Eines muss man der Arbeit des Kulturministers und seiner Mitarbeiter lassen – es waren spannende Jahre, im Laufe derer man von der Kündigung sämtlicher Konventionen durch Maggy Nagel über die Übernahme des Postens des Kulturministers vom «3 in 1»-Minister Xavier Bettel bis hin zur Lunghi-Affäre und dem Esch-2022-Debakel eigentlich keine Zeit hatte, sich zu langweilen. Ganz nebenbei wurde aber auch ein Kulturentwicklungsplan aufgestellt, in Venedig zog Luxemburg ins Arsenale um und das Großherzogtum ist wieder auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. In unserem Überblick resümieren und analysieren wir die letzten fünf Jahre Kulturpolitik.
Von Jeff Schinker und Anne Schaaf
Großes Kino: A History of Violence
Kulturpolitisch zeigte die Regierung ihr wahres Gesicht genau zu dem Zeitpunkt, als die erste Kulturministerin Maggy Nagel alle Konventionen kündigte – die meisten davon wurden zwar kurz darauf wiederum erneut, nur zogen einige Kulturhäuser wie das Trifolion den Kürzeren und mussten ab dann mit einem geringeren Budget auskommen. Diese radikale Art sollte wohl als Aufmerksamkeitsschrei einer Koalition gelten, die alles anders machen wollte. Tatsächlich aber zeugte dieser Anfang «in medias res» von einer Mischung aus einem politischen Desinteresse gegenüber der Kultur und einem oftmals unbeholfenen Einmischen von Kulturministern, die mit Kultur so wenig am sprichwörtlichen Hut haben, dass man sie in den Theaterhäusern höchstens zu sehen bekommt, wenn sie mit Nachdruck von den Intendanten für die Vorstellung der neuen Saison zur Pressekonferenz eingeladen werden.
So verpasste Xavier Bettel mitunter in der Lunghi-Affäre, die schnell zu einem Medienskandal mutierte, die Gelegenheit, abzuwarten, verurteilte den damaligen Mudam-Leiter Enrico Lunghi noch bevor überhaupt irgendwas faktisch etabliert werden konnte und verblieb auch dann bei seinem Urteil, als jedermann feststellen konnte, dass das von der freien Mitarbeiterin Sophie Schramm und RTL inszenierte Narrativ rund um Enrico Lunghis vermeintliche Aggression (fast) nichts weiter als eine fiktionale Seifenblase war, die uns wieder mal belehrte, dass man Bildern nicht blind trauen soll – als hätte man sich in einer dieser allegorischen Fabeln von La Fontaine befunden, in der nur die Tiere gefehlt hätten. Die Lunghi-Affäre zeugte aber auch von einem Interessenkonflikt bei Xavier Bettel: Sein Doppelmandat als Medienminister und Kulturminister war hier mehr deontologisches Hindernis als Vorteil, was auch Tanja Frank («déi gréng») damals feststellte: «Peut-être avez-vous contrevenu à votre principe ‹de la compétence plutôt qu’une carte de parti› et préféré le cumul des mandats à l’attribution des postes à des gens expérimentés dans les différents domaines.»
Nachdem der Ruf des Kulturministeriums bereits durch die Lunghi-Affäre ordentlich geschunden war, dauerte es kein Jahr, bis es wieder in der kulturellen Gerüchteküche rumorte und es hieß, die Koordinatoren, die kurz davor mit ihrem Remix-Bidbook die Kulturhauptstadt fürs Jahr 2022 gesichert hatten, stünden auf dem Abstellgleis. Was sich nach großem Medienrummel und einer sechsmonatigen Kontraktverlängerung von besagten Koordinatoren auch bestätigte – Janina Strötgen und Andreas Wagener wurden auf eine sowohl undurchsichtige als auch unmenschliche Art abgesägt, unter den über 600 Kandidaturen werden die Südgemeinden und das Ministerium wohl problemlos Ersatz finden.
