Im Rahmen des Urban Art Festival erweitert die Escher Kulturfabrik in Zusammenarbeit mit diversen sozialen Trägern und der Gemeinde Esch bereits zum 5. Mal den öffentlichsten aller Ausstellungsräume, nämlich die Stadt an sich. Nationale wie internationale Künstler(innen) verändern derzeit auf kreative Art und Weise das Stadtbild. Dies bleibt nicht unkommentiert. Das Tageblatt hat einige Diskussionspunkte aufgegriffen.
«Es ist – beispielsweise für Politiker – einfacher, Street Art gut zu finden als etwa Graffiti. Es klingt und verkauft sich schlicht und ergreifend besser», statuiert Spike, der weder in den letzten 20 Jahren noch jetzt das Bedürfnis verspürt, sich vor irgendeiner Kamera zu präsentieren. Statt sich ins Rampenlicht zu drängen, zieht er es vor, im Schatten von Gebäuden zu agieren, deren teils unreine und kaputte Fassaden eine Geschichte erzählen, die durch sein Zutun ergänzt werden können. «Wenn du als Politiker verkündest, dass du ein Projekt von einem Street Artist unterstützt, dann ist die Reaktion meist positiv. Sagst du jedoch, dass du mit Graffiti-… (zögert) …-’Künstlern‘ ist ein Begriff, der da nicht unbedingt fällt … sagen wir mal lieber Graffiti-Menschen zusammenarbeitest, dann folgen Fragen wie ’Glaubst du, dass das gut gehen wird? Machen die nicht alles kaputt?‘»
Das, was der sich selbst als «Writer» (kunstvolles Schreiben des eigenen Pseudonyms) bezeichnende Künstler mit einem Schmunzeln und doch auch ernster Miene hier anspricht, geht auf historische Veränderungen einer Kunstrichtung zurück, die eine lange Geschichte innerhalb einer Subkultur hinter sich und wohl noch sehr viele Etappen in einem neuen Kontext vor sich hat. Derweil Spikes Haupttätigkeit als Writer noch zu den Ursprungselementen sogenannter Graffiti-Kunst zählt, gehört vieles von dem, was man heute an den Wänden dieser Welt wahrnimmt, eher zur Ära des Post-Graffiti, die spätestens ab dem Ende der 2000er eingeläutet wurde.
War es vor mehr als zwei Jahrzehnten noch weitaus schwerer, zu Oberflächen zu gelangen, zu deren Verzierung man sich selbst «autorisierte», so werden heutzutage nicht selten Mauern von höherer Stelle designiert, das Material wird gestellt und im Falle des Urban-Art-Festivals in Esch bekommen die Teilnehmer sogar einen mehrstündigen Kurs, um eine Hebebühne zu betätigen, die einen zur gewünschten Position befördert.
(Antworten auf diese Fragen erfolgen nicht nur in diesem, sondern auch in einem weiteren Artikel kommende Woche. Das Tageblatt hat mit allen teilnehmenden luxemburgischen Künstlern sowie den Veranstaltern des Urban-Art-Festivals gesprochen.)
Bedeutet dies nun eine Läuterung für eine ursprünglich guerilla-artige Kunstrichtung, die damals wie heute auch häufig noch der Ruf verfolgt, lediglich aus Kritzeleien zu bestehen und gleichbedeutend mit Vandalismus zu sein? Oder haben wir es vielmehr mit einer voranschreitenden Elegantisierung zu tun, durch die eine Kunstart plötzlich durchorganisierter, konsensfähiger und populärer wird, aber dafür auch an Ecken, Kanten und Aussagekraft verliert?
Old vs. New School
Spike hält die neuen Tendenzen nicht zwingend für schlecht, betont indes, dass man die Anfänge dieser Kultur nicht aus den Augen verlieren und differenzieren sollte: «Vieles von dem, was heute unter den Begriff ’Street Art‘ fällt, hat wirklich nichts mehr mit dem Ursprung zu tun. Der Background der Künstler hat sich verändert. Die Zeit wandelt sich.» Er habe nichts gegen die neue Generation, fügt er hinzu, «jeder muss halt seine Schule machen».
Spike selbst profitiert unter anderem in dem Sinne von seiner eigenen langjährigen Erfahrung, als dass er genug Selbstvertrauen besitzt, um auch auf kleine Distanz mit der Wand zu agieren, ohne jedes Mal hinuntersteigen zu müssen, um zu überprüfen, ob die Proportionen stimmen. Auch besteht keine Panik vor mangelnder Perfektion: «Ich produziere keinen Schickimicki. Bei mir ist ein Fehler ein Fehler. Retuschieren kommt nicht infrage; man muss seine Fehler einfach umplanen; es geht darum, sie neu ins Werk zu integrieren.»
