Italien fast geschlossenKontrollen beim Spaziergang, Ratlosigkeit bei Betrieben

Italien fast geschlossen / Kontrollen beim Spaziergang, Ratlosigkeit bei Betrieben
Venedig wird desinfiziert Foto: AFP/Marco Sabadin

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Das in Europa vom Coronavirus meist betroffene Italien weitet seine Sicherungsmaßnahmen aus. In einem neuen Dekret gab Premier Giuseppe Conte die Schließung weiterer Bereiche des gesellschaftlichen Lebens bekannt. Die Restriktionen sollen sozial abgefedert werden, doch viele Unternehmen sind auf die Situation nicht vorbereitet.

Außerhalb Asiens ist Italien von der neuen Atemwegserkrankung Covid-19 weltweit am meisten betroffen. Das Virus Sars-CoV-19 breitet sich rasant aus: Waren es (nach Angaben der Protezione Civile) am 24. Februar noch 224 Fälle mit sieben tödlichen Ausgängen, so hatte sich die Zahl der Infizierten eine Woche später bereits vervierfacht. Aktuell meldet man aus dem Bel Paese eine Fallzahl von 10.590, 827 vorwiegend ältere Menschen oder Patienten mit Vorerkrankungen starben an der Infektion.

Für die Regierung in Rom Grund genug, die ohnehin schon restriktiven Maßnahmen noch einmal zu verstärken. Ministerpräsident Giuseppe Conte verfügte am Mittwoch ein Dekret, nach dem das Geschäftsleben im gesamten Land Schritt für Schritt stillgelegt wird. In einer Fernsehansprache appellierte Conte an die Bevölkerung, die Restriktionen zu beachten, damit „wir uns bald wieder umarmen können“.

Geliebte Bar geschlossen

Betroffen von den jetzt ergriffenen Maßnahmen sind vor allem jene Geschäfte und Orte, an denen sich Menschen in kleinerer oder größerer Zahl treffen. Dazu gehören neben Sportveranstaltungen und Messen auch Theater- und Konzertsäle, Museen und Ausstellungen, aber auch jegliche Restaurants, Pubs und Bars. Weder der morgendliche Espresso noch der abendliche Aperitif in der geliebten Hausbar kann konsumiert werden. Geschlossen sind auch Frisör- und Ästhetikbetriebe, Bekleidungsgeschäfte und solche für Kurzwaren.

Auf den allerorten beliebten Wochenmärkten dürfen laut Dekret nur die Stände ihre Waren anbieten, die mit Obst und Gemüse oder sonstigen Lebensmitteln handeln. Alle anderen – so Bekleidung, deren Handel zumindest in der Toskana oft von Chinesen betrieben wird – müssen derzeit zu Hause bleiben. Die Verordnung gilt bislang bis zum Ende des Monats. Sollten sich die Fallzahlen weiterhin exponentiell steigern, dürften weitere Einschränkungen erforderlich werden.

Nicht betroffen indes sind Supermärkte, Lebensmittelgeschäfte und Bäckereien. Auch dürfen Geschäfte, die Hygieneartikel und Waschmittel, Elektronik und Kommunikationsmittel, Kleintierfutter und Heizmittel anbieten, weiterhin geöffnet bleiben. So auch Apotheken und Drogerien. Erlaubt ist ferner der Internethandel. Geöffnet bleiben Bank- und Postschalter, wenngleich auch mit reduzierten Öffnungszeiten.

Betriebe unvorbereitet

Mancherorts wird Kritik an den Ausnahmeregelungen geäußert. Sie weichten die beabsichtigte Isolation möglicher Betroffener auf und böten immer noch ausreichenden Spielraum zur weiteren Kontaminierung mit dem neuen Virus. Zusätzlich zur Schließung vieler Geschäfte sieht das neue Dekret allerdings auch weitere Einschränkungen der Bewegungsfreiheiten vor. Mussten sich bislang Autofahrer mit einem Zertifikat ausweisen, das die Notwendigkeit ihrer Fahrt – so zum Arbeitsplatz oder zum Einkaufen notwendiger Lebensmittel – begründete, so können Polizei und Sicherheitskräfte diese Dokumente nun auch von Fußgängern abfordern. Noch sind Spaziergänge erlaubt, doch es erging bereits die Aufforderung an die Bevölkerung, diese auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Mit dem neuen Dekret geht eine weitere Einschränkung der Arbeitswelt mit sich. Wer irgend kann, soll seine berufliche Tätigkeit per Home-Office ausüben. In den Industrie- und Handwerksbetrieben werden Schichten mit dem gerade erforderlichen Personal gefahren. Die Regierung plant Hilfsmaßnahmen wie die Erhöhung von Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld, Zahlungen, die in Italien jedoch ohnehin spärlich ausfallen und kaum zum Lebenserhalt dienen. Viele Betriebe sind auf die neue Situation überhaupt nicht ausreichend vorbereitet. Starke Umsatzeinbußen bringen die Unternehmen in desolate Situationen, die an den Rand von Insolvenzen führen. Drastische Einbußen sind in der Tourismusbranche zu verzeichnen, die Buchungen für die diesjährige Sommersaison sind stark rückläufig, regional rechnet man mit Ausfällen bis zu 70 Prozent.

Da bislang landesweit noch keine Reduzierung von Neuinfektionen zu beobachten sind, darf in den kommenden Tagen mit weiteren Einschränkungen gerechnet werden. Die Börse in Mailand verlor am Donnerstagmittag erneut 4,99 Prozent, der Spread italienischer und bundesdeutscher Anleihen stieg auf 210 Punkte. Mit Sorge beobachtet man hier, dass auch das Frankfurterparkett um 5,96 Prozent einbrach.