Von Baustellen und Schaufenstern – Kultur und Nation Branding
Es hat etwas gedauert, bis die grundlegenden Neuerungen durchgeführt wurden – aber jetzt, kurz vor den Wahlen, vielleicht, weil die Wählerschaft ein sehr kurzes Gedächtnis hat und solche Errungenschaften am Anfang der Legislatur bereits in Vergessenheit geraten wären, wurde dann die große Rückkehr Luxemburgs auf der Frankfurter Buchmesse angekündigt.
Im gleichen Jahr hat Xavier Bettel auch durchgesetzt, dass das luxemburgische Pavillon von der sympathischen, jedoch eher weit von den Geschehnissen entfernten Ca’ del Duca ins pulsierende Herz der Biennale umziehen konnte – für die stolze Summe von 1,2 Millionen Euro (die Luxemburg jedoch die Ausstellungsfläche für die nächsten 20 Jahre sichert).
So umstritten und gespalten die kulturpolitischen Handlungen der aktuellen Regierung auch gewesen sein mochten – wieso nur 57 Bücher mit nach Frankfurt dürfen, obschon der Stand fast 50 m2 beträgt, ist eine genauso berechtigte Frage wie die, wieso der Kulturminister Kultur scheinbar hauptsächlich nutzt, um Luxemburg vom kargen Image eines reinen Finanzplatzes abzukehren –, kann man immerhin anerkennen, dass die aktuelle Regierung zwar eine Schaufensterkulturpolitik betreibt, diese aber trotz ideologisch zweifelhafter Beweggründe dazu beigetragen hat, der luxemburgischen Kultur mehr Sichtbarkeit im Ausland zu verleihen. Außerdem wird man dieser Legislatur auch den (seit geraumer Zeit notwendigen) Umzug der Nationalbibliothek anrechnen können. Unbeliebte Maßnahmen führt man wohl in einer ähnlichen Logik eher am Anfang einer Legislaturperiode durch – da man so sicherstellt, dass die meisten diese Änderungen wieder vergessen haben oder die Wählerschaft im Zweifelsfall nicht mehr sicher ist, welche Regierung diese abgesegnet hat. So wurde im Dezember 2014 der «Congé culturel» abgeschafft, weil dieser, so Maggy Nagel, nicht maßgebend zur Professionalisierung der Kulturszene beigetragen hätte.
Dass es ein solcher Kultururlaub jungen, angehenden Künstlern erlauben könnte, von den verstärkten Residenzmöglichkeiten (die ja im Kulturentwicklungsplan vorgesehen sind), der internationalen Anwesenheit auf Messen, der Möglichkeit von Tourneen usw. zu profitieren, um sich auf diese Weise langsam zu professionalisieren und so im Laufe der Zeit das finanzielle Standbein des bezahlten, nicht-künstlerischen Jobs aufzugeben – das schien der damaligen Kulturministerin wohl irgendwie entgangen zu sein. Dass die Wiedereinführung des Kultururlaubs mittlerweile in den Wahlprogrammen der Koalitionspartner «déi gréng» und LSAP steht, deutet darauf hin, dass diese Streichung wohl weniger offensichtlich war, als man es durchscheinen lassen wollte.
Vom Tellerwäscher zum Hollywoodstar: Die neoliberale Tagesordnung
Die Wahlprogramme der Koalition überschneiden sich in vielen Punkten mit denjenigen aus dem Jahr 2013. Dies kann man einerseits als Zeichen einer kohärenten, stimmigen Kulturpolitik auslegen – andererseits kommt aber auch der Verdacht auf, dass viele der angeschnittenen Punkte in dem Programm der Koalition nicht einmal die Spur einer Umsetzung bekommen haben. Eine ähnliche Feststellung machte das «Forum Culture(s)» am Anfang des Jahres, als es die Arbeit des Kulturministeriums im Laufe der letzten vier Jahre bewertete und feststellte, dass von 55 geplanten Punkten 37 nicht einmal den Beginn einer Verwirklichung gesehen haben. Raymond Weber präzisierte, «Forum Culture(s)» habe nicht nur eine Bilanz gezogen: «Wir haben den Parteien auch ein halbes Dutzend Wahlprüfsteine unterbreitet. Aber rein konkret wurde außer dem Archivgesetz nichts Weiteres im Regierungsprogramm umgesetzt.»
