An diesem Freitag hingegen wird nicht gefeiert – das gebietet schon die Pietät. Denn natürlich ist der erste Jahrestag der Regentschaft von Charles Philip Arthur George Windsor auch der erste Todestag seiner geliebten Mutter Elizabeth II., weltweit nur als The Queen bekannt. The Queen is dead, long live the King! Nach diesem Grundsatz vollzog sich vor Jahresfrist der Übergang von der am längsten auf dem Thron verweilenden Monarchin, im gesegneten Alter von 96 Jahren laut Sterbeurkunde an „Altersschwäche“ gestorben, zu ihrem Ältesten, dem am längsten amtierenden Prinzen von Wales in der britischen Geschichte.
Nach der unausweichlichen Logik der Erbmonarchie war Charles III. von einer Minute auf die andere das Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland sowie bis heute 14 weiterer Staaten rund um die Welt. Mögen jene, wie beispielsweise Australien oder Jamaika, mehr oder weniger konkrete Pläne hegen, diese Verbindung zum einstigen Mutterland abzuschütteln – im ersten Amtsjahr musste Seine Majestät diese Peinlichkeit noch nicht durchleben.
Das liegt nicht zuletzt an seiner untadeligen Amtsführung. Dass der König seinen Leidenschaften – dem Recycling wie dem Umwelt- und Klimaschutz allgemein, der Aufrechterhaltung von Tradition in Architektur und Landwirtschaft – nicht mehr so frei würde nachgehen können wie als Thronfolger, hat Charles gleich zu Beginn seiner Regentschaft öffentlich zu Protokoll gegeben. Das sollte zugleich jenen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, die ihm die Rolle des neutralen, über allem parteipolitischem Streit stehenden Staatsoberhauptes nicht zutrauten.
„Jahr des Übergangs“
Die teils erhofften, teils befürchteten Veränderungen im Königshaus sind im ersten Amtsjahr von König Charles ausgeblieben. Strikt hat sich der König an die Weisungen der Regierung gehalten, wie es seiner verfassungsmäßigen Stellung entspricht. Wie von der Regierung gewünscht reiste er nicht zum UN-Klimagipfel COP nach Ägypten, wohl aber im März auf den Kontinent, wo er die Deutschen mit wohlgesetzten Reden und charmanter Freundlichkeit entzückte; noch in diesem Monat sollen die Franzosen in den Genuss royalen Glamours kommen, nachdem der ursprüngliche Termin an Massenprotesten gescheitert war. Im Oktober geht die Reise nach Kenia, einen der 56 Staaten, die zum englischsprachigen Commonwealth gehören.
Das Bündnis bedürfe erheblicher Streicheleinheiten durch die britischen Royals, konstatieren jene, die sich professionell mit der kuriosen Gemeinschaft aus ganz Großen (Indien, 1,3 Milliarden Einwohner) und Winzigen (Tuvalu im Südpazifik, 50.000) beschäftigen. Da reichen die vielfältigen Gesten nicht aus, die anlässlich der Krönung im Mai auf die alten Verbindungen hinwiesen. Es müssen schon Besuche vor Ort sein – und manch Kommentator wunderte sich darüber, dass King und Queen Camilla nicht schon längst eine derartige Reise unternommen haben.
Vielleicht nahmen die Einzelheiten der prunkvollen Krönung, über denen Seine Majestät dem Vernehmen nach sehr lang und nicht immer mit dem gleichen Ergebnis brütete, doch allzu viel Zeit und Energie in Anspruch? Jedenfalls ist vieles liegengeblieben im ersten Amtsjahr, das der Palast von Beginn an als „Jahr des Übergangs“ gekennzeichnet hatte. Uneinig sind sich die Auguren der Londoner Medien in der Frage, ob der 74-Jährige ein „König des Übergangs“ (Sunday Times) oder doch ein „aktiver Veränderer“ (Daily Telegraph) sein will und kann.
Die Frage lautet also: Kommt da noch was an Veränderung? Oder bescheidet sich der Herr im Pensioniertenalter mit der Rolle des Platzhalters für seinen mittlerweile auch schon 41 Jahre alten Sohn William und übergibt diesem nach einem angemessenen Zeitraum – zehn Jahre, vielleicht 15 – ein einigermaßen geordnetes Haus?
Er benimmt sich, als stünden ihm nur wenige Jahre zur Verfügung, um all seine Vorstellungen zu verwirklichen
Bei letzterer Frage runzeln die Charles-Kenner die Stirn. Eine Abdankung, wie sie in den Königshäusern des Kontinents gang und gäbe ist? Immerhin hat der König nicht wie seine Mutter als junges Mädchen das Trauma der Monarchiekrise durchlebt, das der vorzeitige Thronverzicht von Edward VIII. 1936 hervorrief. Und dennoch gilt bei den Windsors weiterhin der Grundsatz: „Man stirbt in den Sielen“ – daran wolle sich auch Charles halten, glaubt seine Biografin Catherine Mayer.
