Die letzte Rede des EU-Kommissionspräsidenten am Mittwoch zur Lage der Union hatte mehr den Charakter der Vorstellung eines Arbeitsprogrammes, denn eine Bilanz wollte Jean-Claude Juncker noch keine ziehen.
«Noch ist nicht die Zeit für eine abschließende Bilanz dieser Kommission», sagte Jean-Claude Juncker gleich zu Beginn seiner Rede. Die wird er wohl in einem Jahr vor dem neuen Parlament ziehen. Vielmehr machte der Kommissionspräsident deutlich, dass die Arbeit weitergehe, «um aus einer unperfekten Union eine alle Tage bessere Union zu machen», wie er meinte.
Die eine große Botschaft war in Junckers Rede am Mittwoch allerdings nicht zu finden. Vielmehr mehrere kleinere, wie etwa jene, dass die EU auf internationaler Bühne sich vom Global Payer zum Global Player entwickeln müsse. Wenn Europa sich der «politischen, wirtschaftlichen und militärischen Handlungskraft seiner Nationalstaaten stärker bewusst» wäre, könnte das erreicht werden, meinte Juncker.
Neue Allianz mit Afrika
Er trat jedoch dem Eindruck entgegen, dass die in diesem Zusammenhang geförderte Verteidigungsunion zu einer Militarisierung der EU führe. «Wir werden die EU nicht militarisieren», betonte Jean-Claude Juncker. Die EU solle vielmehr verantwortlicher und einig dadurch werden.
Die EU müsse ein souveräner Akteur in der Welt werden. Dazu müsse die Außenpolitik der Union gestärkt werden, wozu er vorschlage, in diesem Bereich von der Einstimmigkeit zur Mehrheitsentscheidung überzugehen. Denn bislang könne die EU nicht gegen Menschenrechtsverletzungen in China protestieren, wenn ein Land dagegen sei. Allerdings will der Kommissionspräsident auch in anderen Bereichen die Einstimmigkeit abschaffen, wie etwa in bestimmten Bereichen der Steuerpolitik. Woran jedoch Luxemburg weniger Gefallen finden dürfte.
Zur Stärkung der EU in seinen Außenbeziehungen dürfte auch der Vorschlag Junckers beitragen, die internationale Rolle des Euro zu ändern. Er wolle nicht mehr, dass die Europäer den Großteil ihrer Energieimporte sowie beim Kauf von Flugzeugen mit Dollar zahlen. Immerhin sei der Euro die zweite Währung auf der Welt und 60 Länder hätten sich an die europäische Währung gebunden, gab Juncker zu verstehen.
Keine Almosen sondern eine Partnerschaft
Die EU müsse mehr in ihre Beziehungen mit Afrika investieren, forderte der EU-Kommissionspräsident weiter. «Afrika braucht keine Almosen, sondern eine Partnerschaft.» Juncker schlägt daher eine neue Allianz für Investitionen und nachhaltige Entwicklung mit dem afrikanischen Kontinent vor. Dieses Engagement für Afrika dürfte nicht nur mit dem zunehmenden Migrationsdruck von Menschen aus afrikanischen Staaten zusammenhängen. Es dürfte wohl auch darauf abzielen, ein Gegengewicht zu China zu schaffen, das in den vergangenen Jahren massiv auf dem Kontinent investiert hat.
Daneben griff Juncker die Idee des französischen Präsidenten einer europäischen Souveränität auf. «Die Stunde der europäischen Souveränität hat definitiv geschlagen», meinte er. Diese Souveränität werde jedoch nicht die nationale Souveränität ersetzen, sondern vielmehr ergänzen. Zudem werde die europäische Souveränität nie gegen andere gerichtet, versicherte der Luxemburger.
Neue Initiativen
Daneben stellte Jean-Claude Juncker eine Reihe neuer Vorschläge oder Initiativen vor. Diese reichten von einem Plastikverbot über die in den vergangenen Wochen diskutierte Abschaffung der Zeitumstellung hin zu weiteren Maßnahmen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik. So sollen bis 2020 zur Stärkung des Grenz- und Küstenschutzes die Zahl der von der EU bezahlten Beamten auf 10.000 steigen. Daneben sollen die Mitgliedstaaten mehr Unterstützung bei der Bearbeitung von Asylanträgen erhalten. Zudem will die Kommission einen Vorschlag vorlegen, wie die Rückführung abgewiesener Asylantragsteller beschleunigt werden kann. Schließlich wiederholte Jean-Claude Juncker seinen Wunsch, legale Wege für Migranten nach Europa zu schaffen. Vorschläge dazu lägen auf dem Tisch. An die Mitgliedstaaten richtete er den Appell: «Bitte umsetzen.»
Allerdings forderte er dieselben Mitgliedstaaten auch zu mehr Solidarität in der Flüchtlingsfrage auf. Es gehe nicht an, dass jedes Mal wenn ein Schiff mit Flüchtlingen in einem europäischen Hafen eintreffe, darüber gestritten werde, wer diese aufnehme, ärgerte sich der Kommissionschef.
Diesen Punkt griff der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion auf und sprach von einem «Skandal, was weiter im Mittelmeer passiert». Es gebe keine sicheren Häfen mehr in der EU, seit die italienische Regierung ihre Häfen geschlossen habe, so Udo Bullmann.
