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Menschen wie wirGhislaine und Felix aus Schwebsingen machen europäische Geschichte lebendig

Menschen wie wir / Ghislaine und Felix aus Schwebsingen machen europäische Geschichte lebendig
Die „Tourist Guides“ Ghislaine Derrien und Felix Reinarz beim alten Schlossturm in Schengen: „Wir sind nicht gerade ein Beispiel für ein stabiles Leben“, sagen beide Foto: Editpress/Julien Garroy

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Der 21. Februar 2020 ist bereits der 30. internationale „Tourist Guide Day“ (s. Kasten). Aus diesem Anlass gilt unser Porträt über „Menschen wie wir“ heute einem Reiseführer-Ehepaar. Ghislaine Derrien und Felix Reinarz. Das gesellige Paar, sie Französin, er Niederländer, hat aufregende Lebensläufe sowie ein Talent für Sprachen und Kommunikation. Am Tegernsee in Bayern lernten sie sich kennen. 

Heute leben Ghislaine Derrien und Felix Reinarz in Schwebsingen, und wenn sie nicht gerade irgendwo in der Weltgeschichte unterwegs sind, erklären sie Besuchergruppen an der Mosel EU-europäische Geschichte und die Bedeutung der Schengener Abkommen.

Ghislaine Derrien

Paris. April 1943. Bomben fallen, als Ghislaine Derrien ihren ersten Schrei von sich gibt. Ein unruhiger Start ins Leben. Ruhiger wird es für die Tochter einer bretonischen Familie aber auch in den kommenden Jahrzehnten nicht.

Sie möchte in die USA. „Weil ich neben Französisch auch Englisch und Deutsch sprechen konnte, war ich als Übersetzerin sehr gefragt“, sagt sie. Doch aus dem Sprung über den großen Teich wird nichts. So landet sie in Zürich. Als Übersetzerin bei „Rotary international“. Es sollte ein Sprungbrett werden, um die Welt zu erkunden. „Doch ‘unglücklicherweise’ habe ich 1965 geheiratet“, so Ghislaine.

1973 beginnt sie als Leiterin für Wanderferien beim Reisekonzern Kuoni mit Sitz in Zürich. „Bis nach China bin ich gekommen.“ Später erhält sie die Aufgaben, die Reden des Chefs zu schreiben und sich um die Pressearbeit zu kümmern. Die erste Ehe geht in die Brüche. Sie heiratet ein zweites Mal. Nochmals Scheidung. Um ein Haar wäre sie dann nach Namibia gezogen. Die politischen Umstände aber machen einen Strich durch die Rechnung.

1987 wagt Ghislaine den Schritt in die Selbständigkeit – als Kommunikationsberaterin. „Public relations war damals noch nicht so verbreitet wie heute“, sagt sie. Vuitton, Guerlain, Gübelin und der Luxusbrillenhersteller Cazal gehören zu ihren Kunden. Bei einem Firmenmeeting am Tegernsee in Bayern lernt sie 1987 Felix Reinarz kennen. Er leitet einen Motivationskurs.

Felix Reinarz

Felix hat ein ähnlich aufregendes Leben hinter sich. Er wird 1945 in den Niederlanden nahe Rotterdam geboren, als fünftes Kind der Familie. Der Krieg ist noch nicht vorbei. „Es herrschte Hunger“. Der Vater ist Rheinschiffer.

„Am Weihnachtstag 1952 heißt es, dass wir im neuen Jahr nach Luxemburg ziehen“, erinnert sich Felix. Der Vater hat eine Stelle bei der 1952 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS/CECA) angenommen, dem Vorläufer der Europäischen Union. Am 3. Februar kommt die Familie in Luxemburg an. Erster Wohnsitz: Schrassig.

Nach der Grundschule in Oetringen besucht Felix die neu gegründete Europaschule. Als der Vater zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nach Brüssel wechselt, zieht die Familie mit. Felix macht sein Abitur an der Europaschule in Brüssel. In Rom beginnt er ein Studium der Architektur, schreibt sich aber später in Antwerpen für Politikwissenschaften ein. Doch auch diesen Studiengang bricht er ab.

Dank seiner Sprachkenntnisse wird er zunächst Vertreter für Erdölprodukte und dann für Schuhe. Als Marketingmanager in der Flugindustrie ist er später bei der Gründung von Airbus dabei und landet dann bei einer Firma für Öffentlichkeitsarbeit, die ihn zur Weiterbildung nach Schweden schickt. „Das war alles recht unkompliziert damals“, sagt er.

