Die Überschwemmungen im Osten und im Zentrum des Landes können durch den Klimawandel erklärt werden – zumindest zum Teil. Das Tageblatt sprach mit dem Luxemburger Klimatologen Andrew Ferrone.
Von René Hoffmann
Tageblatt: Eine persönliche Frage zuerst: Was haben Sie lieber: wenn es kalt oder wenn es warm ist?
Andrew Ferrone: Den Frühling mag ich nicht so, wegen der Allergien (grinst). Ansonsten hat jede Jahreszeit ihren Reiz. Ich bin kein Freund von großer Hitze. Ich liebe das Skifahren, auch wenn ich nur noch selten dazu komme. Allgemein bevorzuge ich einen guten Mix zwischen warm und kalt.
Die Erde wird wärmer. Die Reaktion auf diese Entwicklung sind die sukzessiven Klimaabkommen. Nun wird oft kritisiert, es handele sich dabei um «zahnlose Tiger». Wie sehen Sie das?
Das Klimaabkommen von Paris hat ein Problem. Es sieht keine Sanktionen vor. Ansonsten handelt es sich um ein gutes Dokument, u.a. weil sich quasi alle Staaten dazu verpflichtet haben, etwas für den Klimaschutz zu tun – auch wenn sich die USA jetzt aus dem Abkommen zurückziehen wollen. Kein anderes Land ist ihrem Beispiel gefolgt. Das ist gut. Es geht aber nicht nur um den Vertrag. In den Kulissen wurden und werden immer noch Gespräche geführt, u.a. auf regionaler oder kommunaler Ebene. Auch mit der Industrie wird weiter diskutiert. Das Abkommen hat eine Dynamik entwickelt, die stärker wird. In diesem Sinne ist es kein «zahnloser Tiger».
Oft wird behauptet, das Wetter spiele verrückt und das sei früher nicht so gewesen. Teilen Sie diese Meinung?
Das Klima hat sich immer gewandelt. Bei der letzten Eiszeit war es global nur 4 Grad kälter als heute. Das Abkommen von Paris sieht vor, die Erderwärmung bis 2100 nicht mehr als 2 Grad steigen zu lassen. 1 Grad haben wir jetzt aber bereits erreicht. Im Worst-Case-Szenario werden wir 2040 bis 2050 die 1,5-Grad-Marke überschreiten. Alles hängt aber von den Maßnahmen ab, die entschieden werden. Wir führen seit 1838 Messungen hierzulande durch. Die Station auf dem Findel nahm ihren Betrieb 1947 auf. Wetterrekorde gab es immer schon, beim Regen und den Temperaturen. Was seit einigen Jahrzehnten jedoch neu ist, ist die Häufung der Extremereignisse bei den Niederschlägen. Beim Gesamtniederschlag kann man keinen klaren Trend erkennen, bei den Temperaturen schon. So wurde seit den 1970er Jahren eine durchschnittliche Temperaturerhöhung von etwa 1 Grad festgestellt.
Wann kommt die nächste Eiszeit auf uns zu?
Da gibt es verschiedene Aussagen. Einige glauben, dass sie in ungefähr 10.000 Jahren kommt, andere aber sind der Auffassung, dass sie überhaupt nicht eintreten wird. Sie argumentieren, dass viele Faktoren für eine Eiszeit erfüllt sein müssen. Durch die aktuelle Erhöhung der Treibhausgase würde dies aber nicht der Fall sein. Der Klimawandel hört aber nicht auf. U.a. der Anstieg des globalen Meeresspiegels geht weiter. Seit 1900 ist das Niveau um 15 bis 20 Zentimeter gestiegen. Je nach Szenario wird der Pegel bis 2100 zwischen 40 Zentimeter und mehrere Meter weiter steigen. Das stellt Länder, wo ein großes Flussdelta ist, und Inseln vor große Probleme.
Was sind aber nun die Hauptgründe für den Klimawandel?
