Keine ruhige Kugel: In Glasgow erlebt Bob Bertemes pure Stressbewältigung und echte Zen-Momente

Keine ruhige Kugel: In Glasgow erlebt Bob Bertemes pure Stressbewältigung und echte Zen-Momente

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Viele Sportler träumen von der ganz großen Bühne. Bob Bertemes hat zum dritten Mal in Folge an einer Hallen-Leichtathletik-EM teilgenommen – Rekord für einen FLA-Vertreter. Doch wie sieht der Tagesverlauf eines Sportlers bei solch einem Top-Event überhaupt aus? Das Tageblatt hat dem Kugelstoßer vor allem während des Wettkampftags in Glasgow etwas genauer auf die Finger geschaut.

Aus Glasgow berichtet Laurent Neiertz (Text und Fotos)

Bereits am letzten Dienstagnachmittag trat Bob Bertemes gemeinsam mit vier luxemburgischen Leichtathletik-Kollegen und einer fünfköpfigen FLA-Delegation die Reise in die schottische Metropole an. Es ging mit dem Flugzeug von Luxemburg nach Amsterdam, schließlich von dort aus weiter nach Glasgow. Spät am Abend dort angekommen, stand gleich Erholung auf dem Programm. «Ich habe mich richtig müde gefühlt. Ich musste mir nur noch Wasser besorgen und dann ging es auch schon gleich ins Bett», erzählt Bertemes.

Ehe es zum großen Showdown am Freitag kommen würde, standen für den CAB-Athleten am Mittwoch und Donnerstag erst mal einige lockere Trainingseinheiten im Kraftraum sowie leichtes Einwerfen auf der Trainingsanlage auf dem Programm. Dies ist wichtig, um ein gutes Gefühl für den Wettbewerb zu bekommen. Bertemes machte wie immer einen lockeren Eindruck. Von Nervosität keine Spur, auch nicht in der Nacht vor der Qualifikation, obwohl er trotz allem so etwas wie Vorfreude verspürte. «Eine gewisse Anspannung ist stets vorhanden. Aber ich lasse mich davon nicht verrückt machen. Es geht zwar am Tag darauf um die Wurst, aber ich weiß jetzt damit umzugehen», erklärt der 25-Jährige.

Diese Lockerheit ließ der nationale Rekordhalter im Kugelstoßen in früheren Tagen noch vermissen. «Wenn ich mich am Morgen vor dem Wettkampf müde fühlte, deutete ich dies gleich als schlechtes Omen. Dann machte ich mir z.B. Gedanken darüber, warum mir die Lust auf das Kugelstoßen gerade an jenem Tag fehlen würde.» Trotz seiner Erfahrung erwischt sich der Sportler noch heutzutage manchmal dabei, dass er sich in der Nacht vor dem Wettbewerb einige Gedanken über das anstehende Meeting macht. Das hat vor allem Folgen für den Schlafrhythmus. «Im Allgemeinen bin ich jemand, der selten Probleme damit hat, einzuschlafen. Trotzdem kann ich meine Gedanken nicht immer steuern. Der Puls schlägt plötzlich höher als gewohnt und ich spüre ein gewisses Kribbeln in den Beinen. Dann muss ich meine Stimmungslage sofort wieder in den Griff bekommen. Ansonsten wird es eine kurze Nacht.»

Daher ist es nicht unüblich, dass der Elitesportler vor dem Schlafengehen noch etwas Musik hört. Dies hilft ihm, sich zu entspannen. Auch kurz vor dem Wettkampf greift er auf die musikalische Unterstützung zurück. «Je nach deinem Gemütszustand kann sie dich pushen oder beruhigen. Deshalb ist es auch sehr unterschiedlich, welches Genre ich mir anhöre. Momentan steht der deutsche Hip-Hop hoch bei mir im Kurs. In der Jugend stand ich eher auf Heavy Metal. Zu dieser Zeit hätte ich gar nicht daran denken können, dass für mich jemals eine andere Musikrichtung infrage kommen könnte. Doch jetzt habe ich meine wilden Zeiten hinter mir», scherzt er.

Zu seinem Glück hatte der Schützling von Trainer Khalid Alqawati mit keinen Schlafstörungen zu kämpfen und er konnte nach einem ausgewogenen Frühstück mit voller Energie in den Freitag starten. Das war auch wichtig für ihn, schließlich können die Wettkampftage zu einer langen Angelegenheit werden. Die Qualifikation stand um 11.50 Uhr auf dem Programm, das Finale erst um 20.35 Uhr.

Das Stresslevel begann zu steigen. Es galt, seine Emotionen in den Griff zu bekommen. Diesen Test bestand er, denn die Qualifikation verlief nach Wunsch. Beim letzten Versuch katapultierte der Luxemburger die Kugel auf 20,97 m, was gleichbedeutend mit dem dritten Rang war. Mit diesem guten Gefühl ging es zurück ins Hotel. Im Bus ließ er die Seele noch ein wenig baumeln. Das Anhören eines Podcasts hat sich für ihn zu einer weiteren Entspannungsmethode entwickelt. «Dieser Leidenschaft gehe ich erst seit kurzem nach. Es bringt mich in eine Art meditativen Zustand.»

Bis zum Finale lagen zu diesem Zeitpunkt noch etliche Stunden vor ihm. Für Bertemes hieß dies, irgendwie die Zeit rumzukriegen. Im Gegensatz zum Alltag in Mannheim muss sich der Sportsoldat bei den Meetings quasi um nichts selbst kümmern. Er hat sich nur auf seinen Wettkampf zu konzentrieren. «Ich muss an diesen Wettkampftagen nichts kochen, spülen oder putzen. Deshalb steht mir relativ viel Freizeit zur Verfügung – sogar am Tag der Entscheidungen», sagt der 118 Kilogramm schwere Koloss. Aus diesem Grund hat der luxemburgische Ausnahmekönner erst seit kurzem das Lesen für sich entdeckt.

