«Um sieben Uhr steh isch auf, geh Schule», «Jetzt ist Ruhe in der Hood», «Isch komm mir so vor ob isch wie ein Frau bin» – Beispiele wie diese aus der Jugendsprache und dem sogenannten Kiezdeutsch haben Sprachwissenschaftler für einen Bericht zur Lage des Deutschen gesammelt. Sorgen machen ihnen solche Sätze aber nicht.
«Es war noch nie so viel Standard wie heute», sagt Mitautor Jürgen Erich Schmidt von der Philipps-Universität Marburg am Mittwoch in Berlin. Die Akzeptanz des Standards nehme auch eher zu, dem ohnehin nicht zu stoppenden Sprachwandel könne man gelassen gegenüberstehen.
Der Bericht, herausgegeben von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, ist nach 2013 zum zweiten Mal vorgelegt worden. Daraus einige Erkenntnisse über Sprachformen, die sich auch überschneiden können:
Internetkommunikation wird im Bericht als Ergänzung im Spektrum des Schreibens gesehen – an der Norm ausgerichtetes Schreiben werde dadurch nicht ersetzt. Das oft fehlerhafte Schreiben in Chats und Messenger-Diensten beeinträchtige das Schreiben anderer Textsorten bislang kaum, sagt die Sprachwissenschaftlerin Angelika Storrer. Die Schreiber seien in der Lage, zu unterscheiden und ihre Sprache anzupassen. Es gebe auch keine Hinweise, dass sich die Schreibfähigkeit von Schülern durch das Schreiben im Netz verschlechtere. Fehler in der Online-Kommunikation sieht sie eiliger Textproduktion geschuldet.
Jugendsprache ist bislang nicht ausreichend dokumentiert und nicht einheitlich, wie Nils Bahlo sagt. Als auffälligste Eigenschaft werten Wissenschaftler aber den Wortschatz. Damit wichen Jugendliche stark vom Standard ab, auch um sich abzugrenzen. Vieles ist aus dem Englischen abgeleitet – wie chillen, freakig oder abfucken. Aber auch spielerische Neuschöpfungen gehörten dazu – oft ein stark wertender und komischer Gebrauch von Wörtern, die es in dieser Bedeutung bis dato nicht gab: guttenbergen für abschreiben etwa. Beispiele kämen und gingen, so die Autoren. Klar ist für sie, dass beherrschende Jugendthemen wie Musik, Spaß und Sex die Sprache prägen. Aber längst nicht immer sei das, was etwa in Wörterbüchern als Jugendsprache bezeichnet werde, authentisch. Bei der Jugend seien die dort genannten Begriffe oft nie angekommen.
Deutsch von Migranten, oft Kiezdeutsch oder in der Fachsprache auch Kontaktdeutsch genannt, weist aus Sicht des Berliner Experten Norbert Dittmar Elemente auf, die in der mündlichen Kommunikation von deutschen Muttersprachlern bereits vorkamen. In dieser Sprachform würden die Elemente aber radikaler gemacht und häufiger verwendet. Deshalb würden sie auch verstärkt als besonderes Merkmal wahrgenommen. Deutsche Worte werden verändert ausgesprochen, zum Beispiel wird ich zu isch oder richtig zu rischtisch. Präpositionen lassen Jüngere dem Bericht zufolge eher im informellen Kontext weg, in der Schule aber kaum.
Bei Dialekten kann sich das Prestige völlig wandeln, wie Jürgen Erich Schmidt schildert. Aktuell hält er das Norddeutsche für besonders angesehen. Das vor Jahrhunderten sehr angesehene Sächsische hingegen sei inzwischen am meisten stigmatisiert. Einer Befragung zufolge beherrschen heute laut Bericht noch 57 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen die Lautregeln der echten alten Dialekte – insbesondere im mittel- und norddeutschen Sprachraum breche die Kompetenz bei Jüngeren jedoch ein.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können