Auch bedeute das Label «Street Art» keineswegs, dass man stets auf Intelligentes und künstlerisch Wertvolles stoße, heißt es weiter. Auch auf luxemburgischen Wänden sei so einiges zu finden, das nicht als der Weisheit letzter Schluss angesehen werden könne. «Wirklich gute Street Art bringt dich entweder zum Lachen oder regt dich zum Denken an. Da ist was Geistreiches dabei, ein Augenzwinkern. Wenn’s beim Betrachter ‚Klick‘ macht, dann hast du was erreicht. Auf der Straße gelingt diese Interaktion dann nicht nur mit 100 Besuchern, sondern vielleicht 100.000 Passanten, je nachdem, wo du sie platziert hast. Das macht es ja gerade interessant …»
Künstler sein = Arm sein?
Die junge Luxemburgerin Lisa Junius ist zum ersten Mal beim Urban-Art-Festival mit dabei. Es ist ihre zweite Wand und zudem die erste im Freien. Ihr erstes murales Werk befindet sich in Differdingen im Creative Hub «1535». Auf dieses waren die Veranstalter bei Instagram (wo Junius geschlagene 52.700 Follower hat) aufmerksam geworden. Sie wird freihändig zeichnen und hat sich darauf eingestellt, eventuell mehrfach runterzuklettern, um zu schauen, ob ihre Linien so verlaufen, wie sie sich das vorstellt.
Als Neuzugang beim Festival, der zudem erst seit Kurzem wieder in Luxemburg lebt, lernt Junius die Szene sowie ältere Künstler, die ebendiese geprägt haben, gerade erst kennen, da sie sich selbst für gewöhnlich mehr im Bereich der Malerei bewegt. Nichtsdestotrotz ist die Künstlerin sich der Vorgeschichte der Street Art bewusst und hat ihren Standpunkt zu den aktuellen Veränderungen: «Ich finde es ehrlich gesagt trotz Subkultur nicht schlimm, dass Künstler mittlerweile für Straßenkunst tendenziell häufiger bezahlt werden. Ich wage zu bezweifeln, dass die Kunst zu etwas anderem wird, weil man gutes Material hat und anständig entlohnt wird … Manchmal hat man echt den Eindruck, Künstler zu sein, müsste gleichbedeutend mit Armut sein, damit es glaubhaft ist …»
Junius zeichnet in der Regel eher nackte Frauen, die – wie sie betont – wirklich nicht sexualisiert sind. Ebenfalls spielen Naturelemente sowie die Farbe Blau in Assoziation mit Traumwelten eine hervorzuhebende Rolle. In ihrer vollen Pracht werden die Damen der Schöpfung Junius’ Wand aber nicht zieren, denn diese befindet sich in einem Schulhof. Ihrem Stil bleibt sie dennoch treu. Es war Lisa Junius ein Anliegen, pädagogisch wertvolle Elemente mit einzubringen, und so kommen unter anderem Toleranz und eine Vielfalt an Kulturen, so wie man sie ohne Zweifel in Esch zahlreich vorfindet, malerisch zum Vorschein auf der Fassade. «Ich bin gar nicht der Mensch, der schockieren möchte», meint Junius außerdem und hält sich somit fern von allzu plakativen Aussagen.
(Statements der Künstlerin selbst sowie der Veranstalter finden Sie im zweiten Artikel zum Urban-Art-Festival.)
An ihrer Mauer wird sie Kritzeleien übermalen, die – wie sie beschreibt –„keine Street Art sind“, da es sich dabei «wirklich um Frechheiten» handele, bei denen „sich stilistisch nicht mal bemüht wurde“. Mit dem Überzeichnen oder Übermalen erwähnt Lisa Junius ein Thema, das vergangene Woche für etwas Aufsehen in Esch gesorgt hatte. Auf dem Boulevard John F. Kennedy wurden nämlich 20 Jahre alte Graffiti mit weißer Farbe überstrichen, damit Sandra Biewers, eine weitere Künstlerin des Festivals ihre Arbeit anbringen kann.
