Ende Februar sei mit dem Anfang des Krieges in der Ukraine die Covid-Krise durch eine Flüchtlingskrise abgelöst worden. Deshalb habe man im diesjährigen Bericht des OKaJu Kinder und Jugendliche mit Flucht- und Migrationserfahrung in den Mittelpunkt gestellt, sagte Ombudsman Charel Schmit auf der Pressekonferenz am Dienstag. Dieses Krisenszenario geselle sich zu weiteren Krisen dazu, die es bereits vorher gab. Schmit erwähnte insbesondere die Klimakrise, bei der es um Klimagerechtigkeit gehe und die sich auf die nächste Generation auswirke. Diesem Thema werde man sich nächstes Jahr verstärkt widmen.
Der Bericht analysiert die Situation und die Betreuung von Kindern und Jugendlichen, die nach Luxemburg geflüchtet sind und die sich entweder dauerhaft oder übergangsmäßig hier niederlassen. Der Ombudsman betonte, dass man bewusst nicht ausschließlich die Situation der Geflüchteten aus der Ukraine analysiert habe, sondern jene sämtlicher Flüchtlinge in Luxemburg.
Der erste Teil des Berichtes behandelt die „enfance mise en suspens“. Charel Schmit sprach von einer „Kindheit im Wartesaal“. Denn diese sei von sehr viel Ungewissheit geprägt, ein ständiger Balance-Akt und die allgegenwärtige Prekarität, die diese Situation charakterisiere. Viele Monate und Jahre würden die jungen Menschen auf eine definitive Antwort über ihren Status warten. Dies gehe auf Kosten ihrer mentalen Gesundheit, so Schmit. Der zweite Teil des Berichts wirft nochmals einen Blick auf die Covid-19-Pandemie, und im letzten Punkt spricht das OKaJu Empfehlungen aus.
Den Einrichtungen auf den Zahn gefühlt
Der Ombudsman erklärte die Vorgehensweise. Mit der Kinderrechtskonvention im Hinterkopf habe das OKaJu hauptsächlich in den Monaten Juli und August verschiedene Einrichtungen, wo Kinder und Jugendliche untergebracht sind, besucht. Dabei habe das Komitee 13 der 55 existierenden Strukturen auf den Zahn gefühlt und viele Gespräche mit allen Akteuren und Beteiligten geführt. Ziel sei es gewesen, sich ein reelles Bild über die Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen in diesen Einrichtungen zu verschaffen.
Die Zahl der geflüchteten Kinder und Jugendlichen habe seit dem Sommer zugenommen. Auch sei festgestellt worden, dass die in Luxemburg angekommenen Kinder zunehmend jünger seien. Die Strukturen müssten deshalb laut Schmit ausgebaut und den Bedürfnissen jüngerer Kinder angepasst werden. Andere Heim- und Betreuungseinrichtungen sowie Pflegefamilien müssten hier mit einbezogen werden, um diese Kinder aufzufangen.
Der Personalschlüssel reicht bei weitem nicht, um gezielte Aktivitäten für Familien mit Kindern und Jugendlichen anzubieten
Die zunehmende Zahl von Geflüchteten stelle die Betreuer auf dem Terrain vor große Herausforderungen. Die Strukturen seien jetzt bereits zu über 90 Prozent gefüllt, so der Ombudsman. Viele Menschen darin würden dauerhaft in Luxemburg bleiben können, da sie das Statut des „bénéficiaire de protection internationale“ hätten.
Charel Schmit nannte einige Zahlen aus dem Bericht. Seit Januar haben 1.134 Minderjährige einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Davon waren 132 Minderjährige, die sich nicht in Begleitung eines Erwachsenen befanden. In den Einrichtungen leben über 1.000 Kinder und Jugendliche zusammen mit ihren Eltern. „Das war uns bislang nicht so bewusst“, sagte Schmit. In den Strukturen befänden sich stets zwischen 30 und 40 Prozent Minderjährige, die dort leben. Das Problem sei, dass diese Einrichtungen eigentlich nicht geplant wurden, um Familien aufzunehmen. Sämtliche Heime werden vom „Office national de l’enfance“ (ONE) verwaltet. Die Betreuung übernehmen die Caritas und das Rote Kreuz. „Der Personalschlüssel reicht bei weitem nicht, um gezielte Aktivitäten für Familien mit Kindern und Jugendlichen anzubieten“, stellte der Ombudsman fest.
