SREL-Prozess, Tag 5Geheimagent André Kemmer: „Opfer einer politischen Intrige“

SREL-Prozess, Tag 5 / Geheimagent André Kemmer: „Opfer einer politischen Intrige“
Am fünften Verhandlungstag kam André Kemmer zu Wort. Er sei nicht nur das Opfer einer politischen Intrige, sondern sei durch die Veröffentlichung seines Namens als ehemaliger Agent auch regelrecht in Gefahr gebracht worden, so Kemmer.  Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Mit einem politischen Exkurs ging am fünften Verhandlungstag des sogenannten SREL-Prozesses die Beweisführung zu Ende. Dabei nahm Ex-Geheimagent André Kemmer kein Blatt vor den Mund. Er und die beiden Mitangeklagten seien nichts anderes als Opfer einer politischen Intrige, die zum Ziel hatte, Ex-Premier Jean-Claude Juncker zu stürzen.

Mit der Aussage des früheren Geheimagenten und Angeklagten André Kemmer und dem Plädoyer der Zivilpartei wurde am Dienstag die Beweisaufnahme im sogenannten SREL-Prozess abgeschlossen. Mit seinen ehemaligen Vorgesetzten, Ex-SREL-Chef Marco Mille und Operationschef Fränk Schneider, muss sich Kemmer derzeit wegen eines illegalen Lauschangriffs auf den Geschäftsmann Loris Mariotto verantworten.

Dieser hatte dem Geheimdienst am 26. Januar 2007 eine CD zukommen lassen, auf der sich ein vermeintlich brisantes Gespräch zwischen Großherzog Henri und dem damaligen Staatsminister Jean-Claude Juncker befinden sollte. Bei erster Betrachtung aber hatte sich der Datenträger zunächst als leer herausgestellt, weshalb im Geheimdienst beschlossen wurde, den Geschäftsmann mit einem präparierten Handy anzurufen und dessen Telefonleitungen anzuzapfen. Dies sei auf Anordnung des damaligen Premierministers geschehen, wie Kemmer am Dienstag erneut unterstrich.

Besonders interessant aber an der Aussage Kemmers war der Umstand, dass der Ex-Geheimagent erstmals das öffentlich aussprach, was seine Vorgesetzten in den letzten Verhandlungstagen bereits mehrmals angedeutet hatten: Das Trio sei Opfer eines politischen Spiels geworden, das zum Ziel hatte, Jean-Claude Juncker zu stürzen.

Nachdem Kemmer auf seine eigene Rolle als operativer Befehlsempfänger in der ganzen Affäre eingegangen war, widmete er sich gefasst und ausführlich den politischen Konsequenzen des sogenannten „Uhrengesprächs“ – also jenes Gespräch zwischen Jean-Claude Juncker und Marco Mille, das dieser am 31. Januar 2007 mit einer präparierten Uhr aufgezeichnet hatte, ohne dass der Premier davon wusste.

Kemmer selbst sei zu diesem Zeitpunkt bereits etwas angeschlagen gewesen. So habe die anspruchsvolle und nicht gerade ungefährliche Arbeit beim Luxemburger Geheimdienst damals schon ihren Tribut beim Polizisten gefordert. Er war es denn auch, der Mille dabei geholfen hatte, die Uhr zu präparieren und das Gespräch mit dem Premier aufzuzeichnen. „Ich fühlte mich im Anschluss hin- und hergerissen in der Loyalität gegenüber meinem Vorgesetzten Marco Mille und meinem obersten Chef Jean-Claude Juncker“, gab Kemmer zu Protokoll.

Die ganze Angelegenheit habe zu einem inneren Konflikt geführt, der nicht spurlos an ihm vorbeigegangen sei. „Wie ein Damoklesschwert hing die Sache über mir. Ich wusste, dass ich Juncker über das Gespräch informieren musste, um mich selbst von den Gewissensbissen zu befreien und einen Neuanfang wagen zu können“, so Kemmer weiter, der daraufhin das Gespräch mit Juncker gesucht habe. Dieser habe sich nach dem Treffen denn auch bei ihm bedankt. „Er sagte mir, dass er politische Gegner hätte und mir das nie vergessen werde“, so Kemmer. Nach dem Gespräch habe er es denn auch fertiggebracht, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. „Bis 2012 dieser ganze Zirkus wieder von vorne losging“, so der Ex-Geheimagent.

Doch warum erst 2012?

Unmittelbar nach dem Gespräch mit Kemmer Ende 2008 hatte Juncker auch den Vorsitzenden des parlamentarischen Kontrollausschusses Charles Goerens (DP) über Milles Vertrauensbruch ins Bild gesetzt. Nur wenige Tage vor den Parlamentswahlen 2009 habe Juncker dann auch noch den heutigen Premier Xavier Bettel (DP) und Infrastruktur- und Polizeiminister François Bausch („déi gréng“) informiert. Ein ähnliches Treffen habe in einer gleichen Konstellation auch noch nach den Wahlen stattgefunden.