Vergängliche Kunst
Benannte Debatte ist unter anderen deswegen interessant, weil es sich bei Street Art unweigerlich um vergängliche Kunst handelt und das Übermalen einen nicht unwesentlichen Teil des Spiels darstellt. Konservatorische oder gar konservative Haltungen (auch innerhalb der Subkultur) haben da wenig Halt. Lisa Junius fürchtet sich ihrerseits eher weniger davor: «Das Resultat meiner Arbeit ist mir zwar wichtig, aber nicht übermäßig. Ich freue mich jetzt mehr auf den Schaffensprozess. Auch wenn es guttut, das vollständige Werk einmal in Ruhe betrachten zu können, so verharre ich ja nicht ewig davor, sondern ziehe weiter zum nächsten Projekt.»
Unter Druck will Lisa Junius nicht arbeiten. Ebenso wenig soll aber auch das Publikum in die Konfrontation mit ihrer Arbeit gedrängt werden: «Ich kann mir vorstellen, dass Menschen, die nicht in der Kunstszene drin sind, nicht unbedingt drauf schauen und eine große Analyse anstellen, wie man es eventuell in einer Galerie machen würde. Bei Street Art funktioniert es oft eher nach dem Prinzip: ’Es ist schön oder nicht. Oder nichts von beidem.‘ Es ist direkter und ohne beschwerenden Hintergrund. Deswegen kann auch eine Interaktion zwischen dem Werk und dem Betrachter entstehen, die weniger von Druck behaftet ist. So sollte es eigentlich immer sein …»
The next step
Daniel Mac Lloyd schaut trotz seines jungen Alters auf mehrere Street-Art-Projekte zurück und ist bereits zum zweiten Mal in Esch mit dabei. Wie auch bei Lisa Junius stehen in seinen Werken gesellschaftliche Umstände anprangernde Botschaften nicht direkt im Fokus: «Die Themen, die ich behandele, sind weder politisch noch religiös. Da ich relativ abstrakt arbeite, kann jeder das hineininterpretieren, was er möchte und herausfinden, was er darin sehen möchte.»
Dass es in Luxemburg zu einer Art Elegantisierung des Street-Art-Prozesses kommt, möchte er nur teilweise bestätigen, jedoch haben derart durchgeplante Prozesse für ihn einen Haken, der außer ihm wohl auch noch andere Künstler stört: «Ich weiß von anderen Projekten, dass es aufgrund der abzugebenden Skizzen zu Diskussionen und Eingriffen kam. Ich selbst halte so was für eher suboptimal. Ich hatte bisher wohl einfach das Glück, dass meine Sachen so durchkamen, wie ich sie mir vorgestellt habe.» Hinzu käme, dass er ohnehin ungern Skizzen mache, es schränke nicht wirklich ein, verändere aber den Schaffensprozess und wirke durch die sich wiederholenden Arbeitsschritte etwas «aufgewärmt».
Dass man aber beispielsweise durch die Situation, wie man sie beim Festival vorfindet, legal agieren kann, stellt laut Mac Lloyd einen Vorteil dar. «Es ist schon gut, wenn man während der Arbeit nicht darüber nachdenken muss, ob man eine Gefängnisstrafe riskiert. Dementsprechend gewinnt man Zeit und kann sich auf Details konzentrieren und saubere Arbeit leisten.»
Mac Lloyd hatte im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen die Chance, dass zu seinem «Urban Talk» zahlreiche Menschen, darunter auch mehrere Kinder erschienen. Hierbei handelt es sich um Events, die im Rahmen des Festivals überall dort stattfinden, wo etwas Neues entsteht. Die Einwohner sollen die Möglichkeit bekommen, sich mit den Künstlern auszutauschen und darüber zu diskutieren, was direkt vor ihr Tür entsteht. «Ich habe schon den Eindruck, dass sich da was getan hat», schildert der junge Künstler seine Erfahrung, «sie fangen wirklich an, es als Mehrwert für sich und die Stadt wahrzunehmen. Nicht zuletzt auch, weil sehr hässliche und zerstörte Wände verschönert werden. Ihr Alltag wird bunter.» Hierfür müssten sie nicht einmal Aufwand betreiben, außer jenem, einen Fuß vor die Tür zu setzen.
Vor Vandalismus hat er keine Angst: «Mir ist über die letzten Jahr aufgefallen, dass immer mehr Respekt aufkommt. Vernünftige Street Art wirkt quasi wie eine Prävention vor Schmierereien. Es scheint wohl auch ein Bewusstsein dafür zu entstehen, wie viel Arbeit eigentlich dahinter steckt.»
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