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Die Robert Downeys im SelbstporträtHave any hair on your balls?

Die Robert Downeys im Selbstporträt / Have any hair on your balls?
Junior versucht sich seinem Vater mit der Disziplin zu nähern, die die beiden seit jeher verbunden und gleichzeitig auch irgendwie getrennt hat: das Kino Foto: Netflix

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Vor nicht allzu langer Zeit kochte im Internet eine überraschend unüberraschende Diskussion um das Thema Vetternwirtschaft in Hollywood hoch. Digitale Finger wurden auf junge Menschen gerichtet, die dank des Status ihrer Eltern einen karrieretechnischen Vorteil genießen konnten.

Diese Finger hatten fast exklusiv weibliche Gen-Z-Persönlichkeiten im Visier – Kendall Jenner, Lily-Rose Depp, Maya Hawke oder Zoë Kravitz. Ob bei diesen Enthüllungen sexistische Tendenzen mitschwangen, soll jetzt nicht Thema sein. Tatsache bleibt aber, dass diese nepo babies – so der neumodische Überbegriff – so alt sind wie Hollywood selbst. Sogar Robert Downey Jr. – Iron Man himself – ist eins. Wer die letzten 15 Jahre das Populärkino aus den Vereinigten Staaten beobachten konnte – und, seien wir ehrlich, ob man wollte oder nicht, den Superheldenfilmen konnte man nicht aus dem Weg gehen –, wird die Gegenüberstellung von Robert Downey Jr. und seinem Vater Robert Downey Sr. in vielerlei Hinsicht interessant finden. Vor allem, wenn einem Robert Downey Sr. kein Begriff sein sollte. Denn genau dort setzt Chris Smiths Dokumentarfilmversuch „Sr.“ nämlich an, den man seit einer Woche auf Netflix sehen kann.

Eine Herzensangelegenheit

„Sr.“ scheint auf den ersten Blick eine Herzensangelegenheit für Superstar Robert Downey Jr. zu sein. Sein Vater – von allen Senior genannt – ist bei Weitem nicht mehr der Jüngste und ist an Parkinson erkrankt. Junior versucht sich seinem Vater mit der Disziplin zu nähern, die die beiden seit jeher verbunden und gleichzeitig auch irgendwie getrennt hat: das Kino. Die Arbeit vor und hinter der Kamera hat das Vater-Sohn-Gespann nicht wirklich getrennt, aber am Ende des Tages ist Jr. einer derjenigen, die das zeitgenössische Blockbuster-Kino aktiv mitgestaltet und geprägt haben – das „Marvel Cinematic Universe“ ist mit sehr großem Abstand die lukrativste Filmfranchise der Filmgeschichte –, während Sr. einer der Pioniere des amerikanischen Untergrundkinos der 1960er und 70er ist. Vater Downeys Œuvre besteht aus politisch agitatorischen Filmen wie „Putney Swope“, „Greaser’s Palace“ und „Chafed Elbows“, für die die Begriffe No- und Low-Budget-Film quasi erfunden wurden. Am anderen Spektrum profitierte Sohnemann vollends vom kulturindustriellen Apparat und war jahrelang fester Bestandteil der höchst-budgetiertesten Filme aller Zeiten. Regisseur Chris Smith schien diese anfängliche, vielleicht ganz oberflächliche Diskrepanz sehr anzuziehen.

Das Kino ist seit jeher das grundlegende Thema des Dokumentaristen. Wie Kino entsteht, was Kino ist und sein darf und wie es sich auf die Menschen auswirkt – „Jim & Andy: The Great Beyond“ z.B. erzählte von Jim Carrey und seiner Methode, sein Idol Andy Kaufman in Milos Formans eigentlichem Schwanengesang „Man on the Moon“ zu porträtieren, und „American Movie“ dokumentierte die Entstehungsgeschichte eines Horrorfilms. Dass Downey Sr. in Chris Smith einen Verehrer findet, weitaus mehr als im Sohnemann, der das Projekt ins Leben rief, liegt auf der Hand.

Ein Riff auf das „Cinéma vérité“-Kino

Junior und Smith wollen natürlich Senior dem Marvel- und Netflix-Publikum näher bringen. Gleichzeitig will der Sohn aber seinem am Lebensende ankommenden Vater vor laufender Kamera näher kommen und diese Momente einfangen. Trotz körperlicher Gebrechlichkeit macht der Alte ihm aber einen Strich durch die Rechnung und lässt sich über weite Strecken auf keinerlei sentimentalistische Spielchen ein. Dafür ist „Sr.“ zuviel DIY und in der Dekonstruktion verlagert. Spontan wird entschieden, dass beide Protagonisten ihre eigene Versionen des Filmprojekts angehen dürfen. Ganz zur Freude des im Hintergrund bleibenden Chris Smith. Spätestens dann entwickelt sich „Sr.“ zu einem Riff auf das „Cinéma vérité“-Kino, bei dem Filmmaterial von den beiden gezeigt und gleich danach von seinen Figuren kommentiert und abstrahiert wird.

Beide Menschen, sehr versiert im Zusammenspiel mit dem Bildrahmen, lassen einen immer nur so weit dran, wie sie es wollen. Und dieses Wechselspiel – zwischen den beiden Downeys sowie dem Film und seinem Publikum – ist frustrierend und faszinierend zugleich. Denn erst sehr spät kristallisiert sich heraus, was der Film und das Projekt an sich für die beiden bezwecken sollten. Das Kino und das Leben sind inhärent miteinander verstrickt – generieren und verarbeiten gleichzeitig willkürlich anmutende Erinnerungen zu einem kohärenten Ganzen. Früher oder später. Die Macht der Kohärenz bleibt aber immer im Auge des Betrachters. Vor allem sind dabei die Produktionsmittel egal. (Kein) Plotspoiler: Ein einfacher Kameraschwenk von einem von Tageslicht überfluteten Fenster zu einem leeren Bett ist wenigstens genauso stark wie das Erlöschen eines mechanischen Superheldenherzens inmitten eines CGI-generierten, interplanetarischen Schlachtfelds.