Tageblatt: Benoît Niederkorn, Sie sind zum ersten Mal in Südkorea, haben aber die Geschichte des Koreakriegs und vor allem der Luxemburger Beteiligung daran im Detail aufgearbeitet. Wie ist es da, vor Ort zu sein?
Benoît Niederkorn: Man hat seine Vorstellungen, viele Fotos gesehen, vor allem die von damals. Da ist man dann natürlich geflasht von dem, was in den letzten 70 Jahren hier aufgebaut wurde. Wenn man weiß, welche Zerstörungen angerichtet wurden und was die Veteranen von Land und Landschaft erzählt haben, dann ist es absolut beeindruckend, jetzt zwischen all diesen Hochhäusern zu stehen.
Am Mittwochmorgen stand der Besuch des Museums zum Koreakrieg auf dem Programm der Delegation. Auch vom Museum haben Sie wahrscheinlich viele Fotos gesehen. Wie war es, vor dem Luxemburger Denkmal oder der Tafel mit den Namen der getöteten Soldaten Roger Stutz und Robert Mores zu stehen?
Allein schon der große Gedenkplatz ist beeindruckend, weil die Koreaner ja pedantisch sind – ich meine das im positiven Sinn – und für jedes Land eine Fahne und eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse haben. Auch die Galerie mit den Namen aller Gefallenen ist beeindruckend. Dazu kommt das ganze Protokoll der Zeremonien. Da merkt man, wie sie die Erinnerungskultur hochhalten. Das ist etwas ganz anderes als das, was wir aus Europa kennen. Quasi jeder weiß hier, wer die Luxemburger sind.
Die Anerkennung der Koreaner gegenüber den Luxemburgern hat man in den ersten beiden Tagen der Visite effektiv überall gespürt. In diesem Zusammenhang: Warum gab es diese Anerkennung für die Koreakämpfer nach ihrer Rückkehr nicht in Luxemburg?
Das war eher der Situation geschuldet. Luxemburg kam gerade aus einem Krieg und baute eine neue Armee auf. Zudem wollte Luxemburg seine Versprechen gegenüber den Amerikanern halten und zusammen mit ihnen eine Gemeinschaft aufbauen. Immerhin hatten die Amerikaner unser Land wenige Jahre zuvor befreit. Also wurden freiwillige Soldaten nach Korea geschickt. Das Problem war, dass der Krieg 20.000 km entfernt war. Aus dem Koreakrieg wurde der „vergessene Krieg“. Die Erinnerungskultur konnte sich für die 85 Freiwilligen zudem nicht richtig entwickeln, weil viel größere Vereinigungen aus dem Zweiten Weltkrieg wie die der Zwangsrekrutierten oder der Resistenzler im Mittelpunkt standen. Die „Koreaner“, wie ich die Luxemburger Koreakämpfer nenne, waren eine Untersektion der „Anciens Combattants“-Vereinigung (zuständig für Gedenkfeiern und die „Gëlle Fra“ z.B., d. Red). Die kümmerten sich nach 1945 um den Zweiten Weltkrieg. Da war es für die „Koreaner“ sehr schwer, sich als Sprachrohr durchzusetzen. In anderen Ländern war das nicht anders, zum Beispiel in Frankreich.
Spielt es da eine Rolle, dass der Koreakrieg wenig mediatisiert wurde, ganz im Gegensatz zum Vietnamkrieg später?
Richtig. Für den Amerikaner zum Beispiel ist der Koreakrieg ein „vergessener Krieg“, weil er zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Vietnamkrieg stattfand. Der Vietnamkrieg ist via TV in die Wohnzimmer gekommen. Im Vietnam kämpfte eine ganz neue Generation von Soldaten, während es in Korea größtenteils Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg waren. Daher ist die Erinnerungskultur an Vietnam eine ganz andere.
Sie haben sich für die Ausstellung und das Buch sehr lange mit den 85 Luxemburger Soldaten beschäftigt. Was waren das für „Typen“?
