Indonesiens Hauptstadt Jakarta wird von vielen Problemen geplagt: Die Millionenstadt ist berüchtigt für ihr Verkehrschaos, für Müll und häufige Überschwemmungen. Letztere werden dadurch begünstigt, dass Jakarta sinkt. Manche Gebäude sacken jährlich bis zu 25 Zentimeter ab. Selbst die gigantische See-Mauer, die die Stadt seit Oktober 2014 baut, wird wohl nicht verhindern, dass einige Wohngebiete permanent überschwemmen.
Die Lage ist so schlimm, dass der südostasiatische Inselstaat inzwischen eine neue Hauptstadt baut. Doch auch wenn Nusantara auf der Insel Borneo verspricht, irgendwann einmal die grünste und nachhaltigste Stadt der Welt zu werden, so wird sie trotzdem nicht die Probleme der meisten Menschen in Jakarta lösen. Denn nur ein Bruchteil der derzeitigen Einwohner – in Jakarta wohnen über zehn Millionen Menschen, in der näheren Region nochmals weitere 20 Millionen – wird wohl tatsächlich in die neue Stadt umziehen.
Durchgehend „ungesund“
Zu all diesen Wehen kommt der Smog. Auch die schlechte Luftqualität ist eigentlich nichts Neues für die Bürger Jakartas, doch über die vergangenen Monate und Wochen hat sich die Situation so verschlechtert, dass das Leben für manche schier unerträglich geworden ist. Andreas Harsono, ein Menschenrechtsaktivist bei der Organisation Human Rights Watch in Indonesien, beschrieb die augenblickliche Situation in einer E-Mail als „sehr schlimm“. „Ich huste jetzt seit mehr als einer Woche“, schrieb der Indonesier.
Seit Mai gehört Jakarta durchweg zu den zehn Städten mit der größten Luftverschmutzung weltweit. Das Schweizer Unternehmen IQAir, das eine globale Rangliste der vermutztesten Städte der Welt herausgibt, bewertet die Luft in der Hauptstadt inzwischen durchgehend als „ungesund“ oder als „ungesund für sensible Gruppen“. Letzteres sind beispielsweise Menschen, die bereits an Atemwegserkrankungen leiden. Laut Reuters soll inzwischen sogar der indonesische Präsident Joko Widodo seit mehreren Wochen einen hartnäckigen Husten mit sich herumschleppen, den ein Beamter gegenüber Reportern bereits auf die hohe Luftverschmutzung in Jakarta zurückführte.
32 indonesische Bürgerinnen und Bürger sind wegen der hohen Luftverschmutzung bereits 2019 vor Gericht gegangen. In einer Sammelklage wollen sie den Präsidenten, mehrere seiner Minister sowie den Gouverneur von Jakarta zur Verantwortung ziehen. Einer der 32 Ankläger ist Leonard Simanjuntak, der Direktor der Umweltorganisation Greenpeace in Indonesien. „Vor zwei Gerichten haben wir mit unserer Klage bereits gewonnen“, berichtet er. Doch die Regierung sei jedes Mal in Berufung gegangen. Momentan liege der Fall beim Obersten Gerichtshof in Jakarta. Angeblich soll dort bald eine hoffentlich endgültige Entscheidung fallen.
Nachdem die Lage in den vergangenen Monaten und Wochen stetig schlimmer geworden ist, scheint nun aber unabhängig von der Klage Bewegung in die Regierung zu kommen. „Sie haben so viele Jahre verschwendet“, kritisierte Simanjuntak. „Der Husten musste erst den Präsidenten erreichen, bevor ernsthafte Maßnahmen getroffen werden.“ Doch inzwischen hat Widodo selbst die Problematik während einer Kabinettssitzung im August angesprochen und dabei den „übermäßigen Straßenverkehr, eine lange Trockenzeit und die verarbeitende Industrie, die hauptsächlich Kohle verwendet“ für das Problem verantwortlich gemacht.
Homeoffice-Pflicht
Um die Lage zu verbessern, liegen inzwischen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch. So sollen Autofahrer künftig zu Abgastests gezwungen werden. Es soll stichprobenartige Kontrollen an Fahrzeugen geben und bei Verstößen Strafen. Es wird zudem überlegt, ob künftig jedes Fahrzeug vier Personen befördern muss. Möglich wäre auch, bereits bei der Autozulassung oder der Verlängerung der Anmeldung einen Abgastest mit einzubinden. Außerdem soll die Hälfte der Beamten in der Stadtverwaltung ins Homeoffice, um den Verkehr zu reduzieren. Der indonesische Präsident forderte auch Unternehmen auf, es den Behörden gleichzutun und Mitarbeiter wieder häufiger von zu Hause arbeiten zu lassen. Die Minister bat er, Industrie und Kraftwerke zu kontrollieren. Vor allem die etwa ein Dutzend Kohlekraftwerke rund um Jakarta werden für einen weiteren großen Teil der Emissionen verantwortlich gemacht.
Zudem soll sogenanntes Cloud Seeding zum Einsatz kommen, eine Technik, bei der Salzfackeln in die Wolken geschossen werden, um Regen auszulösen. Denn laut Widodo trägt auch das trockene Wetter zu der derzeit extrem schlechten Luftqualität bei. Normalerweise wasche der Regen die Feinstaubpartikel aus der Luft, so lautet die Argumentation. Simanjuntak ist trotzdem noch nicht völlig überzeugt: Einige der angedachten Maßnahmen seien schlichtweg „Panikaktionen“, kommentierte er die Vorschläge. Doch immerhin versuche man nun, die Lage zu verbessern.
Nur eine U-Bahn-Linie
Einfach wird die Lösung der Situation tatsächlich nicht: Laut des Umweltaktivisten sind 16 Millionen Motorräder in der Stadt unterwegs und sechs Millionen Autos. Es ist bisher nur eine U-Bahn-Linie in Betrieb und es ist nach wie vor billiger, mit dem Motorrad als mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren. Simanjuntak selbst fährt mit dem Auto zur Arbeit – eineinhalb Stunden ist er pro Fahrt unterwegs. Vor einigen Jahren – als die Straßenverbindungen noch schlechter waren – seien es noch zweieinhalb Stunden einfache Fahrt gewesen, meinte der Indonesier. Wegen der langen Fahrtzeiten, aber auch aus Umweltschutzgründen versuchen er und seine Kollegen deswegen häufig von zu Hause zu arbeiten. Für die schlechte Luftqualität macht Simanjuntak aber auch den Staub auf den Straßen verantwortlich sowie das offene Verbrennen von Müll, das in der Stadt nach wie vor üblich ist.
Laut eines Berichts des Air Quality Life Index (AQLI) aus dem Jahr 2022, der vom Energy Policy Institute der University of Chicago (EPIC) entwickelt wurde, ist die Feinstaubverschmutzung inzwischen eine der größten Bedrohungen für die Gesundheit der Menschen in Indonesien. In und um Jakarta würden die Einwohner im Durchschnitt 2,4 Jahre an Lebenserwartung verlieren, hieß es. Der Indonesier Harsono sieht seine einzige Hoffnung derzeit in der „Flucht“. Zumindest am Wochenende wolle er mit seiner Familie die Stadt verlassen, um zwischendurch auch mal wieder bessere Luft zu atmen, meinte er.
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