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Verhaltensforschung„Hamsterkäufe sind eine Schutzreaktion“

Verhaltensforschung / „Hamsterkäufe sind eine Schutzreaktion“
Hamsterkäufe in Luxemburg wegen des Coronavirus Foto: Editpress

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Es ist eine Situation, die den meisten Menschen in Luxemburg bis dato eher unbekannt war: In den Läden werden Regale leergeräumt, Toilettenpapier wird für Monate gehortet. Hinzu kommen nun die Lahmlegung des öffentlichen Lebens und eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Das Tageblatt unterhielt sich mit dem Verhaltensforscher Prof. Dr. Claus Vögele von der Universität Luxemburg, der Hamsterkäufe als Ausdruck von Angst und einem natürlichen Schutzverhalten bezeichnet.

Tageblatt: Professor Vögele, wie lassen sich Hamsterkäufe, wie wir sie erleben, psychologisch erklären?

Prof. Dr. Claus Vögele: Das sind verständliche Reaktionen. Die Corona-Krise verursacht bei vielen Menschen Angst und Unsicherheit. In solchen Fällen zieht man sich in seinen privaten Raum zurück, auch wenn das Verhalten nicht immer rational ist. Man muss ja wissen, dass die meisten Staaten ihren Bürgern raten – auch in normalen Zeiten –, für mindestens zehn Tage Verpflegung zu Hause zu haben. Das scheinen viele eben nun nachzuholen.

Würden Sie das als Massenhysterie bezeichnen?

Nein, das ist noch lange keine Massenhysterie. Aber allein schon den Begriff zu benutzen, verunsichert die Menschen. Man muss jedoch sagen, die offiziellen Verlautbarungen sind bis dato sehr angemessen. Es ist auch eine schwierige Situation für Politiker: Sie müssen warnen, ohne zu alarmieren. Die Hamsterkäufe sind Ausdruck der natürlichen Veranlagung des Menschen, sich selber zu schützen. Die Situation werden wir nur gut überstehen, wenn wir unser Gemeinschafts- und Verantwortungsgefühl bewahren, und das sollte man auch beim Einkaufen zeigen, d.h. nicht mehr kaufen, als man braucht.

Sind solche Phänomene vorhersehbar?

Ja und nein. So etwas vorherzusehen ist schwierig, da es nichts Vergleichbares gibt. Es gab schon lange keine Infektion mehr auf diesem Niveau. Manche Wissenschaftler sagen, das letzte vergleichbare Phänomen sei die Spanische Grippe gewesen. Und damals hatten die Menschen noch nicht die digitalen Möglichkeiten, sich zu informieren, wie heute. Vorhersehbar ist es allerdings insofern, als Angst viele verschiedene Betrachtungsebenen hervorruft.

Wieso diese Reaktionen auf eine Krankheit, die statistisch gesehen doch weit hinter einer Grippe mit Tausenden von Toten zurückliegt?

Die Grippe ist etwas Vertrautes. Wir sind alle damit aufgewachsen, und man darf nicht vergessen, dass es gegen sie eine Impfung gibt. Auch wenn der Impfstoff stets dem Virus angepasst werden muss, hat man das Gefühl, man kann etwas tun. Corona ist jedoch etwas Neues, Unbekanntes, und das macht Angst. Hinzu kommt, dass sich die Fakten von Tag zu Tag ändern und wir so jeden Tag dazulernen. Wenn man mit etwas konfrontiert ist, das man nicht kennt, ist man eben stark verunsichert. Das führt manchmal auch zu verbalen Ausfällen, die nicht sehr hilfreich sind. Ein Wissenschaftler aus Berlin hat den Begriff der „Durchseuchung“ benutzt. Dieser Mann braucht dringend Medientraining, denn Sprache schafft Emotionen. In dieser Situation ist die Kommunikation sehr wichtig.

Gibt es Vergleichbares aus anderen Bereichen?