Liest man sich noch einmal durch besagtes Programm, stellt man auf einen Blick fest, dass auch jetzt, ein halbes Jahr und einen Kulturentwicklungsplan später, viele angekündigte Handlungen, sei es in Bezug auf das Aufbessern der materiellen Bedingungen der Künstler oder das Bereitstellen neuer Einrichtungen (die «Halle des soufflantes» und die Fertigstellung der Rotondes stehen genauso im Regierungsplan wie der Umzug der Nationalarchive), nicht durchgeführt wurden.
Mittlerweile stehen eine Vielzahl der angepeilten Maßnahmen im Kulturentwicklungsplan. Böse Zungen würden behaupten, es habe fünf Jahre und einen sehr tätigen Mittelsmann – Jo Kox – benötigt, um die relevanten Änderungen von einem Regierungsprogramm in einen Entwicklungsplan zu importieren und auszuschmücken. Unter den nicht umgesetzten Aspekten sollte man vorrangig die Verbesserung der materiellen Lage der Kunstschaffenden erwähnen. Das Bild des verschlafenen Künstlers, der alle paar Tage die Kneipe verlässt, um mal schnell ein von der Muse geflüstertes Bild/Gedicht/Lied zu schaffen, ist längst einer Realität gewichen, in welcher der (erfolgreiche) Kunstschaffende vor lauter Überstunden den Sommerferien entgegenfiebert, um das Burnout gegen einen Sonnenbrand auszutauschen.
Dieser Wirklichkeit zollen leider auch die kulturpolitischen Entscheidungen keinen Tribut – im Gegenteil, Xavier Bettel ließ am Ende der diesjährigen «Assises culturelles» hinter den vermeintlichen Subventionierungsbemühungen eine viel liberalere Tagesordnung durchscheinen: Als Schauspielerin Larisa Faber sich beschwerte, dass man im Theatermilieu das Äquivalent des Mindestlohns als finanzielle Errungenschaft ansehe, entgegnete Bettel, aller Anfang sei schwer und auch er habe als junger Anwalt für lau arbeiten müssen. Anouk Schiltz und Peggy Wurth von Aspro, der Vereinigung der hiesigen «Intermittents du spectacle», beobachten, dass Kulturschaffende sich nach wie vor in einer äußerst heiklen finanziellen Lage befinden – und dass sich in dieser Hinsicht in den letzten fünf Jahren nichts geändert hat.
Dabei muss man dem Kulturministerium anrechnen, dass sich in den letzten fünf Jahren so einiges getan hat. Klar kann man mit dem aktuellen Kulturentwicklungsplan nicht einverstanden sein und sowohl die Herangehensweise kritisieren (wurde das Dokument ausgelagert, um eine politische Neutralität zu bewahren oder um im Falle des Scheiterns einen Sündenbock parat zu haben?) als auch seine Unvollständigkeit bemängeln oder die Methodologie kritisieren (der KEP sei weniger ein Plan als eine Liste von Empfehlungen, äußerten sich so einige, andere warfen ihm eine Rückkehr zu kommunistischer Planwirtschaft vor).
Leugnen kann man allerdings nicht, dass unter der aktuellen Regierung der erste Kulturentwicklungsplan für Luxemburg aufgestellt wurde – und dass sich sowohl die meisten Parteien wie auch «Forum Culture(s)» und die Künstlervereinigungen Actors, ALTA und Aspro einig sind, dass das Dokument eine grundsolide und wertvolle Basis darstellt. Raymond Weber meinte hierzu: «Es gibt eine ganze Menge positiver Ansätze im KEP. Was aber immer noch fehlt, ist ein gesellschaftspolitischer Ansatz, der nicht nur mehr oder weniger gut gemeinte Empfehlungen ohne Hierarchisierung vorstellt, sondern auf die kulturpolitischen Herausforderungen für die nächsten Jahre eingeht und eine transversale, soziokulturelle Politik mit konkreten Zielsetzungen formuliert.» Dies bestätigten Peggy Wurth und Anouk Schiltz: «Das Dokument hat solide Ansätze, uns fehlt es aber an konkreten Maßnahmen. Zudem liest man aus dem Plan nicht heraus, was vorrangig und was zweitrangig ist.»
