Ein halbes Jahrhundert später ist die von „Die Grenzen des Wachstums“ ausgelöste Debatte angesichts einer Klima- und Umweltkrise mit Macht zurück.
Das Buch geriet 1972 sofort unter Beschuss seitens der Ökonomen, die den Verfassern ein mangelndes Verständnis wirtschaftlicher Grundprinzipen vorwarfen. Wenn eine Ressource knapper würde, so erklärten sie, würde der Preis zwangsläufig steigen. Andere Ressourcen würden sie dann ersetzen, und sie würde auf effizientere Weise genutzt. Die technologische Innovation würde zu neuen, saubereren Produktionsmethoden führen. Das Wirtschaftswachstum würde daher nicht zu einem gesellschaftlichen Zusammenbruch führen, sondern sei vielmehr selbstkorrigierend – und zudem die einzige Möglichkeit, wie Länder durch Entwicklung der Armut entgehen könnten.
Keine unendliche Biosphäre des Planeten
So sicher waren sich die etablierten Ökonomen, dass „Die Grenzen des Wachstums“ falsch lag, dass einer von ihnen, Julian Simon, eine Wette mit dem Umweltschützer Paul R. Ehrlich über die Preisentwicklung von fünf Metallen während des kommenden Jahrzehnts einging. Ehrlich wettete, dass deren Preise angesichts ihrer zunehmenden Verknappung steigen würden; Simon prognostizierte, dass sie billiger werden würden, da sie durch andere Materialien ersetzt werden würden. Simon gewann die Wette für alle fünf.
Doch war die Knappheit von Metallen – oder selbst fossilen Brennstoffen – nie das eigentliche Thema von „Die Grenzen des Wachstums“. Die Umweltökonomen Nicholas Georgescu-Roegen und Herman Daly haben darauf hingewiesen, dass dem Wachstum physische Grenzen gesetzt sind, weil die Biosphäre des Planeten nicht exponentiell wachsen kann. Holzt man Bäume schneller ab, als sie nachwachsen können, führt das zu Entwaldung. Nutzt man mehr Land für die Landwirtschaft, führt das zu Artenverlusten. Pumpt man Kohlendioxid schneller in die Atmosphäre, als es absorbiert werden kann, erhitzt sich der Planet.
Simon mag seine Zehn-Jahres-Wette gewonnen haben, doch haben sich die Prognosen aus „Die Grenzen des Wachstums“ während des letzten halben Jahrhunderts als bemerkenswert robust erwiesen. Neuere wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass wir uns in Bezug auf eine Reihe zentraler lebenserhaltender Systeme – einschließlich des Klimas – mit großer Geschwindigkeit den „planetarischen Grenzen“ nähern, innerhalb derer die Menschheit auf sichere Weise prosperieren kann, oder diese in einigen Fällen bereits überschritten haben.
Destination Umweltkatastrophe
Das ist den etablierten Ökonomen natürlich bewusst. Doch merken sie an, dass man das Wirtschaftswachstum über das Volkseinkommen und die Wirtschaftsleistung (BIP) misst und dass es keine simple Beziehung zwischen diesen Kennzahlen und der Umweltzerstörung gebe. Der Einsatz erneuerbarer Energien, die Wiederverwertung von Abfällen und die Verlagerung des Konsums von Waren auf Dienstleistungen, so argumentieren sie, könne das Wirtschaftswachstum sehr viel weniger umweltschädlich machen. Wir könnten daher ein „grünes Wachstum“ haben: höhere Lebensstandards und zusätzlich eine gesündere Umwelt. Während des vergangenen Jahrzehnts hat sich das grüne Wachstum zum offiziellen Ziel aller wichtigen multilateralen Wirtschaftseinrichtungen entwickelt, darunter der Weltbank und der OECD.
Tatsächlich sind die CO2-Emissionen der reichen Länder in den letzten Jahren gesunken, während ihre Volkswirtschaften gewachsen sind. Doch wurde diese scheinbare Entkoppelung des BIP-Wachstums von den Umweltschäden in Wahrheit großteils durch Verlagerung der Emissionen nach China und in andere Schwellenländer erreicht, die inzwischen die meisten Industriewaren produzieren. Und in anderen Bereichen – darunter bei der Entwaldung, den Fischbeständen und der Bodenverarmung – gab es nur eine geringe oder gar keine absolute Entkoppelung. Wie der Weltklimarat und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen immer dringlicher warnen, steuert die Welt weiterhin auf eine Umweltkatastrophe zu.