Krankheiten betreffen uns in unserer Existenz. Naturkatastrophen sind singulärer Natur. Es passiert und dann ist es vorbei, auch wenn es Folgeschäden gibt. Viren hingegen sind ständig präsent, unendlich klein und so unfassbar, und das macht noch mehr Angst. Mit Bakterien ist das schon was anderes, denn die kann man schon unter einem kleinen Mikroskop sehen. Hinzu kommt, dass Viren ja auch oft nicht behandelt werden können. Das Nicht-Sichtbare macht Angst. Der beste Horrorfilm ist ja auch z.B. der, in dem man das Böse nicht sieht.

Wie sollen Politiker am besten in dieser Situation reagieren?

Ich finde, die Politiker machen im Allgemeinen einen guten und angemessenen Eindruck und machen gute Arbeit in einer schwierigen Situation. Es gibt natürlich wie immer Leute, die sagen, man hätte schon früher etwas machen müssen, aber hinterher ist man eben immer schlauer. Man muss bedenken, dass die Konsequenzen der politischen Entscheidungen zwar vertretbar sein müssen, aber nichts zu tun auch keine Option ist. Leider verändert sich die Informationslage jeden Tag; da heißt es, sich anpassen. Also: „Willkommen im Leben.“

Ist das nicht ein guter Nährboden für Extremisten?

Nun, die Menschen sehnen sich nach Sicherheit, und deswegen sind Wirtschaftskrisen und Erkrankungen ideale Ausgangspunkte für Extremisten. Dieses Bedürfnis nach Sicherheit könnte ausgenutzt werden, aber ich glaube, die Rechte hat das noch nicht verstanden. Aber wahrscheinlich wird es in der Zeit nach dieser Krise bestimmt Besserwisser geben, die meinen: „Wir haben es ja immer gesagt, unsere Politiker taugen alle nichts.“

Treten solche Massenphänomene eigentlich in allen Kulturkreisen auf?

Ja. In allen Kulturkreisen ist Krankheit eine Bedrohung. Und wenn sie nicht verständlich ist, wird sie dämonisiert. Ein Beispiel ist die Pest im Mittelalter, die Pogrome gegen Juden nach sich zog. Ich hoffe, dass das Zeitalter der Aufklärung nicht spurlos an uns vorbeigegangen ist.

Und hauptsächlich in Friedenszeiten oder auch in Kriegssituationen?

In Kriegszeiten verhält es sich etwas anders. Menschen haben eine begrenzte Aufnahmefähigkeit, was die Anzahl an Katastrophen angeht, die sie verarbeiten können. Wenn mehrere solche Ereignisse zusammen eintreffen, wie z.B. in einem Krieg, geschieht eine Priorisierung der Gefahren. Krankheiten sind aber stets verhaltensändernd.

Könnte sich Ihrer Meinung nach der momentane Angstzustand noch verschlimmern?

Danach sieht es im Moment nicht aus. Aber ich sehe ein Problem auf der anderen Seite, nämlich dass die Gefahr verleugnet wird. Ich sah im Fernsehen ein Interview mit einem Jogger in Hamburg, der meinte, angesichts der vielen Grippetoten und der harmlosen Symptome nun bei Corona sei das alles doch nicht so schlimm. Solch ein Verhalten ist dann aber verantwortungslos, denn es kann zu einer Gefahr für die anderen werden. Irgendwann wird sich die Situation normalisieren. Es liegt aber auch in der Natur des Menschen, dass er die Realität ausblenden kann, was unserer Tausenden von Jahren dauernden Evolution geschuldet ist. Irgendwann tritt ein Gewöhnungseffekt ein, und dann laufen wir aber Gefahr, dass die Regeln, die wir jetzt noch einhalten, nicht mehr befolgt werden.

Am Dienstag hat die Regierung den Notstand ausgerufen, die Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt. Was bedeutet eine eventuelle wochen- oder monatelange Isolation für die Menschen?