1987 macht er sich als Kommunikationsberater selbstständig. Im Auftrag von Cazal leitet er 1987 einen Motivationskurs am Tegernsee. Unter den aufmerksamen Zuhörern ist auch die Kommunikationsbeauftragte Ghislaine Derrien.

Amors Pfeil

War ihre Begegnung am Tegernsee Liebe auf den ersten Blick? Ghislaine und Felix schauen sich an.

Ghislaine: „Nein, na ja, nicht unbedingt, ich war etwas gelangweilt und mit den Gedanken woanders. Zudem hatte ich mich am Fuß verletzt und war nicht wirklich bester Laune.“

Felix: „Liebe auf den ersten Blick? Nein!“

„Lügner!“, ruft Ghislaine dazwischen.

Felix: „Also, sagen wir so, sie hat mich interessiert, aber das war alles.“ (Hier entwickelte sich bei unserem Gespräch mit Ghislaine und Felix eine längere Diskussion, über die wir jetzt lieber den Mantel des Schweigens hüllen.)

Wie auch immer, das gegenseitige Interesse wird am bayrischen See geweckt. „Wenn du nach Zürich kommst, melde dich“, habe sie damals gesagt. Natürlich meldet Felix sich. Getroffen haben sie sich dann schließlich Ende 1987 in Paris. Gemeinsam fahren sie zu einem Seminar von Cazal in die Bretagne. Sie buchen zwei Zimmer und bestellen einen Drink. Der Rest ist Geschichte.

Ghislaine und Felix sind seitdem ein Paar. Nach einigem Hin und Her lassen sie sich 1996 in Luxemburg nieder – in Syren. „Kindheitserinnerungen, und steuerlich interessant“, sagt Felix, „deshalb Luxemburg.“

Geheiratet haben sie 2018 an der Mosel, in der Gemeinde Schengen, wo sie heute auch leben. In Schwebsingen. In einer Dachwohnung, die nicht groß, aber mit viel Geschmack eingerichtet ist. An den Wänden hängen zahlreiche Bilder. Alles Originale. Zum Beispiel des Schweizer Clowns Dimitri, der auch zeichnete und malte. 

Unternehmungslustig sind Ghislaine und Felix wie eh und je und alles andere als Kinder von Traurigkeit.
„Wir sind nicht gerade das beste Beispiel für ein stabiles Leben“, sagt Felix. Ghislaine stimmt zu. Aber wen stört’s? Mit Sicherheit nicht die, die bei Führungen und Reisen dem Wissen und dem Charme der sprach- und weltgewandten „Guides“ erliegen.

Davon kann sich in Luxemburg jeder überzeugen, der im Europazentrum in Schengen eine geführte Tour bucht und mit Ghislaine und/oder Felix in die Tiefen der EU-europäischen Geschichte eintaucht. Eine Geschichte, die beide am eigenen Leib erlebt haben. Wohl auch deshalb kommen ihre Erzählungen einem äußerst lebendig vor. So, als sei das alles erst gestern gewesen.

Der Weltgästeführertag

Der 21. Februar steht im Kalender der kuriosen Feiertage aus aller Welt ganz im Zeichen der Fremden- und Gästeführer. Zumindest wenn es nach der World Federation of Tourist Guide Associations (WFTGA) geht, die diesen Tag 1990 eingeführt hat. Ziel des 30. Weltgästeführertags ist es, in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Bedeutung und Rolle professioneller Fremdenführer zu schaffen. In diesem Rahmen bietet das regionale Tourismusbüro Müllerthal am Samstag zwei interessante Touren an: vormittags ab 10 Uhr in Echternach; nachmittags um 14 Uhr steht dann eine geführte Wanderung zum „Schéissendëmpel“ auf dem Programm. Die Touren sind kostenlos und werden auf Luxemburgisch/Deutsch und auf Französisch angeboten. Um Anmeldung wird gebeten, unter der Telefonnummer (+352) 72 04 57-21 oder über guidedtours@mullerthal.lu.

Wenn Ghislaine Derrien und Felix Reinarz als Gästeführer in Schengen über die Europäische Union erzählen, dann wird Geschichte lebendig
Wenn Ghislaine Derrien und Felix Reinarz als Gästeführer in Schengen über die Europäische Union erzählen, dann wird Geschichte lebendig Foto: Editpress/Julien Garroy