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Forum / Gelähmter Staaten-Zusammenschluss: Hat die G20 eine Zukunft?
Der erste G20-Gipfel war am 14. und 15. November 2008 in Washington, D.C. Foto: Presidencia de la Nación Argentina

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Die Welt steht vor enormen gemeinsamen Herausforderungen, die kooperative Lösungen erfordern. Die Covid-19-Pandemie ist noch nicht vorbei und die Arbeiten zur Verhinderung einer weiteren Pandemie haben gerade erst begonnen. Steigende Schuldenlasten gefährden die wirtschaftlichen Aussichten der einkommensschwachen Länder und das Wohlergehen ihrer Bevölkerungen. Steil steigende Nahrungsmittelpreise und die Störung der Getreidelieferungen im Gefolge der russischen Invasion in der Ukraine haben das Hungerrisiko in vielen Teilen der Welt erhöht. Und zusätzlich zu all dem müssen Regierungen und Unternehmen ihre Zusagen zur Klimaneutralität dringend in messbare Verringerungen ihrer Treibhausgas-Emissionen umsetzen.

Dies sind furchteinflößende Probleme. Doch das größte Problem von allen ist, dass die zunehmenden geopolitischen Spannungen und der Krieg nun den wichtigsten Mechanismus zur Organisation globaler Reaktionen darauf gelähmt haben: das G20-Forum der Staats- und Regierungschefs. Wenn strategische Konflikte über die nationale Sicherheit und die wirtschaftliche und technologische Vorherrschaft drohen, macht das eine wirksame internationale Zusammenarbeit fast unmöglich, und das erhöht die Risiken für uns alle.

Die G20 wurde von US-Präsident George W. Bush ins Leben gerufen (der auf einem bestehenden regelmäßigen Gipfeltreffen der Finanzminister und Notenbanker aufbaute), um der globalen Finanzkrise von 2008 zu begegnen. In den Jahren 2008 und 2009 kamen die Staats- und Regierungschefs der Welt zusammen und sagten mehr als eine Billion Dollar zur Stabilisierung der Weltwirtschaft, zur Beruhigung der Märkte und zur finanziellen Stärkung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zu.

Fähiges, dynamisches Forum

Damals galt die neue Organisation als weltweit fähigstes, inklusivstes und dynamischstes Forum für gemeinsame Maßnahmen und politische Koordinierung. In ihren Anfangsjahren erwies sie sich als sehr effizient und überwachte die Zusammenarbeit in Fragen, die von der Finanzstabilität und finanziellen Risiken bis hin zu inklusivem Wachstum und zum Klimawandel reichten. Doch da wichtige Akteure sie nun am effizienten Arbeiten hindern, kann die G20 dieselben öffentlichen Güter heute nicht mehr liefern.

Der G20-Prozess wurde erstmals durch die russische Annexion der Krim 2014 geschädigt, die die Gruppe faktisch in eine „G19+1“ verwandelte. Und obwohl ein Abkommen zwischen den USA und China zum Klimawandel im Jahr 2016 die Gruppe wieder stärkte, untergrub US-Präsident Donald Trump sie erneut durch seine Weigerung zur Unterzeichnung gemeinsamer Kommuniqués und durch Ablehnung von US-Bekenntnissen zur regelgestützten internationalen Ordnung.

Angesichts von Russlands umfassendem Angriffskrieg gegen die Ukraine wird der G20-Gipfel in diesem November fast mit Sicherheit ein Fehlschlag werden. Man kann von Indonesien, das gegenwärtig die rotierende Präsidentschaft innehat, schlicht nicht erwarten, zwischen wütenden, streitenden Supermächten zu vermitteln. China hat sich Forderungen widersetzt, Russland als Strafe für den Krieg in der Ukraine aus der G20 auszuschließen. Das parallel stattfindende Treffen der G20-Finanzminister ist ebenfalls in Schwierigkeiten; auf der letzten Sitzung im April verließen US-Finanzministerin Janet Yellen und viele andere den Saal, als der russische Vertreter seine Rede hielt.

