Es war die 16. außenpolitische Rede, die Jean Asselborn in seinem Amt als Chef der Luxemburger Diplomatie hielt. Und es sei die schwierigste in ihrer Vorbereitung gewesen, sagte Jean Asselborn am Dienstag in seiner Deklaration in der Chamber. „Was niemand von uns wahrhaben wollte, was keiner von uns glauben konnte, ist brutal eingetreten: Europa sollte im 21. Jahrhundert, trotz aller Friedensbemühungen, wieder einen Krieg erleben.“ Laut Asselborn übertreffe dieser militärische Angriff in seinem Ausmaß, in seiner Brutalität, in seinen globalen Konsequenzen alles, was dieser Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg gekannt habe. „Dies ist nicht nur ein Krieg Russlands gegen die Ukraine, es ist die Konfrontation zwischen zwei politischen Systemen, zwischen zwei Weltvorstellungen“, betonte er.
Die Ukraine braucht jede Hilfe, die wir ihr geben können, um sich gegen diese mörderische Aggression Russlands zu verteidigen.
„Die Ukraine braucht jede Hilfe, die wir ihr geben können, um sich gegen diese mörderische Aggression Russlands zu verteidigen“, betonte Asselborn. Zum ersten Mal in der Geschichte Luxemburgs habe unser Land Waffen in ein Kriegsgebiet geliefert, sagte der Außenminister und nannte einige Zahlen. Bislang habe das Großherzogtum Waffen und Material im Wert von über 72 Millionen Euro an die Ukraine geliefert. Das entspreche 16 Prozent des luxemburgischen Verteidigungsbudgets. Auch beteilige sich Luxemburg an der „Europäischen Friedensfazilität“ (FEP), die sechsmal 500 Millionen Euro für Waffenlieferungen und anderes Material zur Verfügung gestellt habe.
Auch in der Flüchtlingsfrage habe Luxemburg seine Verantwortung übernommen, sagte Asselborn. Seit Ende Februar dieses Jahres habe das Großherzogtum für rund 4.500 Menschen den temporären Schutzstatus ausgesprochen, darunter rund 3.000 Erwachsene und 1.500 Kinder. Der Status, der anfänglich bis März 2023 gültig war, sei nun um ein zusätzliches Jahr verlängert worden. Somit habe man diesen Menschen ermöglicht, in Luxemburg zu wohnen, zu arbeiten und die Kinder an einer Schule einzuschreiben. Da der Krieg weiter zu eskalieren drohe, sei man nun dabei, sich auf weitere Anfragen von Flüchtlingen vorzubereiten.
Sanktionen als Notwendigkeit
Mit einem Land [Russland], das so zynisch und brutal gegen das internationale Recht und gegen die Menschenrechte vorgeht, macht man keine Geschäfte.
Asselborn rechtfertigte in seiner Deklaration die von der EU eingeführten Sanktionen gegen Russland. Ziel dieser Sanktionen sei es, Russland die Mittel zu entziehen, den Krieg weiterführen. Dies wurde mit den internationalen Partnern eng koordiniert. „Diese Sanktionen sind keine Wahl, sondern eine Notwendigkeit“, sagte der Außenminister. In diesem Zusammenhang lobte er auch die Einheit, die die EU im Großen und Ganzen nach außen demonstriert habe. Über 17 Milliarden Euro seien durch die EU eingefroren worden, davon 5,5 Milliarden in Luxemburg. Alternativen zu den Sanktionen sah Asselborn keine: „Mit einem Land, das so zynisch und brutal gegen das internationale Recht und gegen die Menschenrechte vorgeht, macht man keine Geschäfte.“
Der aktuelle Konflikt habe den europäischen Energiemarkt durcheinander gerüttelt, sagte Asselborn. Russland sei trotz Spannungen und Differenzen in den vergangenen Jahrzehnten stets ein zuverlässiger Energielieferant gewesen. Doch nun sei es auch in diesem Bereich zu einem Paradigmenwechsel gekommen. „Jetzt gilt es, so schnell wie möglich unabhängig von fossilen russischen Brennstoffen zu werden“, betonte der Außenminister. Er bezeichnete die Reduktion unseres Energieverbrauchs als die erste und beste Lösung im Fall von Energieengpässen. Kurzfristig sollten wir unseren Energieverbrauch dem anpassen. Langfristig müssten wir massiv in die thermische Renovierung von Gebäuden investieren.
