Am vergangenen Donnerstag gab der britische Pianist Benjamin Grosvenor sein Debüt im Kammermusiksaal der Philharmonie. Man hörte und spürte es bereits in den ersten Takten in Busonis Bearbeitung von Bachs Chaconne. Hier war ein ganz Großer am Werk, jemand, der die Musik in jedem Moment erlebte und der sich eigentlich nicht als Interpret individueller Ansichten in den Mittelpunkt stellte, sondern der vielmehr als Medium, als Vermittler zwischen Komponist und Publikum agierte.
Benjamin Grosvenor ist ein Pianist, durch den die Musik hindurchfließt und zu Klang wird. Ohne jetzt zu übertreiben, aber während dieses Konzerts wurden immer wieder Parallelen zu dem großen Grigori Sokolov deutlich. Die gleiche Perfektion in Technik und Ausdruck, das bewusste Zurücktreten hinter Komponist und Werk, die enorme Präsenz und vor allem die Kunst, jedes Werk, jede Note mit einer atemberaubenden Lebendigkeit und Authentizität zu gestalten.
Faszinierend und intensiv
Die Bach/Busoni-Chaconne war gewaltig und man spürte, wie das Publikum mitging, den Atem anhielt und einfach nur von der Darbietung fasziniert war. Gleiche Intensität, gleiches spielerisches Niveau auch bei Schumanns C-Dur-Fantasie, die in Sachen Expressivität jede Grenze zu sprengen schien, ohne allerdings an Demut und Ehrlichkeit einzubüßen. Eher kraftvoll dann auch Le Tombeau de Couperin von Maurice Ravel, bei dem Benjamin Grosvenor die Musik regelrecht skulptierte. Markant, kantig, voller Relief und Akzente darf auch diese Interpretation als mustergültig gelten. Und als innovativ, verließ sie doch den üblichen Weg einer eher kolorierten Ravel-Interpretation.
Eine unerwartete Steigerung kam dann noch zum Schluss. Grosvenor beendete sein anspruchsvolles Programm mit einer atemberaubenden Interpretation der 7. Klaviersonate von Sergej Prokofieff, die er schonungslos und düster spielte und dabei den maschinellen Rhythmus immer wieder in den Mittelpunkt stellte. Da schwang sehr viel Angst und Hektik mit.
Wenig versöhnlich auch der Mittelsatz, den der Pianist brüchig und fahl spielte. Kein Zweifel, hier wurde die Diktatur, die Unterdrückung der Menschen angeklagt. Gestern Stalin, heute Putin. Benjamin Grosvenor zeigte, wie hochaktuell Prokofieffs 7. Sonate immer noch ist. Ob bei Bach/Busoni, Schumann, Ravel oder Prokofieff, Grosvenor bewies sich als überlegener und sowohl tiefgründiger wie auch hochvirtuoser Gestalter. Vor allem aber schenkte er uns einen faszinierenden und intensiven Klavierabend, den wohl jeder im Saal noch lange in Erinnerung behalten wird.
Beste französische Klangkultur
Der französische Dirigent Jérémie Rhorer ist ohne Zweifel einer der interessantesten Interpreten unserer Zeit. Ein Künstler, der musikalisch in vielen Bereichen zu Hause ist und der sich sowohl in der historischen Aufführungspraxis als auch in der Moderne oder im klassisch-romantischen Repertoire wohlfühlt. Zudem ist er ein gern gesehener Gastdirigent des OPL, der immer ein bisschen frischen Wind in das angestaubte Repertoire bringt.
Rimsky-Korsakows Märchenstück Skazka ist eines jener vielen Werke, die man nicht kennen muss, die man aber trotzdem einmal gehört haben soll. Den gleichen Eindruck hatte wohl auch das Publikum, denn selten hat es in der Philharmonie so wenig Applaus für ein Werk gegeben.