Soziale Isolation bedeutet immer eine starke Belastung. Besonders trifft dies Alleinstehende und Personen, die psychisch labil sind bzw. möglicherweise eine psychische Störung haben. Diesen Personen sollte jetzt unsere Aufmerksamkeit zukommen, denn nicht nur ältere Menschen sind durch die Corona-Epidemie besonders gefährdet, sondern auch die psychisch labilen und kranken Menschen, und zwar aufgrund der Maßnahmen, die vor einer weiteren exponentiellen Ausbreitung des Virus schützen sollen.

Was könnten die Auswirkungen auf die Gesellschaft sein?

Unter ungünstigen Umständen haben wir in der Folge der Corona-Pandemie mit einem Anstieg der Häufigkeit psychischer Störungen zu rechnen. Das bedeutet für die Volkswirtschaft einer solchen Gesellschaft weitere Ausgaben, durch Ausfall von Arbeitskraft und steigende Kosten im Gesundheitswesen aufgrund der Behandlung bzw. Betreuung von psychisch Erkrankten. Ich spreche hier vor allem von den Menschen, die ohnehin schon stark psychisch belastet sind. Soziale Isolation und Verunsicherung machen solche psychischen Probleme natürlich schlimmer.

Was würden Sie als Verhaltensforscher den Leuten raten?

Befolgt die Anweisungen! Und: Angst haben ist normal, aber in dem Fall soll man sich mit irgendwas ablenken, denn die Angst nützt niemandem: Sie lähmt und macht unglücklich. Und die Politiker sollten auf die Wissenschaftler hören: einerseits auf die Virologen, aber auch auf die Verhaltensforscher, denn es geht ja hier auch darum, ganze Bevölkerungen in ihrem Verhalten zu lenken.

Zur Person

Prof. Dr. Claus Vögele lehrt und forscht an der Universität Luxemburg im Bereich der Klinischen Psychologie und der Gesundheitspsychologie. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Themen aus der Psychotherapie, der Psychophysiologie und der Verhaltensmedizin.

Prof. Dr. Claus Vögele
Prof. Dr. Claus Vögele Foto: Université du Luxembourg

Claudio Mariotto
19. März 2020 - 21.10

Hamstereinkäufe sind nicht intelligente Reaktionen. Diejenigen die es tun schaden sich selbst und ihren Mitmenschen. Sie treiben die Preise in die Höhe, sie tragen zur Verschwendung der Nahrungsmittel bei und des anderen noch mehr. Es müsste verboten sein. Wenn man es nicht verbieten kann oder will, müssen die Einkaufläden mit ihrem ausgebildetem Personal reagieren und die Hamsterkäufer bremsen.

Alfons
19. März 2020 - 19.50

Hamsterkäufer mögen ein Schutzmechanismus sein, vor allem aber sind sie egoistisch, unüberlegt, rücksichtslos und unsolidarisch. Sind also genau das Gegenteil von dem, was wir jetzt brauchen, nämlich Zusammenhalt.

Erwin
19. März 2020 - 17.47

@E.Kishon "Och wann der e gudde Restaurant entdeckt" Léif Kanner, e 'Restaurant' war e Lokal, wou fréier d'Leit virun der Corona-Kris konnten iesse goen. Et huet ee fir si gekacht, si souzen op engem schéinen Dësch, et war Personal do dat hinnen d'Iessen bruecht huet an herno d'Geschier ewechgeraumt huet. Och de Wäin kruten se erausgeschott. Tempi passati.

E.Kishon
19. März 2020 - 15.20

Also ech hat kee Problem fir de Mëtten anzekafen. Et ware keng 10 Leit am Supermarché, Nuddele, Miel an Toilettëpabeier waren och do. Wéinst dem Eskimo-Effekt kann ech iech leider net soen wou dee SM ass. Wann en Eskimo weess wou een déck a vill Fësch fänkt an hien zielt engem dat, dann sinn déi nächste Kéier op där Plaz masseg aner Eskimoen a Fësch ginn et keng méi oder vill méi klenger. Och wann der e gudde Restaurant entdeckt, sot nëmme kengem dat, maacht de Restaurant erof bei jidderengem, soss kritt Der déi nächste Kéier keng Plaz méi an d'Iessen ass och net méi sou gutt.