Für mich sind sie ein Querschnitt der Luxemburger Sozialgeschichte. Es beginnt mit der Frage, wieso sie sich gemeldet haben. Es wurde ja nicht nur innerhalb der Armee nach Freiwilligen gesucht, sondern auch außerhalb. Zum Beispiel war im Tageblatt eine Annonce geschaltet worden, ein Aufruf, sich zu melden. Dementsprechend gibt es drei große Kategorien. Die ersten sind die Idealisten. Das sind die, die mit 15 oder 16 Jahren erlebt hatten, wie der Bahnhof in der Stadt bombardiert wurde oder sie hatten wie Léon Moyen die Ardennenoffensive erlebt. Und natürlich die Befreiung. Sie wollten den Koreanern das gleiche Schicksal ersparen, das Luxemburg erfahren hatte. Die zweite Gruppe sind die Abenteurer. Diejenigen, die in die Fremdenlegion gegangen sind oder auch schon den Zweiten Weltkrieg in den alliierten Reihen mitgemacht hatten. Im ersten Kontingent bestand der gesamte Unteroffizierskader aus Weltkriegsveteranen. Das sind Leute, die ihren Beruf gelernt haben und die ihn ähnlich wie Legionäre weiter ausleben wollen. Und die dritte Kategorie sind diejenigen, die sich aus finanziellen Gründen gemeldet haben. Man muss bedenken, dass sich Luxemburg nach 1945 im Wiederaufbau befand. Vieles war noch nicht fertig und es fehlte an Arbeitsplätzen. Man konnte im Süden bei der Arbed oder in den Minen arbeiten, aber wenn man im Norden oder im Zentrum lebte, fand man oft keine direkte Anstellung. Und hier bekam man nun die Möglichkeit, während eines Jahres in der Armee das Zehnfache von dem zu verdienen, was ein normal eingezogener Soldat verdiente. Korea-Veteran Robert Müller sagte danach: „Wir haben uns gefühlt wie Arbed-Direktoren“. 100 Franken am Tag plus die Prämien waren enorm viel Geld zu dieser Zeit.
Aus der Sicht eines Historikers und Museumsdirektors, weshalb ist es so wichtig, die Erinnerungskultur hochzuhalten?
Für mich hat die Erinnerungskultur einen hohen Stellenwert, weil früher war es ja so, dass der Großvater vom Krieg erzählt hat. Das Problem ist, dass viele nicht mehr da sind. Und wenn die Großväter nicht mehr vom Krieg erzählen können, dann müssen wir mit anderen Mitteln an ihn erinnern. Heute gibt es viel mehr Möglichkeiten, als Blumen vor einem Monument niederzulegen. Für mich ist Erinnerungskultur zum Beispiel auch, die Biografien der Personen zusammenzustellen und mit anderen zu teilen. Zu zeigen, welchen Weg sie gegangen sind. So können sich die Menschen mit ihnen identifizieren. Und in Luxemburg schaut man bekanntlich gerne, ob man den Namen kennt oder jemand aus seinem Dorf dabei ist. Das weckt das Interesse und ist dann für mich Erinnerungskultur. Im Gegensatz dazu stehen die vielen Monumente mit Namen drauf, bei denen heute quasi niemand mehr weiß, wer sie waren, weil die Nachkommen zum Beispiel lange aus dem Dorf weggezogen sind. Wir hatten die Möglichkeit, die Biografien der Luxemburger im Koreakrieg zusammenzustellen, sie in einem Buch und auf einer Internetseite zu publizieren. Die Menschen erfahren so, wer diese Leute waren, wie ihr Leben verlaufen ist und warum Luxemburg in den Krieg gezogen ist.
Die Ausstellung im Militärmuseum ist seit Juni beendet. Wie geht es mit ihr weiter?
Sie ist als Wanderausstellung konzipiert und soll nun in die Schulen kommen. Am besten ab der nächsten „Rentrée“, aber spätestens bis zum nächsten Januar. Sie beschränkt sich nicht auf Plakate, wir haben eine ganze Reihe Sachen mit dabei, z.B. eine „valise pédagogique“ mit Objekten, die wir von den Familien der „Koreaner“ bekommen haben. Fotoalben, Tagebücher und Ähnliches. Und die Recherche ist natürlich nicht abgeschlossen. Wir sind weiter auf der Suche nach Informationen zu den Biografien der 85 Soldaten.
Dat hei huet zwar näischt mam Koreakrich ze dinn, mee trotzdeem:
Merci, Här Hottua, fir di intressant Informatioun a merci och un d'Forum-Redaktioun, déi den Artikel vun 2005 vum Rob Roemen fräi zougänglech gemaach huet.