(Foto: Privat)

«In den Ferien bekam ich einmal von meiner Freundin ein Buch vom Schriftsteller Sebastian Fitzek geschenkt. Es heißt ‹Das Paket› und ist ein Spiegel-Bestseller. Ich war sofort von der Geschichte gepackt. Deshalb habe ich mir auch gleich noch weitere Bücher von diesem Autor bestellt, obwohl sie sich von den Geschichten mehr oder weniger ähneln. Aber ich finde sie spannend», geht der Sportsoldat auf seine neue Passion ein. «Es sind keine dicken Schmöker, das gefällt mir. Ich kann die Bücher locker in den Rucksack packen und zu jeder Zeit lesen.» (Wer es nachvollziehen will: Hier gibt es eine Leseprobe als PDF.)

In der Unterkunft angekommen, nahm Bertemes sofort eine kleine Stärkung zu sich, ehe er sein traditionelles Mittagsschläfchen hielt. «Ein kleines Nickerchen zwischendurch mache ich an sich jeden Tag. So gebe ich meinem Körper das Gefühl, dass der Tag wieder von neu beginnen wird.» Danach ging es noch schnell zum Essraum. Die Zeit drängte, denn im Hotel gab es nur bis 16 Uhr Mittagessen. «Ich brauchte noch eine richtig fette Portion, denn bis zum Wettkampf war es noch ein Weilchen. Des Weiteren lege ich Wert darauf, dass ich knapp vier Stunden vor dem Contest noch eine gute Mahlzeit zu mir nehmen kann.»

Leider konnte er nicht auf sein Leibgericht, eine Asia-Pfanne, zurückgreifen, die er oft in Mannheim selbst zubereitet. «Dieses Gericht ist unheimlich lecker und lässt sich schnell vorbereiten. Ich koche diese asiatische Essvariation meistens für einen Trainingspartner und füge noch etwas untypisch ‹Kniddelen› hinzu. Meine Freundin sagte schon zu mir, dass man mir deshalb den luxemburgischen Pass wegnehmen müsste, aber ihm schmeckt es.»

Nach dem Essen begab sich Bertemes zurück auf sein Zimmer, las ein wenig und sprach kurz mit seinem Kollegen Charel Grethen. Dann hieß es schon wieder: Abfahrt zur Emirates Arena. Während der 20-minütigen Fahrt zur Halle nahm sich Bertemes auch die Zeit, um seine sozialen Kontakte zu pflegen. Der Leistungssportler schottet sich vor so wichtigen Events nicht komplett von der Außenwelt ab. «Ich rief meine Tante an, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Des Weiteren beantwortete ich einige Nachrichten.» Doch knapp aus dem Bus ausgestiegen, galt die ganze Konzentration wieder voll und ganz dem Finale. «Dann schaltet bei mir der Wettkampf-Modus ein. Alles läuft dann nach dem gleichen Schema ab: wie und wann ich mich aufwärme, wann ich von der Bank aufstehe, usw.»

Die Finalrunde verlief dann jedoch nicht ganz nach Plan. Mit gestoßenen 20,70 m sprang am Ende der fünfte Platz heraus. «Ich ging eigentlich sehr fokussiert ins Finale hinein und fühlte mich gut. Doch ich hatte Probleme bei der Ausführung meiner Technik. Ich war zu schnell beim Stoßen und trat deshalb mehrere Male aus dem Kreis heraus. Erst beim sechsten Versuch gelang mir ein technisch guter Wurf, doch mir fehlten die nötigen Kraftreserven. Mit dem fünften Platz kann ich leben, doch ich hätte mir schon eine Weite über 21 m gewünscht.»

Somit ging es nicht mit dem erhofften Glücksgefühl zur Unterkunft zurück. Die Enttäuschung war verständlicherweise riesengroß. «Dein Umfeld versucht dich in diesen Momenten aufzumuntern. Aber für mich war es schwierig zu verkraften, dass ich nicht das zeigen konnte, wozu ich eigentlich imstande bin. Man fühlt sich einfach nur schlecht. Doch das hat auch viel mit seinen eigenen Erwartungen zu tun. Vor einem Jahr wäre ich mit 20,70 m sehr zufrieden gewesen, heutzutage löst dies in mir eher Enttäuschung aus. So wurmt es mich, dass ich nach einer bisher guten Saison gerade jetzt beim EM-Finale mein Potenzial nicht abrufen konnte», blickt Bertemes zurück.

Doch der 25-Jährige ist sowieso niemand, der lange Trübsal bläst. Nachtrauern passt nicht zu seiner Persönlichkeit. Am Sonntag wartete schon wieder der Trainingsalltag auf ihn. Das nächste Meeting, der European Winter Throwing Cup in Samorin in der Slowakei, steht bereits nächste Woche vor der Tür. Doch vorher profitierte der Sportsoldat noch von seinem freien Samstag, an dem er zusammen mit seiner Schwester und einer Freundin die Stadt Glasgow ein wenig erkundete. «Sightseeing bedeutet für mich, nur zwei, drei Fotos von einigen Sehenswürdigkeiten zu machen sowie ein paar Souvenirs zu kaufen. Ansonsten freue ich mich darauf, irgendwo eine Tasse Kaffee trinken zu können.»