Wer genau hingehört hat, der durfte aber die sehr präzise Orchesterarbeit von Jérémie Rhorer schätzen. Viel besser als in dem spärlichen Skazka kam Rohrers Dirigat in Maurice Ravels Shéhérazade zur Geltung. Einfach wundervoll, wie er die vielen unterschiedlichen Farben und Stimmungen in Szene setzen konnte und wie einfühlsam er dabei die Solistin Patricia Petibon begleitete. Das war einfach ganz große Dirigierkunst.
Die Sopranistin Patricia Petibon ist immer Garant für erstklassigen Gesang. Auch heute konnte man nur mit Bewunderung feststellen, wie intensiv, genau und schön sie die drei Lieder aus Ravels Shéhérazade sang und dabei Text und Gesang in einer idealen Weise zusammenführte. Eine absolute Meisterleistung.
Nach der Pause ging es dann erwartungsgemäß hochkarätig weiter, und zwar mit einer stringenten und straffen Interpretation von Richard Strauss‘ Tondichtung Also sprach Zarathustra. Das OPL befand sich heute in Bestform und hatte bereits bei Rimsky-Korsakow und Ravel mit schillerndsten Farben, einem offenen, klaren Klang und wunderbaren Solostimmen (wie u.a. Seohee Min, Solovioline, Etienne Plasmann, Flöte, Dagmar Ondracek, Bratsche, …) geglänzt.
Diese Qualität wusste Jérémie Rhorer dann noch einmal im Zarathustra zu steigern und das Orchester zu einer Weltklasseleistung zu animieren. Vor allem waren es der natürliche Atem, die exakte, reliefreiche Balance und die klangliche Transparenz, die diese Interpretation zu einem Hörgenuss machten, ein Hörgenuss, der wohlgemerkt ohne Pathos und Zuckerguss auskam und somit Strauss’ Komponierkunst in allen Punkten sehr gut hörbar machte. Jérémie Rhorer wäre darüber hinaus sicherlich ein willkommener und hochinteressanter Artist in residence …
SEL: Eine neue, aufregende Spielzeit
Die neue Spielzeit der Solistes Européens Luxembourg, die am vergangenen Donnerstag in einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, erweist sich trotz deutlicher Sponsoring-Probleme als hochkarätig. Viele Sponsoring-Entscheidungen werden nicht mehr in Luxemburg, sondern im Ausland getroffen, zudem hat die Henry J. and Erna D. Leir Foundation, ein langjähriger Partner, beschlossen, überhaupt keine Projekte mehr in Luxemburg zu unterstützen.
Die Spielzeit 2023/24 umfasst sechs Symphoniekonzerte mit abwechslungsreichen und innovativen Programmen sowie vier Kammermusikkonzerte mit Jean Muller (2.10.), dem Trio Schengen (27.11), Chanel Perdichizzi, Harfe, Alex Roussine, Violine und Stéphane Giampellegrini, Cello (4.3.) und Yanis Grisó, Violine, Anik Schwall, Cello und Christoph König, Klavier (29.4.). Den Organisatoren ist es darüber hinaus gelungen, erstklassige Solisten wie die Pianisten Jan Lisiecki (25.9.) und Olli Mustonen (13.5.), den Tenor Benjamin Bernheim (25.10.), die Saxofonistin Asya Fateyeva (18.3.) und die Violinistin Midori (19.2.). Zudem wird der junge talentierte luxemburgische Cellist Benjamin Kruithof am 11.12. mit den SEL auftreten. Alle Konzerte beginnen ab der neuen Spielzeit um 19.30 Uhr.
Es ist allerdings schade, dass in diesem Jahr kein einziges Werk eines luxemburgischen Komponisten auf dem Programm steht, dies, weil das Kulturministerium keine Kompositionsaufträge vergeben hat. Was sicherlich nicht der richtige Weg ist. Urgestein, Gründungsmitglied und SEL-Generaldirektor Eugène Prim wird ab der neuen Spielzeit seinen Posten an Serge de Cillia weitergeben. Hiermit geht dann eine Ära zu Ende und macht den Weg für eine neue frei. (Info: ww.sel.lu)
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