Sogar aus Brüssel kommt Lob: „Spanien ist heute ein Motor der Union“, sagt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das schwer von der Pandemie getroffene Land habe sich wieder gut erholt. Und es sei jetzt Vorreiter beim Klimaschutz. „Spanien gehört zu den führenden Ländern bei sauberen Energien.“
Auch mit sozialen Reformen ging es voran. Im Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung machte das frühere Macho-Land riesige Fortschritte. Im Gleichstellungsindex der EU liegt Spanien in der Spitzengruppe. Hinzu kommt eines der liberalsten Abtreibungsgesetze Europas. Sánchez’ progressive Parlamentsmehrheit billigte außerdem die aktive Sterbehilfe. Und ein Selbstbestimmungsgesetz für Trans-Menschen, die nun unbürokratisch den Geschlechtseintrag im Ausweis ändern lassen können.
Spanien wurde unter Sánchez zu einer treibenden Kraft der EU. Der Premier ist in Brüssel hoch angesehen. Er gilt sogar als Kandidat für internationale Ämter. Aber zu Hause ist der 51-Jährige umstritten, sein Stuhl wackelt. Umfragen zufolge könnte er am Sonntag (23. Juli) die nationale Wahl und damit die Macht verlieren. Nach dem Wahlbarometer des öffentlichen Rundfunks RTVE wird Sánchez‘ konservativer Rivale, der 61-jährige Alberto Núñez Feijóo, die Wahl mit 34-35 Prozent der Stimmen gewinnen. Zusammen mit der Rechtspartei Vox, die bei 12-13 Prozent liegt, könnte es für den konservativen Block zur absoluten Mehrheit reichen. Feijóo, Vorsitzender der konservativen Volkspartei (PP), hat somit gute Karten, Spaniens neuer Regierungschef zu werden.
Der Sozialdemokrat Sánchez, Chef der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), kommt demzufolge nur auf 28-29 Prozent. Allerdings kann er ebenfalls auf Unterstützung rechnen. Und zwar vor allem vom neuen linksalternativen Bündnis Sumar (Summieren), zu dem sich 15 linke Parteien vereinten, darunter Sánchez‘ bisheriger Koalitionspartner Podemos. Sumar könnte, wie Vox, auf 12-13 Prozent kommen – was aber nicht reichen würde, um Sánchez zu retten.
Konflikt in Katalonien entschärft
Für den Sozialdemokraten dürfte es also eng werden. Allerdings kann sein progressiver Block wohl zudem, wie bisher, auf die Unterstützung der Unabhängigkeitsparteien aus dem Baskenland und Katalonien rechnen. Auch wenn deren Stimmen einen hohen Preis haben.
Hier liegt einer der Hauptgründe für Sánchez’ drohenden Absturz. Mit immer neuen Zugeständnissen hatte sich seine Minderheitsregierung die Stimmen der baskischen und katalanischen Regionalparteien gesichert. Dies erzürnte nicht nur die konservative Opposition, die ihn als „Vaterlandsverräter“ brandmarkte. Auch aus den eigenen Reihen kam Kritik.
Als Sánchez dann noch jene verurteilten katalanischen Separatisten, die 2017 Katalonien einseitig von Spanien abspalten wollten, begnadigte, brach ein Sturm der Entrüstung aus. „Ich hätte das nicht gemacht“, sagte Felipe González, prominenter Parteigenosse und Ex-Regierungschef.
Dass es Sánchez mit seinem Entgegenkommen gelang, den brodelnden katalanischen Unabhängigkeitskonflikt zu entschärfen, geht in dieser emotionalen Debatte um die Einheit der Nation unter: Inzwischen wünscht nur noch eine Minderheit der Katalanen die Unabhängigkeit von Spanien.
PP-Kandidat setzt auf persönliche Angriffe
Aber positive Nachrichten spielen in dieser Wahlschlacht keine Rolle. Stattdessen stehen persönliche Angriffe im Vordergrund. So wirft der konservative Herausforderer Feijóo seinem Rivalen Sánchez vor, eigensüchtig zu sein. Sánchez sei bereit, Spanien an die Separatisten zu verkaufen, um seine Macht zu retten.
Entsprechend macht Feijóo mit dem populistischen Spruch „Sánchez oder Spanien“ Wahlkampf. Mit diesem Motto stempelt Feijóo die Unterstützer des Sozialdemokraten zu Feinden der Nation. Feijóo verspricht: „Ich werde den Sanchismus abschaffen.“ Was Sanchismus bedeutet? „Boshaftigkeit, Lüge und Manipulation.“ So wurde „Sanchismus“ in Spanien zum Schimpfwort.
Der prominente spanische Politologe Pablo Simón sieht die Nutzung des Wortes „Sanchismus“ als eine Art Ablenkungsmanöver der Konservativen. „Der Begriff Sanchismus wurde erfunden, um die Abstrafung auf Sánchez’ Person zu konzentrieren und um nicht über seine Politik zu sprechen.“
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