„Mich erstaunt, Herr Präsident, dass diese Leute bereits 2009 von den Geschehnissen um das Uhrengespräch wussten“, so André Kemmer vor der 12. Strafkammer des Bezirksgerichts Luxemburg am Dienstag. Laut Vernehmungen hätten sie sich zu diesem Zeitpunkt mit Junckers Erklärungen zufriedengegeben. „Dann aber werden sie plötzlich im November 2012 wieder aktiv“, so Kemmer. Das Uhrengespräch sei plötzlich in aller Munde gewesen und die parlamentarische Kontrollkommission sei auch wieder aktiv geworden. „Dann erhalten die Herren Bausch und Bettel ein Briefing des neuen Geheimdienstchefs und geben sich im Anschluss vor den Kameras und Mikrofonen äußerst empört“, unterstrich Kemmer. „Was sie nicht sagen: Dass sie bereits 2009 von den Geschehnissen wussten.“

Er habe damals Xavier Bettel in seiner Funktion als Anwalt und Mitglied des parlamentarischen Ausschusses um Rat gebeten. „Ich wusste nicht, was ich über den Geheimdienst zu Protokoll geben darf, und was nicht“, unterstrich Kemmer. „Wieso machen wir das nun?“, habe er Bettel auch gefragt. Dessen Antwort: „Wir hatten bereits Zirkus wegen Wickringen und Livange. Es geht nicht mehr mit Jean-Claude Juncker“, habe dieser ihm bei dieser Unterredung entgegnet.

„Für mich war zu diesem Zeitpunkt klar, dass die SREL-Affäre mit all ihren Elementen, die bereits 2009 bekannt waren und 2012 wieder aufgewärmt wurden, genutzt wurde, um einen politischen Skandal zu erzeugen, der Jean-Claude Juncker das Amt kosten sollte“, so ein selbstbewusster Kemmer in der öffentlichen Sitzung. Vor diesem Hintergrund sei es kaum erstaunlich, dass die Ermittler auf dem USB-Stick, auf dem das Uhrengespräch der Presse zugesteckt wurde, auch Zugangsdaten aus dem Parlament gefunden hatten.

Ein Euro für Mariotto

Als Anwalt der Zivilpartei ging Me Marco Fritsch im Anschluss auf die Spannungen und Grabenkämpfe ein, die zu jener Zeit innerhalb der verschiedenen Behörden beim Staat geherrscht haben sollen. Dies sei beim Prozess erneut zutage befördert worden, so der Anwalt von Loris Mariotto. Sein Mandant habe nichts mit diesem Krabbenkorb zu tun gehabt, sei jedoch von Beginn an als Gauner und Bösewicht dargestellt worden.

Dabei sei Loris Mariotto nichts anderes als ein tüchtiger Geschäftsmann mit anständigem Ruf. Er sei weder Funktionär noch Polizist, arbeite nicht für den Geheimdienst und sei auch kein Informant gewesen. „Er hatte absolut kein Motiv, irgendjemandem Schaden zuzufügen“, so Me Fritsch. Auch Juncker sei nicht unbedingt zu trauen. Schließlich habe dieser bereits in Interviews zu Protokoll gegeben, dass man lügen müsse, wenn es ernst wird.

Er selbst habe in seiner langen Karriere noch nie erlebt, dass ein Mandant so unter Druck gesetzt worden sei wie Loris Mariotto während der Ermittlungen zu dieser Affäre. So sei dieser auch mit Menschenhandel in Verbindung gebracht worden. Dabei habe es sich nur um weibliche Ingenieure aus Thailand gehandelt, die er in Luxemburg auf künftige Geschäfte in Bangkok vorbereiten wollte. Doch seien die Damen bei ihrer Visum-Befragung regelrecht belästigt worden, was fast zu einem diplomatischen Vorfall geführt habe, der nur vom damaligen Justizminister Jeannot Krecké abgewendet werden konnte.

Angesichts sämtlicher Schäden, die Mariotto durch die Maßnahmen und die anschließenden Vorgänge zugefügt worden seien, fordere dieser für seine Firma 10.000 Euro und für sich selber einen symbolischen Schadensersatz von einem Euro. „Denn ob nun 300 oder 3.000 Euro – der Schaden ist nicht in Geld aufzuwiegen“, so Me Fritsch.

„Les choses sont claires“

Was Me Laurent Niedner, der Anwalt von Ex-SREL-Chef Marco Mille, zum Abschluss seines rund einstündigen Plädoyers vehement zurückwies. Angesichts der vorliegenden Elemente sei auch ein totaler Freispruch seines Mandanten zu fordern. Die zwei Mitangeklagten hatte Me Niedner bereits zu Beginn seiner Ausführungen aus der Schusslinie genommen. Diese seien nur Befehlsausführer gewesen und sollten höchstens nur als Zeugen im Saal sitzen müssen, so der Anwalt.

Auch sei während der Verhandlung deutlich geworden, dass Jean-Claude Juncker sehr wohl von den Beobachtungen und Maßnahmen wusste und diese auch genehmigt hatte. Das entsprechende Gesetz sehe denn auch nicht vor, dass die Genehmigung des Regierungschefs nochmals im Nachhinein von einem Richtertrio beglaubigt werden müsse. „Stellen Sie sich vor, das Trio lehnt anschließend ab. Dann wäre die Aktion im Nachhinein noch illegal, was juristisch kaum Sinn ergibt“, so Me Niedner. Auch sei eine schriftliche Genehmigung keine Voraussetzung. Eine mündliche Genehmigung müsse ausreichen. Ansonsten könnten Geheimdienste ja nicht handeln, befinde sich der Staatsminister im Ausland.

Darüber hinaus gehe aus dem „Uhrengespräch“ deutlich hervor, dass Juncker von den Maßnahmen wusste. Er habe gleich zu Beginn „en connaissance de cause“ mit seinem Mandanten über die Geschehnisse gesprochen. „Nicht ein Mal hakt Juncker nach. Er wundert sich auch nicht, von welchen Abhörmaßnahmen Mille überhaupt spricht“, so Me Niedner. „Nein, les choses sont claires!“ Deshalb sei ein Freispruch das einzig richtige Urteil.