Was muss passieren, um diese zu vermeiden? Für eine zunehmend prominente Gruppe von Umweltschützern ist die Antwort offensichtlich: Die entwickelten Volkswirtschaften müssen aufhören, zu wachsen, und anfangen, zu schrumpfen. Nur ein „negatives Wachstum“, so Autoren wie Jason Hickel und Giorgos Kallis, könne die Welt in die Lage versetzen, im Rahmen ihrer ökologischen Mittel zu leben und genügend Ressourcen für die Entwicklung der ärmsten Länder übrigzulassen.
Darüber hinaus, so die Verfechter des negativen Wachstums, sei das Wirtschaftswachstum nicht nur nicht ökologisch nachhaltig, sondern führe zudem nicht dazu, dass es uns besser geht. Das BIP-Wachstum in den reichen Ländern sei inzwischen mit einer Vielzahl sozialer Probleme korreliert, die von allgegenwärtiger Ungleichheit bis hin zu einer zunehmenden Zahl psychischer Erkrankungen reichten.
Postwachstumsökonomie
Es überrascht nicht, dass die wirtschaftliche Debatte zwischen den Verfechtern eines grünen Wachstums und denen des Negativwachstums auch ein politischer Streit zwischen pro- und antikapitalistischen Ideologien ist. Unter anderem deshalb hat sich in den letzten Jahren eine dritte Position – die des „Postwachstums“ – herausgebildet.
Die Vertreter der Postwachstumsökonomie kritisieren die Verfechter sowohl des grünen Wachstums als auch des negativen Wachstums dafür, dass sie sich auf das BIP konzentrieren. Da das BIP weder Umweltzerstörung noch soziales Wohlergehen messe, sollten weder Wachstum noch Negativwachstum unser primäres wirtschaftliches Ziel sein. In einem jüngsten Bericht für die OECD argumentiert eine Gruppe führender Ökonomen, dass sich die Wirtschaftspolitik stattdessen auf die wichtigsten gesellschaftlichen Ziele konzentrieren sollte – und das sollten in den reichen Ländern heute ökologische Nachhaltigkeit, eine Steigerung des Wohlbefindens, ein Rückgang der Ungleichheit und größere wirtschaftliche Resilienz sein.
Weil sich durch Wirtschaftswachstum keines dieser Ziele mehr garantieren lässt, müsse die Politik „über das Wachstum hinausgehen“ und sie direkt ansprechen. Laut Kate Raworth, der Verfasserin von „Die Donut-Ökonomie“, sollten wir „Wachstumsagnostiker“ sein.
Ein zentraler Grund für die Zunahme der Postwachstumsideen ist, dass die hochentwickelten Volkswirtschaften sich in den letzten Jahren schwergetan haben, überhaupt noch zu wachsen. Bisher normale jährliche Wachstumsraten von 2-3 % vom BIP waren weitgehend außer Reichweite; selbst ein bescheidenes Wachstum ließ sich nur durch ultraniedrige Zinssätze und enorme Kapitalspritzen der Notenbanken erreichen.
Die Ökonomen rätseln, warum das so ist. Doch erleichtert es die zuletzt schleppende wirtschaftliche Entwicklung mit Sicherheit, über umweltpolitisch bedingte niedrige Wachstumsraten nachzudenken, falls es dazu tatsächlich kommen sollte. Man muss kein Umweltschützer sein, um zu erkennen, dass die Begrenzung der zerstörerischen Auswirkungen der Wirtschaft auf Erdklima und Umwelt inzwischen höchste Priorität hat.
„Die Grenzen des Wachstums“ wurde vor einem halben Jahrhundert weithin verworfen. Wäre das nicht passiert, müssten wir die Debatte heute nicht erneut führen.
*Michael Jacobs ist Professor für politische Ökonomie an der Universität Sheffield und Mitverfasser von „Growth, Degrowth or Post-Growth?“ (Forum for a New Economy, 2022). Xhulia Likaj ist Ökonomin beim Forum New Economy in Berlin und Mitverfasserin von „Growth, Degrowth or Post-Growth?“ (Forum for a New Economy, 2022).
Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2022. www.project-syndicate.org
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