Selbst dann bleiben ihm und seiner 76-jährigen Gattin Camilla nicht mehr sehr viel Zeit, als notwendig erkannte Neuerungen durchzusetzen. Die Ungeduld des Monarchen, die sich vergangenen September in manchen Frustsituationen mit schlecht funktionierenden Stiften zeigte, habe eine tiefere Ursache, glaubt Buchautor Valentine Low („Courtiers“): „Er benimmt sich, als stünden ihm nur wenige Jahre zur Verfügung, um all seine Vorstellungen zu verwirklichen.“
Arbeit hinter den Kulissen
Woraus solche Pläne bestehen? Selbst die Charles-Gläubigen müssen einräumen, dass es mit den Veränderungen bisher nicht weit her war. Sie beschränken sich deshalb, wie Royals-Expertin Victoria Ward vom überaus königstreuen Telegraph, auf die Versicherung, „hinter den Kulissen“ werde schon eifrig an Neuem gebastelt.
Das kann man beruhigend finden oder für eine Selbstverständlichkeit halten. Die Monarchie muss, will sie überleben, mehr oder weniger reibungslos gesellschaftliche Veränderungen nachvollziehen. Darauf dürfte nicht zuletzt Prinz William den Vater immer wieder mahnend hinweisen.
Früher kam es bei Königs deshalb gern einmal zu heftigen Auseinandersetzungen der Generationen. Legendär sind etwa die Zerwürfnisse im 18. Jahrhundert zwischen den Königen namens George und ihren jeweiligen Erbsöhnen. Heutzutage kann von echten Konflikten nicht die Rede sein, wiewohl Spitzfindige natürlich im einen oder anderen Artikel der einschlägigen Blätter die jeweiligen Meinungen des Palastes von Kensington (William und Kate) oder Buckingham (Charles und Camilla) wiederfinden.
Apropos Buckingham-Palast: Das ist – im konkreten wie im übertragenen Sinn – eine der Großbaustellen von Charles’ Amtszeit. An dem gewaltigen Gebäudekomplex mit seinen 775 Zimmern basteln die Bauleute seit beinahe einem Jahrzehnt, für die Kosten von 369 Millionen (430 Millionen Euro) wurde 2016 eigens die royale Apanage kräftig angehoben. Wenn in nicht mehr allzu großer Ferne die Renovierungen abgeschlossen sein werden, kehrt die Frage mit Macht zurück: Wie gehen wir um mit dem als Wohnort ungeliebten, als Symbol der Monarchie aber unverzichtbaren Palast?
Die Probleme Harry und Andrew
Zwei andere Probleme haben sich in den vergangenen Monaten kaum verändert. Sie tragen die Namen Harry und Andrew. Für Charles’ baldige Versöhnung mit seinem entfremdeten, nach Kalifornien emigrierten Zweitgeborenen gibt es einstweilen keinerlei Anzeichen, zu verhärtet wirken die Fronten. Der 38-jährige Prinz Harry und seine Frau Meghan haben auf der Insel viel an Sympathie eingebüßt, auch in Amerika ist das Interesse an ihnen abgeflaut.
Hingegen scheint der Skandal um Charles’ jüngeren Bruder Andrew und dessen langjährige Freundschaft mit verurteilten Sexualverbrechern noch längst nicht ausgestanden. Jedes Zeichen einer Rehabilitierung des Herzogs von York wird von Londoner Medien wie Guardian empfindlich registriert. Da reicht es schon, dass sich der 63-Jährige kürzlich von seinem Neffen William zum Gottesdienst nahe Balmoral kutschieren ließ. Die Teilnahme am Get-together im Sommerschloss rund um den Todestag ihrer Mutter konnte der König dem Bruder schlechterdings nicht verweigern. Was aber auf Dauer anfangen mit dem Mann, der weiterhin nach royaler Beschäftigung lechzt? Auch diese Frage bleibt unbeantwortet.
Geldspenden aus Saudi-Arabien
Wenigstens bleibt auf die Königstreue der Engländer und ihrer Institutionen allemal Verlass. Zuletzt stellte das wieder einmal Scotland Yard unter Beweis. Enge Berater des damaligen Thronfolgers hatten nach unbestrittenen Recherchen der Sunday Times hohe Geldspenden eines saudischen Geschäftsmannes entgegengenommen und dafür gesorgt, dass dieser den Orden eines Kommandeurs des Britischen Empire ehrenhalber erhielt, was mindestens gegen den Kodex von Staatsbediensteten, womöglich sogar gegen Strafrechtsparagrafen verstieß. Charles selbst bestritt jede Kenntnis des Deals, sein langjähriger Mitarbeiter Michael Fawcett musste zurücktreten.
Kürzlich hat die Londoner Kriminalpolizei das diesbezügliche Ermittlungsverfahren sang- und klanglos eingestellt. Hingegen untersucht die schottische Aufsichtsbehörde für Wohlfahrtsorganisationen weiterhin einen vergleichbaren Deal, in den ebenfalls die Prince’s Foundation verstrickt ist. Ohnehin scheint die Begeisterung fürs Monarchische in den kleineren Regionen des Landes deutlich weniger ausgeprägt zu sein als im dominierenden England.
Freilich haben Charles und Camilla bei Auftritten in allen Landesteilen zwar selten Begeisterung, aber doch freundliche Anteilnahme erlebt. Ob sie durch stetige, unauffällige Arbeit auch einmal den ungeteilten Respekt, welcher der verstorbenen Queen zuteilwurde, genießen können? Die nächsten Amtsjahre werden es zeigen.
Außer Spesen nix gewesen. Die Engländer lieben es verarscht zu werden.