Ein normales Zimmer bestehe aus einem Doppelbett und einem Schrank. Dieser Standard sei nicht unbedingt auf Familien fokussiert. Meist bestehe keine Möglichkeit, ein Kinderbett dazuzustellen, so Schmit. In den Flüchtlingsheimen sorge eine Putzkolonne für die Reinheit der Gemeinschaftsflächen. Das Sauberhalten der Zimmer obliege den Bewohnern. Schmit bemängelte stinkende Mülltonnen an den Eingängen der Einrichtungen, insbesondere in den Sommermonaten bei hohen Temperaturen. Hier müsse eine bessere Lösung gefunden werden.
Dort, wo es sich anbietet, sollten die Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit bekommen, in die ‚Maisons relais‘ oder Jugendhäuser des Ortes gehen zu können
Sanitäranlagen seien stets da und rund um die Uhr geöffnet. Allerdings bemängelte der Ombudsman, dass die Kindheit der Minderjährigen dort geprägt sei durch kollektive Toiletten und Duschen. „Das ist keine Kindheit, die man sich wünscht.“ Solche Anlagen würden nicht die Sicherheit und Intimität gewährleisten, die ein Badezimmer in den eigenen vier Wänden bieten würde. Für die Ferienzeit in einer Jugendherberge sei dies vertretbar, aber nicht für mehrere Monate oder Jahre, so Schmit. Auch mangele es an Rückzugsorten für Kinder und Jugendliche. Zudem fehle es wegen des mangelhaften Personalschlüssels an Betreuungsmöglichkeiten für die Minderjährigen.
Das „No-Go“-Heim in Mersch
Teils gebe es Initiativen, die zusätzliche Aktivitäten für die jungen Menschen anbieten würden. Dies sei zu begrüßen und müsste laut Schmit unbedingt ausgebaut werden. „Dort, wo es sich anbietet, sollten die Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit bekommen, in die ‚Maisons relais‘ oder Jugendhäuser des Ortes gehen zu können“, so der Ombudsman. Er betonte, dass eine Kindheit vom Bedarf zu spielen, sich auszutoben oder etwas auszuprobieren geprägt sei. Dies sei allerdings nicht immer möglich in den Heimen oder in unmittelbarer Nähe.
Bei einer Einrichtung, die das OKaJu besuchte, entschloss man sich, die Anonymität aufzuheben. Dabei handelt es sich um eine Halle auf dem früheren Areal der Creos in Mersch. „Wir sind der Meinung, dass dieser Ort nicht den Kriterien der allgemeinen Menschenrechtskonvention entspricht“, sagte Schmit. Bei dem Heim handele es sich um eine umfunktionierte Halle ohne Fenster. Die Struktur sei völlig ausgelastet und nie für Wohnzwecke vorgesehen. „Aus kinderrechtlicher Sicht ist dieser Ort ein absolutes No-Go“, betonte Schmit. Planungen hätten vorgesehen, diese Struktur ab dem 1. November nicht mehr weiterzubetreiben, was wegen der zunehmenden Zahl an Flüchtlingen wieder verworfen wurde. Charel Schmit forderte die Instanzen auf, die Halle entweder so umzuändern, dass sie die Grundkriterien erfüllt, oder sie zuzumachen.
Der Ombudsman empfahl allgemein, bei der Planung neuer Einrichtungen diese von Anfang an familienfreundlich zu gestalten. Zudem sollten sämtliche Flüchtlingsheime klar identifizierbare Ansprechpartner für Beschwerden im Sinne der „Child protection policy“ zur Verfügung stellen – zum Beispiel bei Kindesmisshandlungen. Das OKaJu ist der Meinung, dass man die Kinderrechte vor die Asylrechte setzen sollte. Demzufolge sollten unbegleitete Minderjährige, die nach Luxemburg flüchten, zuerst vom „Office national de l’enfance“ als „Kind mit Bedürfnissen“ betrachtet werden und erst nach einem Klärungsprozess in einem weiteren Schritt geschaut werden, welche Prozedur für Asyl eingeleitet wird, betonte Charel Schmit.
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