Sturzflutartig wie bei den jüngsten Sommergewittern ergießen sich die Wassermassen auf die Mühlen der Opposition. „Österreich leidet unter der höchsten Inflation in Westeuropa und unser Wohlstand schmilzt dahin“, lautet der durchaus realistische Befund auf der SPÖ-Homepage. Dass ÖVP und Grüne sich dabei immer weniger als regierende Koalitionspartner, denn als in fast allen Fragen zerstrittene Wahlkämpfer präsentieren, sollte der SPÖ auch in die Hände spielen. Dennoch: Die Partei kommt nicht auf Touren.
Nach dem chaotischen Parteitag Anfang Juni, als durch einen peinlichen Auszählungsfehler erst fälschlicherweise der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil zum Nachfolger der glücklosen Parteichefin Pamela Rendi-Wagner ausgerufen und zwei Tage später der tatsächliche Sieger Andreas Babler zum neuen Vorsitzenden gekürt worden war, konnte die Schockstarre der Genossen nur kurz als roter Burgfrieden fehlinterpretiert werden.
Manchen zu links
Auch Bablers „Comeback-Sommertour“ durch Österreich steht unter keinem guten Stern. Mit dem Slogan „Zurück zur Gerechtigkeit“ zieht er gerade durch alle 94 Bezirke des Landes. Die SPÖ-Feste wären eigentlich eine ideale Spielwiese für den hemdsärmeligen Newcomer, der mit Dialekt statt Politsprech eine seiner Vorgängerin fehlende Leutseligkeit vermittelt. Doch die Tour führt ihn auch an Orte, wo die eigene Partei mit ihm fremdelt – und das noch dazu ganz offen.
Hans-Peter Doskozil hätte im Sinne des größeren Ganzen einfach schweigen können, als Babler in einem Interview quasi zum Beweis der roten Einigkeit davon sprach, in regelmäßigem Kontakt mit ihm zu stehen. Doch er ließ über sein Büro mitteilen, dass „es keinen Kontakt zwischen dem Bundesparteivorsitzenden und dem burgenländischen Landeshauptmann gibt“. Wenn Babler am 5. September ins Burgenland touren wird, hat der Landeshauptmann keine Zeit für ein Treffen mit seinem Parteifreund.
Babler betont, dass er in den anderen acht Bundesländern sehr wohl willkommen sei. Doch inhaltlich bläst ihm aus manchen Landesparteien ein eiskalter Wind entgegen. Sein betont linker Kurs kommt nicht bei allen Genossen an. Und manche sagen das auch öffentlich. Nicht nur sein Widersacher Doskozil spricht sich für eine restriktive Asylpolitik aus, während Babler sichere Fluchtrouten nach Europa fordert. Auch der – mit einer italienischen Neofaschistin liierte – Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer warnt vor einem „Aufweichen“ der Migrationspolitik und bekennt offen, dass er in dieser Frage nicht auf einer Linie mit dem Vorsitzenden sei. Nicht nur in dieser Frage. Auch Bablers zentrale Forderung nach der 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich weist Dornauer zurück. Er mahnt ein „Erkennen der Realitäten“ an, was verklausuliert der ablehnenden Position der Arbeitgeber entspricht, die gegen eine Arbeitszeitverkürzung in Zeiten akuten Fachkräftemangels Sturm laufen.
Auch Bablers Versuch, mit dem Ruf nach Tempo 100 auf Autobahnen bei der „Generation Klimakleber“ zu punkten, stößt ebenso auf Widerspruch in den eigenen Reihen wie das Reizthema Cannabis-Legalisierung. Der rote Bundesrat Günter Kovacs etwa positioniert sich als Schutzpatron der Pendler, denen Tempo 100 nicht zumutbar sei. Und die Legalisierung von Cannabis sei „ein absolutes No-Go“.
Koalition mit FPÖ?
Für Irritationen sorgte auch Bablers Positionierung für die Zeit nach der nächsten Wahl. Er lehnte nicht nur eine künftige Regierung mit der rechtspopulistischen FPÖ, sondern auch mit der ÖVP ab und träumte von einer höchst unwahrscheinlichen Mehrheit mit Grünen und Neos. Die ÖVP als Partner ausschließen, wollen aber die SPÖ-Landeschefs nicht. Dornauer betont das gute Funktionieren der Koalition mit der ÖVP in Tirol und sieht dies auch als Vorbild für Wien. In Kärnten hat der rote Landeshauptmann Peter Kaiser erst im März ein Bündnis mit den Christdemokraten geschlossen. Auch Oberösterreichs SPÖ-Chef Michael Lindner und der mächtige Wiener Bürgermeister Michael Ludwig halten nichts von einem Abbrechen der Brücken zur ÖVP. Babler musste in dieser Frage bereits nachgeben: Verhandlungen mit der ÖVP sind nun doch nicht ausgeschlossen.
Völlig einig sind sich die Genossen nicht einmal in der Ablehnung der FPÖ. Der steirische SPÖ-Chef Anton Lang etwa schließt ausdrücklich nicht aus, nach der Landtagswahl im kommenden Jahr das bestehende Bündnis mit der ÖVP zugunsten einer Koalition mit der FPÖ aufzukündigen. „Vor der Wahl eine Partei auszuschließen, mache ich nicht“, sagt Lang.
Wofür die SPÖ nun wirklich steht, darüber dürfen die Wähler weiter rätseln. Diese Unwägbarkeiten schlagen sich in den Umfragen nieder. Die jüngste Erhebung des Market-Institutes sieht die SPÖ in der Sonntagsfrage bei gerade einmal 22 Prozent, knapp ein Prozentpunkt mehr als bei der Nationalratswahl 2019. Sie liegt damit zwar einen Punkt vor der ÖVP, vom Absturz der Kanzlerpartei profitiert aber weiter hauptsächlich die FPÖ. Herbert Kickls immer weiter nach rechts abdriftende Partei, die mittlerweile völlig offen die rechtsextremen Identitären umgarnt, liegt mit 28 Prozent unangefochten auf Platz eins – Tendenz steigend.
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