Da sind z.B. die Orbit-Parameter der Erde, die sich über Tausende von Jahren verändern. 90 Prozent des aktuellen Klimawandels gehen auf den Menschen zurück. Er ist für die Erhöhung der CO2-Werte und anderer Treibhausgase verantwortlich. Den Treibhauseffekt gab es immer schon, wir verstärken ihn nur seit circa 150 Jahren. Der Wasserdampf ist wichtig für den Treibhauseffekt, ohne den es kein Leben gäbe. Die menschlichen Emissionen an Wasserdampf sind aber problemlos, weil sie sich schnell verflüchtigen. Andere Gase, wie z.B. CO2, bleiben jedoch über mehrere 100 Jahre in der Atmosphäre. Der Klimawandel bleibt natürlich nicht ohne Folgen z.B. für die Artenvielfalt, die Lebensräume der Tiere und Insekten, die Fruchtbarkeit der Böden, die Flüsse oder gar die Vermehrung von Krankheitserregern.
Wie steht es um das Ozonloch?
Das Ozonloch ist nicht direkt mit dem Treibhauseffekt verbunden. Es entstand durch verschiedene Gase u.a. aus Geräten wie Kühlschränke oder Klimaanlagen. Sie bleiben lange in der Atmosphäre und reagieren dort mit dem Ozon, das abgebaut wird. Die Folge: eine lokal stark geminderte Ozonschicht. In den letzten Jahren erholt sich das Ozonloch aber wieder, u.a. wegen der Herstellung von Geräten, die weniger Gase ausstoßen, die das Ozon auflösen. Das Loch könnte sich aber schneller schließen, wäre da nicht der globale Klimawandel.
Die Umweltbilanz von Elektroautos oder großen Schiffen wirft in letzter Zeit viele Fragen auf …
Bei den Elektroautos handelt es sich keineswegs um Null-Emissions-Fahrzeuge. Bei der Herstellung und der Entsorgung der Batterien wird CO2 ausgestoßen. Alles hängt außerdem von der Größe des Wagens ab, der Kilometerzahl, die man absolviert, dem Hersteller und vor allem dem Strom, mit dem man das Fahrzeug betreibt. Ist es kein grüner Strom, ist die Umweltbilanz schlechter. Die Dampfer und Containerschiffe sind CO2-Schleudern. Im Vergleich zu Lkws ist ihre Umweltbilanz aber besser, weil sie viel mehr Waren transportieren können. Sie sind für nur 2 bis 3 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Flugzeuge bleiben die größten Verschmutzer. Sie benötigen viel Energie beim Start und um in der Luft die hohe Geschwindigkeit zu halten. Wenn ein Flieger voll besetzt ist und nur weite Strecken fliegt, z.B. von hier aus nach China, liegt seine Umweltbilanz im Bereich der eines Autos. Viele Flüge sind aber kürzer und nicht immer voll ausgelastet.
Der Klimawandel ist ein globales Phänomen. Was kann das kleine Luxemburg tun?
Wenn wir das einzige Null-Emissions-Land wären, würde das nichts bringen. Durch das Abkommen von Paris kann aber etwas bewegt werden. Und da muss das Großherzogtum seinen Beitrag leisten.
Unsere Klimabilanz ist aber nicht gut. Woran liegt das?
Einer der Gründe ist der Tanktourismus. Er verfälscht die Daten. Auch sind hierzulande mehr größere Fahrzeuge unterwegs als woanders und wir benutzen unsere Autos viel, um kurze Strecken zurückzulegen.
Was kann jeder von uns gegen den Klimawandel tun?
Kleine Änderungen des eigenen Lebensstils können viel bewirken. Moderne Haushaltsgeräte, die weniger Strom verbrauchen, umweltfreundlichere Kühlschränke, die Nutzung des öffentlichen Transports, der Kauf von umweltfreundlichen Fahrzeugen, weniger Langstreckenreisen mit dem Flieger … all das ist gut fürs Klima. Bei einem Hausbau ist die A-Klasse jetzt Pflicht. Auch bei Renovierungen sollte man darauf abzielen, die Umweltbilanz seines Hauses zu verbessern. All diese Ratschläge haben auch einen positiven Nebeneffekt: Man spart Geld.
In den letzten Wochen spielte das Klima verrückt. Die Folge: Überschwemmungen. Was sind die Gründe?
Wie schon gesagt, die Zahl der Extremereignisse steigt. In letzter Zeit war der Boden trocken. Wenn es dann massiv regnet, sickert das Wasser nicht ein, sondern sucht sich seinen Weg. Die Folge können dann Überschwemmungen sein. Ist der Boden etwas aufgelockert, kann ein Teil des Wassers einsickern.
