Der jetzt verhandelte Fall hatte sich bereits im Frühjahr 2022 zugetragen. Damals hatte eine 17-jährige Schülerin eines Lyzeums in Rom einen Schuldiener wegen sexueller Belästigung angezeigt. Der Bedienstete hatte dem Mädchen in die Hose und an das Gesäß gegriffen. Vor Gericht wies der Angeklagte die Anschuldigung zurück und erklärte, es habe sich „nur um einen Scherz“ gehandelt, der im Übrigen „nicht länger als zehn Sekunden“ gedauert hätte.
Die Staatsanwaltschaft folgte der Klage und forderte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Der den Fall verhandelnde Richter sah das Ganze als Bagatelle und sprach den Schuldiener frei. Das Urteil löste eine Welle der Empörung in Italien aus. In den sozialen Medien kursieren Videos, Stoppuhren werden gezeigt, auf denen die Zeit von zehn Sekunden abläuft. Parallel dazu sieht man zum Beispiel eine Männerhand, die nach einer weiblichen Brust greift.
Auch Prominente reihen sich in die Proteste ein. So der Schauspieler Paolo Camilli, der in seinem Video auf Twitter zeigt, dass sich zehn Sekunden wie eine Ewigkeit anfühlen können.
Sexuelle Übergriffe sind Tagesthema
Der Fall der römischen Schülerin trifft in Italien auf eine ohnehin aufgeheizte Atmosphäre. Seit gut zehn Tagen berichten die hiesigen Medien von einem Vorfall, in dem der Sohn des derzeitigen Senatspräsidenten und Fratelli d’Italia-Mitbegründers Ignazio La Russa eine negative Rolle spielt. In der Nacht zum 19. Mai soll Leonardo Apache La Russa eine ehemalige Mitschülerin in eine Diskothek eingeladen haben. Am Tag darauf fand sich die 22-Jährige im Bett von La Russa jr., ohne eine Ahnung davon zu haben, wie sie an den Ort gekommen war und was sich zugetragen hatte. Am 29. Juni reichte die Betroffene über ihren Anwalt Stefano Benvenuto Klage wegen Vergewaltigung ein, seit dem 3. Juli ermittelt die Staatsanwaltschaft von Mailand. Freundinnen der Klägerin behaupteten in Zeugenaussagen, der jungen Frau seien Drogen in ein Getränk gegeben worden. Eine der jungen Frauen hatte noch eine Botschaft gesandt, sie möge „verschwinden, weil ihr Gefahr drohe“.
Beweisen ließen sich die Zeugenaussagen bislang noch nicht. Allerdings erhoben sich von Seiten des Parlamentspräsidenten Vorwürfe gegen die junge Frau. Von „einvernehmlichem Sex“ bis hin zu „politischen Provokationen“ war die Rede, und natürlich wurde auch der gängige Vorwurf, das „Opfer sei selbst schuld“ mehrfach kolportiert. Das Mobiltelefon von Leo La Russa darf bislang von der Staatsanwaltschaft nicht ausgewertet werden, weil es auf den Senatspräsidenten zugelassen ist. Die Senatskanzlei beharrte auf die parlamentarische Immunität des FdI-Politikers. Der Senatspräsident hatte sich zunächst deutlich vor seinen Sohn gestellt. Er bezeichnete die Anzeige, die erst vierzig Tage nach dem Vorfall gestellt wurde, als äußerst fragwürdig. Zudem erklärte Ignazio La Russa, er habe gehört, das Mädchen habe selbst Drogenkonsum eingestanden.
Oppositionsführerin und Pd-Chefin Elly Schlein bezeichnete die Verteidigungssprüche La Russas als „äußerst widerlich“. In der Öffentlichkeit wird der Fall mit dem Unterton: „die Mächtigen können sich alles erlauben“ aufmerksam verfolgt. Und je aggressiver Familie La Russa die Verteidigung verfolgt, desto intensiver wird die Angelegenheit beobachtet. Die Mussolini-Büste, derer sich der Senatspräsident rühmt und sie auf seinem Schreibtisch zur Schau stellt, gerät da völlig in den Hintergrund.
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