Speziell de Gomand-Prozess an déi dono erfollegt Verhaftung vun deenen Zeien, déi d'Exilregierung als egoistesch an onbaarmhäerzeg entlarven, weisen, dass nach vill Geschicht vu Lëtzebuerg muss opgeschafft ginn.
Eine Erinnerungskultur muss vollständig sein und auch negative Aspekte berücksichtigen. Auch die Spanienkämpfer bekamen in Luxemburg keine Anerkennung.
▪ Fußnoten der Geschichte
(Forum, November 2005)
Geschichtsschreibung ist immer auch gesellschaftlich und politisch eingebunden. Die Interpretation unserer Vergangenheit legitimiert und delegitimiert politisches Handeln in der Gegenwart. Es darf deshalb nicht erstaunen, dass die Luxemburger Geschichtsschreibung ebenso einseitig ist wie unsere politische Landschaft. Mit dem vorliegenden Dossier zum angeblichen Putschversuch von August 1946 widmet "forum" sich einem historischen Ereignis, das in den Luxemburger Geschichtsbüchern, wenn überhaupt, dann in den Fußnoten zu finden ist.
Schaut man bei Gilbert TRAUSCH, Luxemburgs angesehenstem und einflussreichstem Historiker der letzten Jahrzehnte nach, so findet man in seiner Biographie von Joseph BECH (1978) folgenden lapidaren Satz: "Pour la petite histoire, mentionnons encore 'le complot' ou 'la conspiration' d’août 1946. L’affaire semble avoir eu un début d’exécution."
Das Verfahren gegen die angeklagten Offiziere ENSCH, KRIEPS, JÜTTEL und WINTER sowie den Widerstandskämpfer WINGERT wegen eines angeblichen Umsturzversuches war aus Mangel an Beweisen eingestellt worden. Für TRAUSCH war der non-lieu des Gerichts offenbar kein Freispruch, sondern lediglich die Einsicht, dass es nicht genügend Beweise gab, um die Putschisten zu überführen. Über die Hintergründe der Putsch-Affäre und die Verwicklungen von Joseph BECH wurde unterdessen der Mantel der Verschwiegenheit gehängt.
Eine andere Leseart der Ereignisse findet sich in einem kleinen Heftchen aus dem Jahr 1979, das auf den ersten Blick eher an eine billige Studentenzeitung erinnert als an eine historische Veröffentlichung. Der Autor, Verleger, Drucker und Verkäufer des Heftchens war Henri KOCH-KENT. Verständlicherweise wollte sich kein Luxemburger Verlag die Finger verbrennen mit den Anschuldigungen, die der Autor gegen die ehe-maligen Minister BODSON (LSAP) und BECH (CSV) erhob. KOCH-KENT wirft der Regierung vor, eine Schmutzkampagne gegen ihre schärfsten Kriker inszeniert zu haben, bei der es darum ging, sie zu diskreditieren und mundtot zu machen.
Legt man die aufwendig gestaltete BECH-Biographie und das Putsch-Heftchen heute nebeneinander, dann wird klar, wer diesen publizistischen Machtkampf gewonnen hat. KOCH-KENT vertritt eine Außenseiterposition, die sich in Luxemburg kaum Gehör verschaffen konnte. Wie auch? Unter den "offiziellen Historikern" herrschte lange Zeit Konsens, dass man KOCH-KENT nicht zitieren dürfe, weil er kein "Historiker" sei. Für den Zeitzeugen KOCH-KENT interessierte man sich aber auch nicht, weil in der Luxemburger Geschichtsschreibung nach wie vor das Primat des geschriebenen Dokumentes herrscht. Diese positivistische Verirrung bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn man weiß, dass in unserem Land Dokumente, ganze Dossiers und sogar ministerielle Archive vom Erdboden verschwinden können.
