Das riesige rote Tuch fiel schnell und gab einen 5,50 Meter hohen Karl Marx frei, ohne sich an dessen bronzenen Ecken oder Kanten zu verhaken. Genau 200 Jahre nach seiner Geburt feierten am Samstag in Trier die einen den weltbekannten Sohn der Moselstadt mit dem ersten neu aufgestellten Marx-Denkmal in Deutschland seit dem Ende des Kalten Krieges. Die anderen machten unweit der Porta Nigra aus römischer Zeit keinen Hehl aus Kritik, Ablehnung und manchmal auch Hass. Opfer des Kommunismus, Anhänger der in China verbotenen Bewegung Falun Gong, AfD-Anhänger und andere protestierten gegen ihrer Ansicht nach zu viel Jubel um Karl Marx.
Mit dem vermutlich größten Polizeiaufgebot in der Geschichte der 2000 Jahre alten Stadt sollte für Ruhe und Ordnung gesorgt werden. Mehrere hundert Beamten waren im Einsatz, die Polizeiführung zeigte sich am Nachmittag zufrieden mit dem Einsatz in der 110 000 Einwohner zählenden Stadt.
Trier hat eine besondere Verantwortung
«Ich finde nicht, dass wir mutig sind, wenn wir hier eine Marx-Statue hinstellen», sagte Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe (SPD) zu dem 2,3 Tonnen schweren Geschenk der Volksrepublik China. Trier habe als Marx-Geburtsstadt eine Verantwortung: «Es gehört zur intellektuellen Herausforderung, dass wir uns diesem Thema stellen.»
So auch konkret beim Festakt: Während reichlich Prominenz aus Stadt, Land und Bund sowie hochrangige chinesische Delegationen bei strahlendem Sonnenschein vor dem Mega-Marx Platz nahmen, ertönten Buh-Rufe und Trillerpfeifen. Zu Zwischenfällen kam es aber nicht. «Es ist gut, sich über Karl Marx zu streiten», sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Das Jubiläum biete die Möglichkeit, sich intensiv und neu mit Marx zu beschäftigen. «Man kann Karl Marx nicht einerseits zuschreiben, was in seinem Namen an Gräueltaten begangen worden ist. Aber andererseits darf man Marx auch nicht zum Heiligen hochstilisieren.»
Zuvor hatten sich bereits vor dem Marx-Geburtshaus prominente Gratulanten versammelt. Fernsehmoderator Günther Jauch las die Geburtsurkunde vor, die sein Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater Emmerich Grach als zweiter Bürgermeister von Trier 1818 unterzeichnet hatte. Von der Marx-Verbindung habe er zufällig erfahren: «Ist ganz lustig, wird mein Leben aber nicht nachhaltig verändern.» Die Feier in Trier sei angemessen: «Das ist eine durchaus große und politisch-historisch umwälzende Theorie, die Marx da entwickelt hat.»
Auch die SPD-Vorsitzende spricht
Da das Haus, in dem Marx am 5. Mai 1818 geboren wurde, der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gehört, ergriff auch Parteichefin Andrea Nahles das Wort. «Marx hat die Sozialdemokratie geprägt wie kein anderer», sagte sie, während sie zahlreiche chinesische Gäste mit ihren Smartphones filmten. Nach dem Ende des Kalten Krieges könne man heute «endlich einen vorurteilsfreien Blick auf Marx» werfen. Marx sei in manchen Fragen immer noch aktuell. Und die Feierei: «Wenn, dann schon richtig», sagte sie im Museum Karl-Marx-Haus und eilte zur Marx-Enthüllung, die rund 4000 Zuschauer verfolgten.
Mit der Marx-Skulptur auf dem treppenförmigen Sockel will die Stadt Trier dem Weltrevolutionär einen festen Platz geben. «Karl Marx ist Trierer. Wir müssen ihn nicht verstecken», sagte Leibe. Bislang hatte sich die Stadt eher schwer getan mit dem Umgang mit Marx: Es war das Geschenk aus China, das die Stadtoberen aus der bislang gepflegten Distanz zu Marx lockte. Klar ist aber auch, der Riesen-Marx soll auch eine Sehenswürdigkeit werden – und gerne auch noch mehr Chinesen nach Trier locken. Rund 50 000 im Jahr sind es bereits.
Symbol der deutsch-chinesischen Freundschaft
Das könnte klappen: «Die Statue ist ein Symbol der deutsch-chinesischen Freundschaft», meinte der Vizeminister des Informationsbüros des Staatsrates der Volksrepublik China, Guo Weimin, in seiner Ansprache. Sie gebe «Charaktergröße und persönlichen Charme des Denkers» wieder. Und dann: Die Statue werde bestimmt für noch größere chinesische Aufmerksamkeit sorgen.» Sie stammt vom chinesischen Künstler Wu Weishan und war nach Deutschland eingeflogen worden. «Marx, der Mann mit dem scharfen Blick, ist nun in seine Heimat zurückgekehrt», sagte Kunstprofessor Wu.
Marx war am 5. Mai 1818 in Trier geboren worden und verbrachte die ersten 17 Jahre seines Lebens dort. Er gilt als geistiger Vater des Kommunismus und ist bis heute umstritten.
Doch nicht bei allen Gästen, die zum 200. angereist waren, ging es um große oder kleine Politik. Für Frédérique Longuet-Marx, die aus Paris gekommen war, war es ein sehr persönlicher Tag: «Für mich ist Karl Marx nicht nur ein wichtiger Philosoph und Denker, der die Welt verändert hat und der heute immer noch aktuell ist. Für mich ist es auch der Ur-Ur-Ur-Großvater, den ich gerne kennengelernt hätte.»
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