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ForumGesundheitssektor: Ausbildung, Attraktivität und Aufstiegschancen

Forum / Gesundheitssektor: Ausbildung, Attraktivität und Aufstiegschancen
 Foto: Editpress/Alain Rischard

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Während der Covid-19-Zeit galten die Gesundheitsberufe als „systemrelevant“. Man erinnere sich daran, dass den Pflegekräften vor gar nicht mal so langer Zeit öffentlich für ihren Einsatz applaudiert wurde. Groß waren zudem die Versprechen vonseiten der politischen Verantwortlichen. Das Spektrum reichte von der Aufwertung der Pflegeberufe über die grundlegende Reform der Ausbildung bis hin zur Neubewertung der Nomenklatur der medizinischen und/oder pflegerischen Leistungen. Jetzt, wo die Pandemie Geschichte ist, stellt sich die Frage, was denn aus den vielen Versprechen geworden ist: nicht viel, um es mal politisch korrekt auszudrücken.

Aufgabenbereich und Kompetenzen von Gesundheits- und Pflegekräften waren bislang durch großherzogliche Verordnungen geregelt, die auf dem Gesetz von 1992 basierten. Diese wurden bekanntlich am 4. Juni 2021 vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt und galten nur noch übergangsweise bis Ende Juni.

Wie kann es also sein, dass das Gesundheitsministerium geschlagene zwei Jahre braucht, um die vom Verfassungsgericht angemahnten Gesetzesänderungen bei der Zulassung dieser Berufe neu zu regeln? War beziehungsweise ist dem Ministerium der Stellenwert der Gesundheitsberufe etwa kein schnelles Handeln wert?

Auch das neue Gesetz, das für viele Gesundheitsberufe den gesetzlichen Rahmen festlegt, ist unausgegoren. Dies ist umso unverständlicher, als der Gesundheitssektor vor großen Herausforderungen steht. Der Zugang zu den Gesundheitsberufen ist eine Garantie für die Bürger, dass die Versorgung durch qualifiziertes Personal gewährleistet bleibt.

Fachfremdes Personal ist nicht die Lösung

Aber auch ohne dieses hausgemachte Problem steht der Gesundheitssektor unter Druck: wegen der demografischen Entwicklung sowie der technischen Diversifizierung und Spezialisierung. Und der bereits bestehende Engpass auf dem Arbeitsmarkt wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen: wegen des steigenden Bedarfs an Gesundheits- und Pflegedienstleistungen, wegen der weiter anwachsenden Bevölkerung oder auch wegen der sich schleichend verschlechternden Arbeitsbedingungen in diesen Berufen.

Neben hoher physischer und psychischer Belastung bilden die begrenzten Aufstiegschancen ein weiteres negatives Element beim Abwägen der Argumente für oder gegen eine Ausbildung im Pflegebereich. Eines steht bereits heute fest: Fachfremdes, nachqualifiziertes oder umgeschultes Personal wird nicht die Lösung sein. Analysiert werden müssen auch die Arbeitsbelastung sowie der sich zuspitzende Ausstieg von hauptsächlich weiblichen Pflegekräften, die Arbeit und Familie nicht mehr länger unter einen Hut bringen können oder wollen.

Dass Luxemburg seit Jahren in diesem Sektor auf gut ausgebildete Grenzgänger zurückgreift und so die Löcher auf dem heimischen Arbeitsmarkt stopfen konnte, ist kein Geheimnis. Kein Geheimnis ist auch, dass immer weniger ausgebildete Arbeitskräfte in der Großregion zu finden sind und die Attraktivität des Luxemburger Arbeitsmarktes sinkt. Die Sicherung des Nachwuchses, die Qualität der Ausbildung und die Gestaltung der Weiterbildung wurden in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt.

Die zunehmende Komplexität der Aufgaben hat auch höhere Anforderungen zur Folge. Diese mit den jetzigen Ausbildungswegen im Pflegebereich meistern zu wollen, ist ein falscher Ansatz. Hier haben weder das Bildungsministerium noch das Hochschulministerium ihre Aufgaben erledigt. Und dabei liegen Vorschläge auf dem Tisch: Die Interessenvertretung der Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen unterbreitet seit Jahren dem zuständigen Minister beider Ministerien Konzepte zur Neuordnung der Ausbildung – bisher aber vergeblich.

Mehr ambulante und dezentrale Anlaufstellen

Nicht außer Acht gelassen werden dürfen in dieser Problematik auch die Digitalisierung und der Kostendruck, der auf dem Gesundheitssektor lastet. Je älter die Bevölkerung wird, je weiter der medizinische Fortschritt voranschreitet, desto schneller müssen sich die Versorgungsstrukturen den veränderten Gegebenheiten anpassen, was wiederum mit Veränderungen im Berufsprofil einhergeht. Sind sich die zuständigen Ministerien dieser Herausforderungen bewusst? Wird an neuen Konzepten gearbeitet? Wenn ja, sind alle Akteure eingebunden?

Die Luxemburger Gesundheitspolitik ist zentralistisch organisiert, staatlich kontrolliert und an den Krankenhäusern orientiert. Angesichts der allgemeinen demografischen Entwicklung, der steigenden Zahl älterer Mitbürger, der schwindenden Verfügbarkeit von Verwandten für die Pflege kranker Familienangehöriger sowie der stärkeren Selbstbestimmung pflegebedürftiger Personen werden neue Konzepte benötigt: mehr ambulante und dezentrale Anlaufstellen, mehr Vorsorge und Beratung.

Erschwerend hinzu kommt der in Zukunft weiter steigende Mangel an Ärzten und qualifiziertem Pflegepersonal. Wenn Luxemburg sich das qualitative Niveau der gesundheitlichen Versorgung erhalten will, dann setzt dies eine permanente Anpassung an äußere und innere Anforderungen voraus: Neuordnung der Aufgaben, Verbesserung der Zusammenarbeit aller Akteure, gute Versorgung, Zufriedenheit des medizinischen und pflegerischen Personals.

Benötigt wird vor allem eine Anpassung der Berufsprofile und -rollen. Und dies innerhalb eines verlässlichen Rahmens. Ohne angemessene Bezahlung, hohe Attraktivität der Berufe sowie transparente Bildungs- und Karrierewege wird der Gesundheitssektor diese Herausforderungen nicht meistern können.

Marc Spautz ist CSV-Politiker, Abgeordneter, Schöffe und ehemaliger Gewerkschaftssekretär
Marc Spautz ist CSV-Politiker, Abgeordneter, Schöffe und ehemaliger Gewerkschaftssekretär Foto: privat