So zum Beispiel die Prozessakte der "Putsch"-Affäre, die seit dem 11. November 1946 unauffindbar ist. Die Akte sei an das Justizministerium übergeben worden und nicht zurückgekommen. Das Verschwinden der Akte selber ist ein Skandal, doch ebenso besorgniserregend ist die Tatsache, dass 1979 mit Gaston THORN ein Liberaler zum Justizminister ernannt werden musste, bis diese Information an die Öffentlichkeit dringen konnte. Unter vielen Luxemburger Historikern herrscht nach wie vor die Meinung: "Wo keine Dokumente vorhanden sind, kann sich die Geschichtsschreibung nicht äußern." Dies führt dazu, dass bestimmte Ereignisse gar nicht erst publik werden. Subtiler könnte die Arbeitsteilung gar nicht sein.
Dabei hätte KOCH-KENT einiges aus erster Hand zu erzählen gewusst, über die Exiljahre der Regierung in London zwischen Mai 1940 und September 1944. Genauso wie die angeklagten Offiziere ENSCH, JÜTTEL und KRIEPS, die alle drei vor ihrer Festnahme im August 1946, im sogenannten "GOMAND"-Prozess gegen die Exilregierung ausgesagt hatten. Der Herausgeber der Zeitung "L’Indépendant", Norbert GOMAND, hatte nach dem Krieg in "Aufklärungsversammlungen" die drei Minister BECH, BODSON und DUPONG scharf kritisiert. Nach Meinung Gomands hatte die Regierung während des Krieges den 600 bis 800 Luxemburger Flüchtlingen, die im Spanien Francos festsaßen, nicht genügend geholfen, England zu erreichen. Die Staatsanwaltschaft erstatte daraufhin Anzeige wegen Verleumdung.
Mit den KZ-Heimkehrern und ehemaligen Resistenzlern erhob eine weitere Gruppe schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Unter ihnen Albert WINGERT, ebenfalls ein Angeklagter in der Putsch-Affäre. Vor allem die Resistenzbewegungen warfen der Regierung vor, sie während des Krieges nur halbherzig unterstützt zu haben. Auch wurde angeführt, dass die Exilregierung beim Verlassen des Landes keine Vorkehrungen getroffen hatte, wie sich der Staatsapparat und die Bevölkerung unter der deutschen Besatzung verhalten sollten. Kurzum, den Ministern wurde politisches Versagen vorgeworfen.
Vor diesem Hintergrund spielte sich die "Putsch"-Affäre ab. Indem die Angeklagten die Legitimation der Exilregierung in Frage stellten, bedrohten sie die Machtposition der CSV und der LSAP, aus denen die beiden Minister BECH und BODSON hervorgingen. Auf dem Spiel stand schon damals nichts weniger als die Deutungshoheit über die jüngere Vergangenheit und somit die Fundamente der politischen Landschaft.
Die Regierung selber förderte die Darstellung, dass sie aus dem Exil heraus aktiv Widerstand geleistet habe. Die Geschichtsschreibung folgt dieser apologetischen Interpretation bis heute. An einer kritischen Betrachtung der Exiljahre war bislang niemand wirklich interessiert. Mit großem Aufwand wird unterdessen das Bild Joseph Bechs als Vater der Europäischen Union und CSV-Ikone gepflegt. Die Putschaffäre (aber auch das Maulkorbgesetz) sind in dieser Geschichte nur Fußnoten.
Was nach den Wahlen im Oktober 1945 folgte, war eine Aneinanderreihung von Tiefschlägen und Intrigen anhand derer sich die Vorkriegsordnung wieder durchsetzte. Eine Aneinanderreihung von persönlichen Schicksalen, für die in unserer Geschichtsschreibung der Gründerväter und staatstragenden Entscheidungen kein Platz ist. Mit dem inszenierten Putschversuch wurden die schärfsten Kritiker der etablierten Parteien zu Hitzköpfen, Anti-Demokraten und sogar Faschisten stigmatisiert. Auf ihre Kritik hörte danach niemand mehr.
Wenn heute die Zivilgesellschaft ein Demokratiedefizit in Luxemburg anprangert, so wird sie auch eines Tages die Frage stellen - und diese Frage an die Geschichtsforschung weitergeben - wo die Ursprünge dieses Defizits zu suchen sind. Ab welchem Zeitpunkt wurde die Politik unseres Landes zu einem geschlossenen System, das Andersdenkende als Gefahr wahrnimmt und versucht, an den Rand der Gesellschaft zu drängen? Der vorgebliche Putsch von 1946 könnte eine erste gute Spur sein. (LF/JST)
MfG
Robert Hottua