Stéphane Floccari, Philosophieprofessor und Lehrbeauftragter an der Sorbonne, beschreibt diese Rituale: „Sie kommen nicht, um zu plaudern: Man kann seinen Nachbarn kaum verstehen. Auch nicht, um zu konsumieren: Die meisten Geschäfte haben ihre Rollläden heruntergelassen. Oder um spazieren zu gehen: Man kann kaum zwei Schritte vor sich machen. Sie sind auch nicht hier, um Forderungen zu stellen: Die einzigen Slogans, die ausgetauscht werden, sind Siegesgesänge. Sie haben sich versammelt, um an einem Fest teilzunehmen, das in keinem Kalender steht, das sie aber um nichts in der Welt verpassen würden (…). Ob es sich um temporäre oder lebenslange Fans handelt, sie unterstützen ihre Heroen mit einer Stimme. Eifrig prägen sie sich deren Legenden in ihr Gedächtnis ein, indem sie sich ihre Heldentaten im Übermaß zu eigen machen.“
Die Gründe einer Leidenschaft
Diese Helden, deren Legenden sich tief in unser Gedächtnis eingeprägt haben … Eine meiner frühesten prägnanten Erinnerungen ist mit der Werbebande unterhalb der Stehtribüne des Spielfeldes der Escher Jeunesse verbunden, am Abend des 19. September 1973, also vor fast genau fünfzig Jahren. Eine Bande, die mir so unglaublich hoch vorkam. Ich war neun Jahre alt und verfolgte mit meinem Großvater mütterlicherseits, Jemp Hoscheid, Hüttenarbeiter auf Arbed Terre rouge und ehemaliger großer Sportler, der in den 1930er-Jahren Torwart der Jeunesse und der luxemburgischen Nationalmannschaft gewesen war, ein außergewöhnliches Spiel. Oder besser gesagt, ich versuchte über die Bande zu schauen, um das Europapokalspiel der Landesmeister zwischen der Jeunesse und dem legendären Liverpool eines Keegan, Clemence oder Toshack zu verfolgen. An das Spiel selbst kann ich mich kaum erinnern, aber ich erinnere mich an die Tribünen, die bis auf den letzten Platz mit Fans der Schwarz-Weißen gefüllt waren. Ich erinnere mich an all diese Menschen, die sich zu einem Fest versammelt hatten, das in diesem magischen Moment in der 88. Minute gipfeln sollte, als Gilbert Dussier den Ausgleichstreffer zum 1:1 erzielte. Ein riesiger Jubelschrei ertönte im Stadion und war in ganz Esch zu hören. Es war für alle Fans ein Moment jenseits ihrer Arbeit und ihrer alltäglichen Sorgen. Dussier, Di Genova, Zwally, Hoffmann, Morocutti, Hnatow usw., die Helden dieses Augenblicks sollten für mich als angehenden Fußballer schnell zu meinen sportlichen Vorbildern werden …
Es ist die Geschichte einiger dieser Helden und Heldinnen, die uns das Buch von Georges Klepper und seinen Gastautoren Henri Bressler, Pierrot Feltgen, Pilo Fonck, Pierre Gricius und Ralph Letsch über „140 Jahre Luxemburger Sportgeschichte(n) 1884-2023. Kuriose Ereignisse – unbekannte Helden – herausragende Leistungen“ (312 Seiten, 45 €) erzählt. Georges Klepper spielte zuerst Basketball, bevor er eine aktive Karriere in der Leichtathletik einschlug, als Leistungssportler, dann als Trainer, als Sportdirektor, schließlich als Generalsekretär der FLA („Fédération luxembourgeoise d’athlétisme“). Beruflich führte ihn sein Weg von der „Caisse de pension des employés privés“ ins Sportministerium, wo er sich u. a. als Nachfolger von Henri Bressler um das Archiv des „Patrimoine sportif“ kümmerte. Georges Klepper ist in meinen Augen auch ein Held. Seit 2015 ist er an ALS erkrankt (Amyotrophe Lateralsklerose). Mittlerweile ist er gelähmt und kann auch nicht mehr sprechen. Das Buch und die Interviews mit mehr als 50 Sportlern und Journalisten hat er mithilfe der Augensteuerung eines Spezialcomputers und seines unbändigen Einsatzes realisiert. Und mithilfe seines enormen Wissens über den Luxemburger Sport, das er sich durch seine jahrelange Aufbauarbeit im Archiv des Sportministeriums, im Hinblick auf das zukünftige nationale Sportmuseum in Esch/Alzette, angeeignet hat.