Es gibt aber auch Fälle, wo bereits viel Wasser in den Boden eingesickert ist. Kommen dann sintflutartige Regenfälle, steigt der Pegel der Wasserläufe. Dann können sie überlaufen und ihre Umgebung überschwemmen. Solches Hochwasser ist auch möglich, wenn der Schnee schmilzt. Dazu kommt die Flächenversiegelung. Die Lage ist aber überall verschieden. So weiß man leider bei einer Unwetterwarnung nie genau, wo der Starkregen runtergehen wird. Deshalb ist der Wetterdienst MeteoLux auf Anregung der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) dabei, ein System zu prüfen, das die Bodenbeschaffenheit und die Topografie bei Unwetterwarnungen berücksichtigt.
Wie kann man solchen Katastrophen, wie sie im Osten des Landes stattgefunden haben, vorbeugen?
U.a. durch den Bau von Rückhaltebecken. Auch sollen die Bäche und Flüsse regelmäßig gesäubert werden. Dann kann das Wasser besser abfließen. Eine Renaturierung der Wasserläufe kann auch helfen. Der Nachteil ist hier aber, dass dann die Bäche öfters gesäubert werden müssen.
Auch soll man immer darauf achten, wo man ein Haus baut. Auf «Geoportail» sind alle Überschwemmungsgebiete aufgezeichnet. Bei Bauvorhaben wird in Sachen Regenwasserschutz immer das sog. «größte Event» der letzten 50 Jahre als Berechnungsbasis genommen. Beim Grundwasser wird indes ein Durchschnittswert berücksichtigt. Allgemein soll man der Natur immer genug Platz lassen.
Vorbeugen kann man auch durch die Installation von Abflusssystemen und die Einlagerung von Sandsäcken für den Notfall. Wird eine Unwetterwarnung herausgegeben, soll man sein Haus wasserfest machen.
Neben dem Wasser kann aber auch die Hitze gefährlich sein. Dürren sind für die Landwirtschaft nicht gut. Zudem steigt die Feuergefahr. Zu hohe Temperaturen sind auch nicht gut für Menschen mit Herz- und Atemproblemen. Deshalb, wie ich am Anfang sagte: Der Mix macht’s.
ZUR PERSON: Dr. Andrew Ferrone
Seit 2013 vertritt Dr. Andrew Ferrone Luxemburg beim 1998 gegründeten Weltklimarat (IPCC). Er ist ebenfalls der Vertreter des Großherzogtums bei der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und ist seit einigen Jahren Dauergast bei den Weltklimagipfeln.
Ferrone hat Physik an der „Université catholique de Louvain“ studiert. 2011 machte er seinen Abschluss mit dem Schwerpunkt Klimatologie. Von 2011 bis 2013 war er dann in Karlsruhe und zwischen 2013 und 2016 beim LIST (Luxembourg Institute of Science and Technology) als Forscher tätig. Seit Dezember 2016 ist Andrew Ferrone Chef des meteorologischen Dienstes der ASTA („Administration des services techniques de l’agriculture“).
EXTRA: Die Regierung reagiert
Die Regierung ist über den Klimawandel besorgt. So soll es in Zukunft mehr Tage mit Temperaturen über 25 Grad geben. Und auch nachts sollen die Temperaturen weniger oft unter 20 Grad fallen. Im Winter soll mehr Regen fallen, im Sommer aber weniger. Der durchschnittliche jährliche Niederschlag bleibt konstant. Aber die Zahl der extremen Wetterereignisse wird sich erhöhen. D.h. mehr Dürren, mehr sintflutartige Regenfälle mit Überschwemmungen.
Nun soll ein Maßnahmen-Paket die Auswirkungen des Klimawandels eindämmen. So soll u.a. eine Starkregen-Karte ausgearbeitet werden, auf der alle gefährdeten Gebiete aufgezeichnet sind. Für Überschwemmungsmaßnahmen und Renaturierungen stellt der Staat mehr Geld bereit.
Für die Bereiche Wohnungsbau, Energie, Forstwirtschaft, Infrastruktur, Krisenbewältigung, Landesplanung, Landwirtschaft, Gesundheit, Artenvielfalt, Tourismus, Stadträume, Wasserwirtschaft und Wirtschaft wurden jeweils Schutzmaßnahmen und Anpassungsstrategien erarbeitet.
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