Laird Glenmore
19. März 2020 - 14.49

@René den Warenverkehr dadurch massiv einschränken. viel schlimmer wäre wenn Macron das Medizinische Personal zwangsrekrutieren will und damit die gesundheitliche Versorgung in Luxemburg gefährdet da das Personal in den Krankenhäusern zu fast 80 - 90 % aus Frankreich stammt, ich hätte aber lieber mehr Personal als einen Karton Bohnen oder Toilettenpapier, aber soweit können ja die meisten nicht denken. Der Warenverkehr und die Lebensmittelversorgung ist doch vorerst gewährleistet also keine Panikmache . Knappheit entsteht durch Politiker, da muß ich wiedersprechen die Politiker machen alles Menschenmögliche um der Lage Herr zu werden, die Idioten die zur Lebensmittelnappheit führen sind die Egoisten die nicht an andere denken, was jeden Tag zu beobachten ist.

Gariuen
19. März 2020 - 13.24

Was heißt hier Schutzreaktion? Wenn man so wenig Kontakt wie möglich mit anderen Menschen haben soll, dann kann man doch nicht jeden Tag eine Baguette, einen Salat und 1 Kotelett einkaufen gehen, dann muss eben ein Großeinkauf für 14 Tage reichen.

René
19. März 2020 - 12.57

Knappheit entsteht durch Politiker die in einer Krise Grenzen schliessen und den Warenverkehr dadurch massiv einschränken.

Laird Glenmore
19. März 2020 - 11.30

Es ist schon seltsam im Grunde ist der Mensch ein Herdentier aber in einer Situation wie diese kann man doch sehr schnell erkennen das fast 100 % der Menschen Egoisten sind und sich einen Dreck um andere kümmern ( siehe Hamsterkäufe ) das eigene Hemd sitzt immer näher. Ich habe Hochachtung vor den Menschen die jetzt für andere da sind und sie unterstützen ( Scouten ) und ihre kleinen Besorgungen erledigen damit gefährdete Personen nicht außer Haus müssen. Was ich nicht verstehe ist das sich immer noch einige über die Vorgaben hinweg setzen und meine sie könnten sich das erlauben. Leider kann man in einer so prekären Situation den wahren Charakter von Menschen kennen lernen. Krass wenn man bedenkt das so aus Freunden Feinde werden. In diesem Sinne haltet euch an die Vorgaben vom Staat damit der Spuk bald ein Ende hat.

Jacques Zeyen
19. März 2020 - 10.54

Egoismus und Sippentreue haben wir in unseren Genen.Deshalb haben wir alle Katastrophen überlebt seit wir auf zwei Beinen unterwegs sind. Flucht,Schutz und Zusammenhalt in der Sippe waren immer wichtig für unser Überleben. Allerdings,wenn wir im 21. noch Neanderthalermanieren zeigen kann das sich auch negativ auf die Gesellschaft auswirken. Panik als schlechter Berater in allen Lebenslagen? Ist Toilettenpapier wirklich unsere Hauptsorge in Krisenzeiten? Knappheit entsteht nur durch Egoisten die sich alles einverleiben. Der Nachschub ist gesichert und wenn wir uns alle normal verhalten ist für jeden genug da.Genau wie vor Corona oder Sadam.

BillieTH
19. März 2020 - 10.28

qd on arrive au supermarche le matin et il y a des files de 100metres car on limite le nombre des gens qui peuvent entrer, qd on arrive a un supermarche local a 18h et le trouve ferme depuis 16h alors qu’il est normalement ouvert jusqu’a 20h ... il ne faut pas être surpris que les gens n’ont pas de confiance dans les mots ‘rassurants’ des politiciens. il faut prendre ts les mesures de précaution, mais laisser la surdramatisation. soyons prudents, mais ne perdrons pas le sang froid.