Ursprünge des Sports in Luxemburg
In weniger als zwei Jahrhunderten ist der Sport zu einem universellen Bestandteil der Kultur geworden, der in Luxemburg und anderswo sämtliche Gesellschaftsschichten und Bevölkerungsgruppen durchdrungen hat. Es ist kein Zufall, dass die Ursprünge des modernen Sports in Luxemburg auf die gleiche Zeit zurückgehen, in der auch die Demokratie geboren wurde: 1848, das Jahr der Revolution, das Jahr der ersten Verfassung des Landes. Im selben Jahr wurde der erste „Turnverein“ (später Gym genannt), gegründet. Genauer gesagt handelte es sich eigentlich um die Vorgeschichte des modernen Sports: Dieser Turnverein war mehr auf Geselligkeit und demokratische Gleichheit ausgerichtet als auf turnerische Praxis.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Turnvereine an, und der Schwerpunkt wurde zunehmend auf körperliche Betätigung gelegt, die ab den 1890er-Jahren „Sport“ genannt wurde; ein Begriff, der zuvor nur für Pferderennen und die Jagd verwendet worden war. Der 1879 gegründete „Cercle grand-ducal d’escrime et de gymnastique“, kurz Cercle genannt, symbolisiert diese Phase am besten. Neue Sportarten entstanden in den 1880er-Jahren mit Rettungs- und Schwimmvereinen, Radsport und Fußball – 1881 brachte Henri Baclesse, der Schatzmeister des Cercles, von einem Aufenthalt in England einen Fußball mit. Eine andere englische Bezeichnung, „Club“, hielt 1884 mit der Gründung des Véloce-Clubs Einzug in Luxemburg. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es immer mehr Clubs, in denen Sport betrieben wurde.
Es ist daher nur logisch, dass dieses Buch, das den großen Leistungen des luxemburgischen Sports gewidmet ist, mit dem symbolischen Datum 1884 beginnt.
Der Sport als Freizeit- und Unterhaltungsaktivität, der zunächst nur in bürgerlichen Kreisen praktiziert wurde, öffnete sich um 1900 auch für die unteren Gesellschaftsschichten. Die ersten Arbeiter traten Turnvereinen bei, sie spielten Fußball und betrieben Radsport. Andere Sportarten wie Reiten, Fechten, später auch Fliegen und Autorennen blieben noch längere Zeit dem Bürgertum vorbehalten. Am Beispiel des Radsports zeigt sich, dass sich der Sport schnell von der Unterhaltung zum Wettkampf wandelte; genauso wie der Radsport durch die Straßenrennen zu einem Spektakel wurde, das die Massen anzog.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stehen die Hauptsäulen des luxemburgischen Sports als körperliche Massenaktivität: Gymnastik, Schwimmen, Radsport und Fußball (in seinen Anfängen oft in Verbindung mit Leichtathletik und Tennis).
In unserer zunehmend komplexen und nach Orientierung suchenden Gesellschaft brauchen Kinder und Jugendliche Vorbilder, an denen sie sich ein Beispiel nehmen können. Sie brauchen Männer und Frauen, die sie ermutigen und in ihrer Entwicklung begleiten. Die großen Sportlerinnen und Sportler, die in diesem Buch vorgestellt werden, können ebenfalls als Vorbilder dienen.
Prominente Sportler und Sportlerinnen
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sie von Erwachsenen, von Trainerinnen und Trainern, ausgebildet und begleitet wurden, auch wenn diese meist nicht so sehr im Rampenlicht stehen wie die von ihnen gecoachten Athletinnen und Athleten. In gewisser Weise würden sie ein eigenes Buch verdienen, denn die Trainerinnen und Trainer zeichnen für die großen Leistungen im Radsport, Laufen, Gehen, Turnen, Schwimmen, Fußball, Tennis und Tischtennis, Volleyball, Fechten, Gewichtheben, Skisport, Boxen, Karate, Judo, Motorsport, Extremsport sowie anderen Sportarten mitverantwortlich.
