man leicht meckern,sprich: Mit vollem Magen redet es sich leichter über den Hunger.

Grober J-P.
11. März 2022 - 10.26

Neue Ergüsse von H. Robert. Ist das nun Poesie? Bin nicht gebildet genug um das zu verstehen, bitte um Nachhilfe.
H. Sabharwal verstehen Sie was er meint?

Romain C.
11. März 2022 - 10.10

Die Diktatur des Kapitalismus lässt die Menschlichkeit zum Verlierer werden.

J.C. Kemp
10. März 2022 - 22.10

Das populistische, Wählerstimmen erheischende Gebaren der 'Kommunisten' um die einheimischen Wohnungssuchenden ist ruckelzech. Der Vorsitzende sollte doch gleich zugeben, dass Stalins, verz. Putins Angriff gerechtfertigt war.

Robert Hottua
10. März 2022 - 18.05

Seit 1933 gab es in Luxemburg ein schwarz-braunes Willkommenskomitee. Aus dieser journalistisch gesicherten Tatsache heraus sind alle (Verschwörungs)theorien plausibel. Der luxemburgische schwammig-verlogene Umgang mit stählernen Bombengeschäften, obskuren Bombenlegeraktivitäten und mit einer arisch-rassistisch-rassenhygienischen pseudo-medizinischen Terrorideologie darf auch von Ihnen, Herr Sabharwal, nicht länger tabuisiert werden! Das luxemburgische Schweigen über diese fatalen Wirkzusammenhänge ist eine zynisch-unkontrollierbare Lüge, auch den Flüchtlingen gegenüber. Frösche darf man nicht mit der Trockenlegung eines Sumpfes beauftragen.
MfG
Robert Hottua

H.Horst
10. März 2022 - 17.47

Putin hat den Krieg schon verloren. Medial, wirtschaftlich und politisch. Ob er irgendwann irgendetwas wie einen militärischen Sieg erringt ist eigentlich völlig egal. Dieser Krieg wirft Russland 30 Jahre zurück.