Der starke Mann Marokkos, der alle Macht in seiner Person zentralisiert hat, lehnte – mit einigen Ausnahmen – weitreichende internationale Hilfe nach dem verheerenden Erdbeben ab. Dabei sind die nationalen Rettungskräfte mit der Suche nach Überlebenden völlig überfordert. Für viele Menschen unter den Trümmern dürfte die Hilfe zu spät kommen.
Schon Stunden nach den schweren Erdstößen in der Nacht zum Samstag gingen im Palast des 60-jährigen Herrschers Beileidsbekundungen und Hilfsangebote aus aller Welt ein. Doch Mohammed, der seit 1999 sein Land mit strenger Hand führt, schwieg. Inzwischen weiß man, dass sich der König, laut Verfassung der weltliche und religiöse Führer des Landes, gar nicht in seinem Palast in der Hauptstadt Rabat befand, sondern sich, wie so oft, in seiner Luxus-Residenz in Paris aufhielt.
Erst mit einem Tag Verspätung gab es ein indirektes Lebenszeichen von Marokkos Monarchen, der inzwischen in die Heimat zurückflog: Der Palast veröffentlichte eine Erklärung des königlichen Kabinetts, in dem mitgeteilt wurde, dass „Ihre Majestät“ angeordnet habe, den Erdbebenopfern zu helfen. Zudem bedankte sich Mohammed in dieser Mitteilung für die internationale Solidarität und die Angebote, bei der Bergung von Opfern zu kooperieren. Dann herrschte wieder einen Tag Stille – während in Dutzenden zerstörten Dörfern die Menschen starben.
Zwei Tage nach der Katastrophe kam schließlich aus dem Palast eine überraschende Abfuhr für die internationalen Hilfsorganisationen, die in ganz Europa bereits auf gepackten Ausrüstungskisten saßen und auf grünes Licht aus Rabat warteten: „In diesem Moment“ sei massive ausländische Hilfe nicht sinnvoll, ließ Mohammed über sein Innenministerium verlauten. Warum? „Weil ein Mangel an Koordination kontraproduktiv sein könnte“, heißt es in dem Kommuniqué weiter.
Verzweiflung und Wut der Menschen wächst
Eine Ausnahme machte Rabat lediglich für vier Hilfsangebote: Rettungsteams aus Spanien, Großbritannien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten durften inzwischen einreisen. Doch auch diese – sehr klein dimensionierte – internationale Hilfe dürfte für die meisten Verschütteten zu spät kommen. Die Erfahrung lehrt, dass es nach 72 Stunden unter Trümmern nur wenig Hoffnung gibt, Überlebende zu finden.
Unterdessen wächst in den am schlimmsten betroffenen Bergdörfern im Süden und Westen der Touristenhochburg Marrakesch die Verzweiflung und die Wut der Menschen, die sich von Staatschef Mohammed und seiner ihm unterstehenden Regierung im Stich gelassen fühlen. In den offiziellen Medien Marokkos, die weitgehend vom Königshaus kontrolliert werden, lobt man derweil die „heldenhaften Anstrengungen“ des nationalen Militärs, das vom König mobilisiert wurde.
Aus der Katastrophen-Provinz Al Haouz, in der eine halbe Million Menschen leben und in der das Epizentrum dieses apokalyptischen Erdbebens lag, werden währenddessen über die sozialen Netzwerke Notrufe an die Welt gesendet: Per Video berichtet ein Mann namens Mustapha über die Lage in seinem Dorf Tazolt und in den Nachbarorten: „Viele Menschen liegen noch unter den Trümmern. Deswegen ist die Zahl der Toten sehr viel größer als bisher bekannt. Einige Dörfer wurden völlig zerstört – ohne dass es dort noch Anzeichen von Leben gibt.“
König glänzt durch Desinteresse
Nach den neusten Angaben des marokkanischen Innenministeriums wurden bis zum Montag 2.497 Tote geborgen – davon 1.452 in der Provinz Al Haouz. Zudem gebe es mehrere tausend Verletzte. Die Opferzahlen dürften in den nächsten Tagen weiter steigen. „Noch immer sind mehrere Dörfer im Atlas-Gebirge von der Außenwelt abgeschnitten und warten auf Rettungskräfte“, meldet die marokkanische Nachrichtenseite Hespress.
„König Mohammed muss uns Hilfe schicken“, bitten Dorfbewohner im französischen TV-Sender TF1. Doch Mohammed scheint all dies kaum zu berühren. Er zeigt bisher wenig Anzeichen von Anteilnahme am Schicksal seiner 37 Millionen Untertanen. Viele Marokkaner werfen ihrem allmächtigen Herrscher – wenn auch aus Angst vor Repressalien nur hinter vorgehaltener Hand – schon lange vor, besonders durch Abwesenheit und Desinteresse zu glänzen.
Die angesehene französische Online-Zeitung Mondafrique bringt dieses Gefühl mit einer Karikatur auf den Punkt. In der Satirezeichnung informiert ein Diener den König mit den Worten: „Majestät! Das Königreich ist durch ein schweres Erdbeben erschüttert worden.“ Mohammed, der neben einer Flasche mit Alkoholischem am Fenster steht, antwortet: „Ach wirklich? Ich habe davon nichts gemerkt!“
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