Es gibt Sachen, die es eigentlich nicht geben dürfte. Nicht nur in Luxemburg, sondern auch sonst nirgendwo auf diesem Planeten. Die Jungfräulichkeitsbescheinigung oder, im Französischen, „Certificat de virginité“ gehört dazu.
Wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten klingt die Bezeichnung – und Forderung. Wenn Mädchen und Frauen im Jahr 2023 nachweisen müssen, dass sie noch Jungfrau sind, dann stimmt irgendetwas nicht. Dann scheinen dunkle Zeiten munter weiterzubestehen. Dabei hätte man durchaus davon ausgehen können, sich weiterentwickelt zu haben, fortschrittlicher zu sein. Diese Zertifikate sind Zeichen eines altertümlichen Denkens – und Handelns. Es sind leider nicht die einzigen.
Angesichts fortschreitender Aufklärung und Gleichberechtigung, als Erbe der 1968er-Bewegung, aber vielmehr noch als Ausdruck des Endes des Patriarchats glaubt man sich als Mensch jeglicher Orientierung auf der gewonnenen Seite.
Wenn eine Sozialarbeiterin und eine Lehrerin aus derselben Schule eine Petition starten (siehe Artikel heute im Tageblatt), um die Bescheinigung der Jungfräulichkeit per Gesetz abschaffen zu wollen, wird man hellhörig. Wenn dann binnen kurzer Zeit rund 5.300 Menschen diese Petition unterzeichnen, läuten die Alarmglocken. Das Thema scheint damit alles andere als ein Tabu zu sein.
Ja, die Petition 2755 wird erst Ende 2023, Anfang 2024 in der Abgeordnetenkammer diskutiert werden müssen. Grund dafür sind die Landeswahlen und die neue Zusammensetzung der Chamber. Doch worauf warten Abgeordnete? Regierungsmitglieder? Oder die sogenannten „Forces vives de la nation“? Bedarf es wirklich einer Diskussion im Parlament, um festzustellen, dass eine Jungfräulichkeitsbestätigung ein absolutes No-Go ist? Warum zögern Regierungskreise? Statt von Sensibilisierung und Information sollen sie lieber Klartext reden und Gesetze erlassen.
Dass Virginitäts-Zertifikate in Luxemburg noch nicht verboten sind, lastet schwer auf allen fortschrittlichen Politiken, die nicht zuletzt die LSAP zu verantworten hat. Mädchen und Jungen: „même combat“ – gleiche Rechte, steht auf den wehenden Fahnen des Gleichstellungsministeriums. Nichts tun bedeutet, sexistische und patriarchalische Gesellschaftsformen weiter zu dulden. Jungs dürfen alles und sind Helden, Mädchen dürfen nichts und müssen zudem selber einen Beweis für ihre „Unschuld“ liefern. Das ist zum Haareraufen. Ja, es ist ein Unding und eigentlich ein Grund, sich zu schämen. Sollten verantwortliche Stellen sich zieren, weil sie denken, dass ein Gesetz das Problem nicht löse, sondern nur zu einer Verlagerung in überhaupt nicht mehr zu kontrollierende Dunkelzonen führe? Das wäre ein sehr schwaches Argument.
Das Thema Jungfräulichkeitszertifikat bereitet Sorge. Warum? Weil es uns zeigt, dass die Freiheit(en), die wir haben, kein Baum mit langen Wurzeln ist, sondern eine zarte Pflanze. Wer denkt, sie nicht mehr beschützen zu müssen, irrt. Menschen, Gesellschaften, merkwürdige Denkvorstellungen drohen sie zu zerstören. Um zu verteidigen, was einer freien Welt – uns – lieb ist, bedarf es eines beherzten Einsatzes gegen den Rückschritt – täglich, jetzt für Fortschritt!
" Es wird wohl kaum mit Widerspruch zu rechnen sein"
Da kennen Sie die ADR und CSV aber schlecht.
Dass Politiker in Luxemburg ihre Zeit verplempern wollen mit der Diskussion zu einem so frauenverachtenden Thema ist eine Schande. Sollte ein solches Gesetz bestehen, dann ist es eine Genugtuung für diejenigen Unmenschen die den Begriff geschaffen haben, wenn überhaupt darüber geschrieben wird. Es würde doch ein Zeichen von Flexibilität sein, wenn ganz kurzfristig mit einem einzigen Federstrich das Problem vom Tisch wäre. Es wird wohl kaum mit Widerspruch zu rechnen sein. Also packt es an, liebe Politikerinnen und Politiker. Jeden einzelnen Tag wo ihr wartet, wird ein Armutszeugnis für Euch bedeuten und Ihr macht Euch schuldig. Bei der Cannabisdebatte seit Ihr auch nicht zimperlich gewesen als es um potenziellen Stimmenfang ging.