Mau-Mau – Bilanz der Arbeit der Kulturkommission
Von einem regen Treiben in jener Kommission, die für die kulturellen Belange verantwortlich ist und von DP-Mitglied André Bauler präsidiert wird, zu sprechen, wäre etwas übertrieben. Laut öffentlich zugänglichem Kommissionskalender kam sie während der gesamten Legislatur 64-mal zusammen (im Schnitt also knapp zwölfmal pro Jahr), dennoch liegen bis heute lediglich sechs Dossiers vor, an denen in diesem Zeitraum gearbeitet wurde.
Darunter der Gesetzentwurf zum Archivgesetz, ein weiterer Gesetzentwurf, der sich mit der Harmonisierung der kommunalen Musikschulen befasst und ein Dokument bezüglich der wissenschaftlichen Vereinigung von Forschern namens «Institut grand-ducal». Weitere vier Dokumente beinhalten entweder Zustimmungsverfahren zu Konventionen oder europäische Direktiven.
Das wohl prominenteste Beispiel dafür, dass diese Instanz aber noch existiert, ist das relativ rezente, nicht ganz unumstrittene Zitieren der Mudam-Direktorin Suzanne Cotter in einer der Sitzungen. Beantragt und anberaumt wurde diese nicht rein zufällig im Anschluss an die Ankündigung des Abbaus der «Chapelle» des belgischen Künstlers Wim Delvoye.
Wahrheit oder Pflicht – 171 „questions parlementaires“ zur Kultur in fünf Jahren
And the winner is (in one way or the other): Fernand Kartheiser von der ADR. Er hat mit 32 «questions parlementaires» die meisten Anfragen gestellt, dicht gefolgt von LSAP-Mitglied Fränz Fayot (29) und André Bauler von der DP, welcher mit satten 19 etwas hinterherhinkt. Ex-CSV-Kulturministerin Octavie Modert bekommt mit 12 noch einen kleinen Trostpreis, hatte sie sich doch noch ins Zeug gelegt gegenüber jener Front (der breitesten letztendlich), welche genau 0 Fragen zum Thema stellte.
Es geht jedoch klar aus den vorhandenen Daten auf chd.lu hervor, dass die konservative Oppositionspartei zumindest im kulturellen Kontext am meisten Gebrauch von diesem Instrument gemacht hat, wenn auch der Spitzenkandidat Claude Wiseler in fünf Jahren ebenso viele Fragen wie Sam Tanson von den Grünen in den Raum stellte, nämlich zwei. (Man bedenke hierbei, dass die grüne Spitzenkandidatin erst seit diesem Jahr in der «Chamber» sitzt.) Nun aber noch einmal zurück zu Herrn Kartheiser: Wenn er Maggy Nagel oder auch Herrn Bettel um Informationen zu einem bestimmten Thema bat, so ging es nicht selten um lokales Kulturerbe, Sprachen im Kulturbetrieb oder – wie sollte es anders sein – seine Muttersprache. Daneben rangierten aber auch Fragen zu der Unterstützung luxemburgischer Künstler und, nicht zu vergessen, dem Abbau der «Chapelle» im Mudam. (Wobei die Antwort auf sich warten ließ und karg ausfiel.)
Auch Identitäten spielten eine nicht unwesentliche Rolle. Das Theaterstück «Lëtzebuerg, du hannerhältegt Stéck Schäiss» des Künstlerkollektivs Richtung 22 sorgte unter anderem für Missmut und offene Fragen 2015, da nicht nur er allein nicht begeistert war, dass das Projekt vom Kulturministerium mit finanziert wurde.
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