Gelähmter Staaten-Zusammenschluss

Die Lähmung der G20 ist eine schlechte Nachricht für inklusive Diplomatie und viele notwendige Reformbemühungen. Geopolitische Spannungen, Krieg und neue Sorgen im Bereich der nationalen Sicherheit bedeuten, dass die multilaterale Koordinierung der Globalisierung, die in den 2000er Jahren begann, jetzt am Tropf hängt. Erst nach einem Ende des Krieges in der Ukraine kann man beginnen, wieder diplomatische Brücken zu schlagen und die Lieferketten wieder aufzubauen. Und selbst dann sind die Chancen auf eine rasche Wiederannäherung zwischen den USA und China – von den USA und Russland gar nicht zu reden – ausnehmend gering.

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden, die viele der von Trump aufgestellten Ziele weiterverfolgt, hat sich in Handels-, Technologie- und weiteren Fragen auf eine harte politische Linie gegenüber China festgelegt. Indem er die „strategische Ambiguität“ bezüglich der Verteidigung Taiwans aufgegeben hat, ist Biden in dieser Frage sogar noch weitergegangen als Trump.

Diese nicht sehr vielversprechende diplomatische Haltung lässt für koordinierte globale Bemühungen insbesondere zur Bekämpfung des Klimawandels nichts Gutes erwarten. Der Wettlauf um die Vorherrschaft in umweltfreundlichen Branchen wird sich stattdessen zu einem Bestandteil des Nullsummenspiels der US-chinesischen Rivalität entwickeln. Die Chinesen sehen es bereits so und verfolgen mit hohem Tempo eine ökologische Wende. Sie sind auf dem besten Wege, ihre Erzeugung erneuerbarer Energien von 29 Prozent des Verbrauchs in 2020 auf 33 Prozent in 2025 zu steigern. Das staatliche Projekt zur Erzeugung erneuerbarer Energie in der Wüste Gobi mit einer Kapazität von 450 GW – doppelt so viel wie die bestehende US-Gesamtkapazität in diesem Bereich – dürfte 2030 abgeschlossen sein. Chinas Vorteil im Bereich seltener Erden, die für Batterien und andere umweltfreundliche Technologien unverzichtbar sind, sorgt in Amerika angesichts der chinesischen Verknappung des Angebots ebenfalls für Unruhe.

Bidens geopolitische Brille

Die Biden-Regierung betrachtet nationale Investitionen in Umwelttechnologien ebenfalls durch eine geopolitische Brille. Während der US-Kongress es bisher versäumt hat, bedeutsame Gesetze zum Klimaschutz zu verabschieden, treibt die Regierung unter Berufung auf den Defense Production Act die Erzeugung erneuerbarer Energie im Lande voran. Der Wettlauf hat begonnen und die Handelsspannungen werden zunehmen, während sich die USA und China bemühen, einen Vorsprung gegenüber dem jeweils anderen zu erringen und aufrechtzuerhalten.

Natürlich könnte dieser Wettbewerb positive Auswirkungen für den Planeten haben, wenn jede Supermacht Maßnahmen zum Erreichen der Klimaneutralität (etwa im Bereich der Elektrofahrzeuge, der Infrastruktur oder der Kohlenstoffbepreisung) für ihre eigenen nationalen Umweltziele nutzt. Doch dürften die Vorteile die mit wachsenden geopolitischen Spannungen und der Abschwächung gemeinsamer weltweiter Klimaziele und einer widerspruchsfreien, koordinierten Umsetzung politischer Maßnahmen verbundenen Kosten kaum aufwiegen. Die Geschichte legt nahe, dass diese dringenden Ziele hintangestellt werden, während die führenden Mächte um kurz- und mittelfristige geopolitische Vorteile ringen. Der Niedergang der G20 ist sowohl Vorbote als auch Ursache der uns erwartenden globalen Turbulenzen.


* William R. Rhodes war Chairman und CEO der Citibank. Er ist Präsident von William R. Rhodes Global Advisors, LLC und Verfasser von „Banker to the World: Leadership Lessons From The Front Lines Of Global Finance“ (McGraw Hill, 2010). Stuart P.M. Mackintosh ist geschäftsführender Direktor der Group of Thirty.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2022
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