Headlines

High Noon im EU-Parlament: Reform des Urheberrechts ist (vorerst) gestoppt

High Noon im EU-Parlament: Reform des Urheberrechts ist (vorerst) gestoppt

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Ein Entwurf zur Reform des Urheberrechts im Internet hat schon im Vorfeld heftig polarisiert. In Straßburg stehen sich die Positionen schließlich so unversöhnlich gegenüber wie zwei verfeindete Cowboys vor dem Saloon in der sengenden Mittagshitze.

Von Frank Goebel und Eric Belche

Am Donnerstagmittag stand im Plenum des Europaparlaments nicht einfach nur eine Abstimmung an. Es war viel mehr, pünktlich um 12 Uhr: High Noon. Während die zahlreichen Gegner des Entwurfs schlichtweg das Ende des Internets und der Meinungsfreiheit kommen sahen, unterstellten ihnen die ebenfalls breit aufgestellten Befürworter, dass Erstere sich ja nur nicht von der Gratiskultur des Internets lösen wollten. Und dass sie sich damit zu Lakaien von Internetgiganten machten, die mit der Arbeit anderer Geld verdienen, ohne ihrerseits dafür zu zahlen.

Als es gestern schlussendlich krachte und sich danach die Staubwolken verzogen, gab es eine Überraschung: Was sich da eine Kugel eingefangen hatte, war nämlich nicht der letzte Rest Anarchie im Internet – sondern der Direktiven-Entwurf: Mit 318 Stimmen (gegen 278, bei 31 Enthaltungen) war abgelehnt worden, ihn weitergehenden Beratungen mit den Mitgliedstaaten zugrunde zu legen. Dabei folgt üblicherweise das EU-Parlament den Empfehlungen eines federführenden Ausschusses. Doch unter anderem die scharfe öffentliche Debatte hat offenbar dafür gesorgt, dass viele Abgeordnete kalte Füße bekamen.

Enttäuschung bei Viviane Reding

«Das bedaure ich sehr», erklärt die luxemburgische CSV/EVP-Politikerin Viviane Reding, die Europa einst das Ende der Roaming-Gebühren beschert hat – und die jetzt gerne «milliardenschwere Unternehmen, die mit gestohlenem Gut Geld machen», in die Schranken gewiesen hätte, wie sie gegenüber dem Tageblatt erklärt. Die Kritiker hätten sich mit dem Entwurf meist gar nicht eingehend befasst – und seien vor allem auf eine millionenschwere Fake-News-Kampagne hereingefallen, die, natürlich, von den großen Plattformen angestoßen worden sei. Die freie Entfaltung des Internets sei nie wirklich bedroht gewesen: Private User, Wikipedia oder Bildungseinrichtungen wären von keinen Maßnahmen betroffen gewesen. Darum sei die Debatte, etwa gemessen am Ausmaß und an dem Ton dazu eintreffender E-Mails, heftig gewesen: «Das haben wir noch nie so erlebt!»

Tatsächlich beklagt der Deutsche Udo Bullmann, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion S&D, in einer Mitteilung heftige Verbalattacken und sogar Morddrohungen gegenüber Abgeordneten. Er teilt allerdings nicht mit, ob die Drohungen auch von EU-Parlamentariern ausgingen – denkbar wäre das durchaus. Schaut man sich nämlich das Abstimmungsergebnis im Detail an, erkennt man, dass aus fast allen Fraktionen Stimmen für und gegen den Entwurf kamen.

Auch die grüne Luxemburgerin Tilly Metz kann nur erklären, dass ihre Fraktion (Greens/EFA) «mehrheitlich» gegen die aktuelle Fassung der Copyright-Richtlinie gestimmt habe – so wie sie selbst: Zwar enthalte der Entwurf «einige Verbesserungen für Kulturschaffende, die unbedingt vor der Ausbeutung durch große Giganten wie Facebook, YouTube und Co. geschützt werden müssen». Sie sei aber überzeugt, dass verschiedene Bestimmungen zu massiven Einschränkungen der Freiheit im Internet führen könnten.
Besonders beunruhigt sie die vielfach geäußerte Befürchtung, dass die im Entwurf geforderte strenge Kontrolle hochgeladener Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen praktisch nur durch Upload-Filter zu bewerkstelligen sei. Diese aber «könnten Akte der freien Meinungsäußerung blockieren, da sie diese nicht von Urheberrechtsverstößen unterscheiden können», befürchtet Metz.

Zerrissene Fraktionen

Von Freiheit spricht auch der luxemburgische EU-Parlamentarier Frank Engel, allerdings sind es für ihn eher «drei, vier Internetriesen, die die Freiheit des Netzes in Gefahr bringen». Der CSV-Mann ist hörbar aufgebracht nach der Abstimmung: «Ich finde es ganz traurig, dass das so gelaufen ist», erklärt er dem Tageblatt. «Wir sind Opfer einer debilen Fake-News-Kampagne geworden, die von denen bezahlt wurde, vor denen die Direktive die Bürger schützen sollte.» Man habe ein Problem, wenn «die Kommunisten und die Grünen sich zu Komplizen der Internetriesen machen».

Dass die im Entwurf skizzierten Regelungen wirklich getroffen würden, bezweifelt Georges Kesseler vom luxemburgischen Computeraktivisten-Kollektiv Level 2 allerdings. Auch er befürchtet, dass sicherheitshalber sehr streng eingestellte Upload-Filter auch eigentlich zulässige Inhalte (wie Parodien oder Memes) aussieben. In Sachen Leistungsschutzrecht verweist er auf Spanien, wo ein solches eingeführt wurde, welches aber hauptsächlich kleine Produzenten geschädigt habe: Großunternehmen wie Google hätten beispielsweise im News-Bereich einfach auf zu lange Zitate verzichtet, für die Gebühren zu entrichten gewesen wären.

Kesseler glaubt, dass im Falle einer europaweiten Implementierung solcher Regelungen ebenfalls «die Kleinsten die größten Probleme haben». Im Kontrast zur Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), bei der Einzelne zusätzliche Rechte erhalten hätten, entstünden nur Verpflichtungen und eine «regelrechte Bevormundung».

Das Duell ist allerdings weder für Gegner noch Befürworter der Direktive wirklich beendet: Im September steht eine erneute Beratung an – bis dahin können die Abgeordneten Änderungsanträge zum ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission einreichen.


Worum es ging – und geht

Befürwortern zufolge soll die vom Rechtsausschuss des EU-Parlaments vorgelegte Direktive große Internetakteure wie YouTube oder Facebook zwingen, für kreative Leistungen anderer, die auf ihren Seiten enthalten sind, angemessen zu bezahlen. Andernfalls sollen sie von vornherein verhindern, dass Entsprechendes von den Nutzern hochgeladen wird. Es würde dann nicht mehr reichen, die Inhalte erst nach Aufforderung zu löschen. Zudem enthält die Direktive ein Leistungsschutzrecht, dass Verlagen ein ausschließliche Recht einräumt, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen – selbst, wenn es sich dabei um kurze Zitate («Snippets») handelt, die nach dem bisherigen Urheberrecht zulässig wären.

So stimmten die Luxemburger

Für die Direktive stimmten die CSV-Mitglieder Georges Bach, Frank Engel und Viviane Reding sowie der DP-Politiker Charles Goerens. Gegen den Entwurf stimmten Tilly Metz («déi gréng») und Mady Delvaux-Stehres (LSAP).