Dieses Buch widmet sich zu Recht denjenigen, die uns zum Träumen gebracht haben und bringen. Am Firmament stehen natürlich jene, die auf internationaler Ebene zu Legenden ihres Sports geworden sind, wie der Mittelstreckenläufer Josy Barthel, der 1952 in Helsinki die Goldmedaille im 1.500-Meter-Lauf gewann, oder die Sieger der Tour de France, die mit vielsagenden Namen geadelt wurden: der erste luxemburgische Sieger François Faber, der „Géant de Colombes“, Nicolas Frantz, zweifacher Sieger der „Tour de Frantz“, Charly Gaul, der „Ange de la montagne“.
Die Erfolge eines weiteren luxemburgischen Siegers der „Grande Boucle“, Andy Schleck, seines Bruders Fränk sowie Kim Kirchens wurden von ihren Bewunderern und Kritikern wahrscheinlich genauso angeregt diskutiert, wie es die Zeitgenossen von Faber, Frantz und Gaul getan hatten. Endlos sprachen selbsternannte Experten über die Anstiege zum Gipfel des Port de Balès oder des Ventoux, ohne natürlich den Ausgang der Etappen ändern zu können. Überhaupt nimmt die Tour de France, bei der luxemburgische Fahrer insgesamt 70 Etappen gewannen, einen besonderen Platz in dieser Anthologie ein.
Da der Frauensport lange Zeit weniger in den Medien präsent war, haben die Erfolge – um beim Radsport zu bleiben – von Elsy Jacobs, der ersten Straßenweltmeisterin in der Geschichte des Radsports, oder aktuell die von Christine Majerus nicht die gleiche Berühmtheit erlangt wie die ihrer männlichen Kollegen. Ein Grund mehr für die Autoren, ihnen in ihrer Sportgeschichte ausführliche Kapitel zu widmen.
Wichtige Orte, Momente, Säulen
Eines der Verdienste dieser schönen Textsammlung ist es, die Vielfalt der Akteure des luxemburgischen Sports und ihre individuellen und kollektiven Erfolge, die bekanntesten und die weniger bekannten, neben symbolträchtigen Orten, Institutionen, besonderen Momenten sowie Sportarten, die im Schatten geblieben sind, mit Feingefühl zu erwähnen. Es ist kein Zufall, dass zwei der Kapitel über die jüngere Vergangenheit den Paralympics und den Special Olympics gewidmet sind.
Wenn ich all diese Geschichten auf sehr subjektive Weise Revue passieren lasse und von Leistungen und Momenten spreche, die ich persönlich verfolgt habe (im Fernsehen oder in der Zeitung), dann hat mich Dany Kabers siebter Platz beim Seoul-Marathon 1988, dieser Augenblick, in dem sie ins Stadion einlief, genauso bewegt wie eine Goldmedaille. Dasselbe kann ich aber auch, um nur einige zu nennen, über die Leistungen von Claude Michely, Nancy Kemp-Arendt, Eugène Berger, Anne Kremer, Tessy Scholtes, David Fiegen, Marie Müller oder Gilles Muller sagen.
Ich habe die Trainerinnen und Trainer als eine der Säulen großer sportlicher Erfolge erwähnt. Die Autoren haben aber auch andere Säulen nicht vergessen: den Freizeitsport, den Schulsport oder die Ehrenamtlichen im Sport, von den Verantwortlichen der Buvetten über die Betreuerinnen und Betreuer von Jugendmannschaften bis hin zu den Funktionärinnen und Funktionären.
Dies gilt ebenso für eine weitere Säule des Sports. Luxemburg ist ein Land der Migrationen. Wie in vielen anderen Bereichen war und ist die Einwanderung eine Bereicherung für den nationalen Sport. Die Namen Sowa, Pilot, Bombardella, Garofoli, Ni Xialian, Da Silva, Stacchiotti und De Nutte stehen in diesem Buch an prominenter Stelle, um dies zu belegen. Sie unterstreichen, wie sehr der Sport ein Bindeglied für die soziale, kulturelle und identifikatorische Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern und ihren Kindern war und ist. In der Hitliste der Luxemburger Sportgeschichte(n) ist dies eine weitere große Leistung, die es verdient, abschließend hervorgehoben zu werden.
Dies ist eine leicht abgeänderte Fassung des Vorworts von Denis Scuto zum Buch „140 Jahre Luxemburger Sportgeschichte(n), 1884-2023. Kuriose Ereignisse – unbekannte Helden – herausragende Leistungen“ von Georges Klepper, das im November 2023 erschienen ist.
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