International seien wir mit einigen Entwicklungen konfrontiert, die den fundamentalen luxemburgischen Interessen zuwiderlaufen würden, sagte Asselborn. Hier nannte er die Krise des Multilateralismus, geopolitische Spannungen sowie wirtschaftliche Abkopplungsbestrebungen. Diese würden das regelbasierte Handelssystem seit einigen Jahren in Gefahr bringen. Dazu kämen noch die Covid-Pandemie und aktuell der Krieg in der Ukraine. In der EU sei deshalb ein Rahmen zur Überprüfung von Direktinvestitionen eingeführt worden sowie ein Rechtsinstrument, um Zwangsmaßnahmen von Drittstaaten abzuwenden. Auch auf nationaler Ebene sei man dabei, einen überarbeiteten Text zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen auszuarbeiten. Luxemburgische Betriebe und die Wirtschaft sollten dadurch besser geschützt werden gegen jene, die den Handel als Waffe gegen unsere Sicherheit benutzen wollen, erklärte der Außenminister.
EU-Erweiterungsprozess
Angesichts der angespannten geopolitischen Lage brauche man laut Asselborn nicht nur sichere Lieferketten, sondern müsste zudem garantieren, dass Produkte, die im EU-Binnenmarkt angeboten werden, nachhaltig und ausbeutungsfrei hergestellt wurden. Luxemburg setze sich in Brüssel für eine Stärkung der Menschenrechte im Bereich des internationalen Handels ein.
Der Chefdiplomat ging in seiner Deklaration vor der Chamber auf den EU-Erweiterungsprozess ein. Er bekräftigte, dass es richtig war, unter anderem der Ukraine den EU-Kandidatenstatus verliehen zu haben. Er räumte aber auch ein, dass es falsch war, Nordmazedonien, welches alle Kriterien erfüllt hatte, die Verhandlungen aufgrund eines bilateralen Problems zu verweigern. Zurzeit gebe es zehn Länder mit Kandidatenstatus, beziehungsweise Länder, die eine Perspektive darauf hätten. „Was bedeutet eine Europäische Union mit potenziell 37 Staaten?“, fragte er. Hier müsse man in den nächsten Jahren nach Lösungen suchen. Sollten die Ukraine und sämtliche Balkan-Länder eines Tages EU-Mitglied sein, würde sich der Schwerpunkt der Union in den Osten verlagern. Man müsse Acht geben, dass sich die Werte der EU auch in die gleiche Richtung ausbreiteten und keine weitere Einteilung in ein „altes“ und „neues“ Europa stattfinden würde, so Asselborn.
Auf dem Terrain deutet nichts darauf hin, dass Russland dabei wäre, taktische oder strategische Atomwaffen startklar zu machen.
Der Minister stellte die Frage, wie es nun mit der Sicherheitsarchitektur in Europa weitergehen soll. Diese sei gemeinsam mit der damaligen Sowjetunion und dem heutigen Russland aufgestellt worden. Seine Antwort: „Mehr NATO und mehr Europäische Union.“ Heute erlebe die NATO fast schon eine zweite Jugend. Sie sei keine Kriegspartei, sondern spiele eine wichtige Rolle in der Unterstützung der Ukraine, betonte Asselborn. Und das Europa der Verteidigung habe, fast notgedrungen, mehr Profil bekommen. Zu den atomaren Drohungen Putins meinte Asselborn, dass der russische Krieg auch ein Geschäft mit der Angst sei, um den Westen auseinanderzutreiben und somit seine Solidarität mit der Ukraine infrage zu stellen. „Auf dem Terrain deutet nichts darauf hin, dass Russland dabei wäre, taktische oder strategische Atomwaffen startklar zu machen“, so der Außenminister. Sobald der Frieden wieder eintreffe, sei es wichtig, jene zur Rechenschaft zu ziehen, die für die Kriegsverbrechen verantwortlich sind.
USA, China und Naher Osten
Asselborn lobte die nach dem Ende der Trump-Jahre und der Wahl Joe Bidens als US-Präsident wieder zuverlässig gewordenen transatlantischen Beziehungen mit den USA. Gegenüber China betreibe die USA aber weiter die Politik des „America first.“ Für Luxemburg dagegen bleibe China ein Partner in vielen Bereichen, trotz großer Unstimmigkeiten, an erster Stelle bei den Menschenrechten.
Nicht nur in Europa, sondern an vielen Orten der Welt gebe es Kriege und Konflikte, erinnerte Asselborn. Er nannte einige Beispiele, insbesondere in Afrika. Dort hätten die Lebensmittelunsicherheit und die Preissteigerung, aber auch die schlimmste Trockenheit seit 40 Jahren die humanitären Notfälle noch weiter verstärkt. Auch ging der Außenminister auf die Protestbewegung der Frauen im Iran ein. Zudem kam er auf die andauernden Konflikte im Nahost zu sprechen: In Palästina werde die Repression immer schlimmer. Afghanistan bleibe eins der Länder, aus denen die meisten Menschen zu uns flüchten. Zurzeit steige der Migrationsdruck in Europa im Allgemeinen wieder stark an.
Hört, hört... der alte weisse Mann spricht!
Mit so einer Rede werden wir wohl darauf vorbereitet dass es noch sehr viel teurer für uns werden wird.