Mehr Solidarität
Guy Verhofstadt seinerseits forderte die Kommission auf, konkrete Vorschläge zum Schutz der Europawahlen gegen die Einmischung von außen vorzulegen. Der Vorsitzende der Liberalen im EP forderte die Einsetzung eines Sonderermittlers in der EU, der sich mit dieser Angelegenheit beschäftigen müsste. Der Belgier verwies darauf, dass die sogenannten «Alternativen Rechten» angekündigt hätten, Einfluss auf die EU-Wahlen im kommenden Jahr nehmen zu wollen.
Auch die Vorsitzende der Grünen Fraktion warnte vor den «inneren Feinden» in der EU, vor Nationalisten und Rassisten, «die Angst und Hass schüren». «Immer mehr Parteien und Regierungen nutzen die EU als Sündenbock für die eigenen Fehler», sagte Ska Keller.
Unterstützung erhielt Juncker selbstredend vom eigenen Lager aus der EVP. Der Fraktionsvorsitzende Manfred Weber meinte gar, dass die EU die letzten vier Jahre ohne Jean-Claude Juncker nicht überstanden hätte. Heute stehe Europa daher, auch mit dem Brexit, geeinter da. Allerdings könne diese Einigkeit nur aufrechterhalten werden, wenn auch die Lebensbedingungen in der EU die gleichen sind. Da gebe es noch einiges zu tun, gab der EVP-Politiker zu bedenken.
Auch die Vorsitzende der Linken im EP, Gabi Zimmer wies darauf hin, dass zehn Jahre nach der Finanzkrise das Wohlstandsniveau von damals noch nicht überall erreicht sei. Sie forderte, dass die in vielen EU-Staaten «massiv gekürzten Rechte der Arbeitnehmer» wieder zurückgeholt werden. Sie gehe jedoch nicht wie Juncker davon aus, dass die Krise in der EU überwunden sei.
Das sagen Luxemburgs EU-Abgeordnete über Junckers Rede
Tilly Metz
Die grüne EP-Abgeordnete Tilly Metz kann sich der von Jean-Claude Juncker vertretenen Idee anschließen, dass man gleichzeitig sein Land und Europa lieben könne. Sie wolle die Kommission dabei unterstützen, in bestimmten Bereichen ein Verbot von Plastik einzuführen. Doch bedauerte die Grünen-Politikerin, dass Juncker keine «Pisten» aufgezeigt habe, wie die Kommission die Energie-Wende hinbekommen wolle, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Überrascht und erfreut war Tilly Metz über das klare Engagement, das Juncker gegenüber Afrika ausgesprochen hat.
Frank Engel
Für Frank Engel hat Jean-Claude Juncker am Mittwoch eine «ganz komplette Rede» vorgetragen. «Denn es waren alle wesentlichen Elemente darin enthalten, die für unsere Zeit prägend sind», meinte der EVP-Abgeordnete. Diese decken sich denn auch mit den Interessen Engels: Afrika, legale Migrationswege nach Europa sowie die Stellung der EU in der Welt. Zudem habe Juncker konkrete Aussagen gemacht wie beispielsweise die Aufstockung der Grenzschutzbeamten auf 10.000 an den EU-Außengrenzen. «Das müsste bei jenen verfangen, die sich das wünschen», so Frank Engel.
Christophe Hansen
Auch der neue EP-Abgeordnete Christophe Hansen fand, Juncker habe «eine ganz positive Rede» gehalten. Er habe es vermieden, sich selbst auf die Schulter zu klopfen, obwohl die Kommission mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt hätte. Dabei verwies Hansen auf den Brexit und die Migrationskrise. Er sieht die Rede eher als Einleitung des Schlussspurtes der laufenden Legislaturperiode. Dabei hofft der EVP-Politiker, dass vor den Europawahlen eine Einigung über den mehrjährigen EU-Haushalt gefunden wird, damit laufende Programme weitergeführt werden können.
Georges Bach
Es sei «eine allgemein gute Rede» gewesen, so der Eindruck von Georges Bach. Juncker habe sich nicht mit Details aufgehalten, sondern sei vielmehr auf die großen Herausforderungen eingegangen wie die Frage der Migration, die Verbesserung des Grenzschutzes oder die neue Partnerschaft mit Afrika, erklärt der EVP-Politiker. Er hätte sich mehr in Sachen Soziales erwartet, zum Beispiel wie es mit der angestrebten Schaffung einer europäischen Arbeitsagentur weitergehen solle, so Georges Bach weiter. Gefallen habe ihm, dass Juncker einen deutlichen Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus gemacht habe.
Mady Delvaux-Stehres
«Jeder dachte, jetzt wird er sein Testament vortragen», doch dem sei nicht so gewesen, sagte Mady Delvaux-Stehres, die eine «ganz proeuropäische Rede» gehört hat. Auch die EU-Parlamentarierin der sozialdemokratischen Fraktion meinte, dass Juncker alles Wesentliche angesprochen hatte. Erstaunt zeigte sie sich darüber, dass Juncker viel über Nachhaltigkeit geredet habe. Das Soziale hingegen sei zwar ziemlich spät in der Rede vorgekommen, doch immerhin sei darüber geredet worden, so Mady Delvaux-Stehres. Der das aber nicht reicht. Sie meinte, dass «nach den schönen Reden auch etwas in die Realität umgesetzt werden muss».
Charles Goerens
Jean-Claude Juncker verdiene die Unterstützung des Europäischen Parlamentes, wenn es darum gehe, die Entscheidungsmechanismen in der EU zu verbessern, meinte Charles Goerens. Die Einstimmigkeit sei «Quelle von Verspätungen und Blockaden», die Europa schwäche. Vor allem im Bereich der gemeinsamen Außenpolitik sollten die Entscheidungsprozeduren geändert werden, so der liberale EP-Abgeordnete.
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