Immer nervöser pokern Serbien und Kosovo um das von der EU geforderte Nachbarschaftsabkommen. Das vor allem von Belgrad forcierte Szenario eines Gebietsaustauschs oder Teilung des Kosovos hat kaum Realisierungschancen. Nicht nur die EU-Partner warnen wegen des befürchteten Domino-Effekts vor dem Ziehen neuer Grenzen.
Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad
Wie vermittelt man die bittere Kunde den besorgten Landeskindern? Erneut kündigt Serbiens Präsident Aleksandar Vucic in diesen Tagen in endlosen Monologen eine «endgültige Lösung» für den seit 2008 unabhängigen Kosovo an. Bei seinem im September geplanten Besuch der Ex-Provinz werde der zum EU-Paulus mutierte Ex-Nationalist die «wichtigste Rede» seines Lebens halten, so der Vormann der nationalpopulistischen SNS: «Ich gehe nach Kosovo, um den Serben die Wahrheit zu sagen.»
Wie er sich den von ihm gelobten Kompromiss mit Pristina vorstellt, hat Serbiens mächtigster Strippenzieher noch nicht enthüllt. Doch sein Plädoyer für eine «Abgrenzung» von den Kosovo-Albanern geht mit der Forderung nach «klaren, nicht provisorischen Grenzen» gepaart: «Wenn man nicht weiß, wem was gehört, ist das immer eine Quelle potenzieller Konflikte.» Eine Anerkennung des Kosovos in seinen jetzigen Grenzen hat Belgrad allerdings nicht im Sinn. Eine Lösung könne nur gefunden werden, wenn beide Seite Zugeständnisse machten, begründete Außenminister Ivica Dacic die Forderung nach einer «Teilung» des Kosovos: «Jede Seite muss etwas gewinnen – und etwas verlieren.»
100 Staaten erkennen den Kosovo an
Zehn Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung haben mittlerweile über 110 UN-Mitglieder Kosovo anerkannt, darunter 23 der 28 EU-Staaten. Doch obwohl die schrumpfende serbische Minderheit im Kosovo keine 100.000 Seelen mehr zählt, hat Belgrad bislang eisern an seinen Ansprüchen auf den gesamten Kosovo fest gehalten: «Kosovo ist Serbien», lautete seit dem Kosovo-Krieg 1999 die Doktrin aller serbischen Regierungen.
Ausgerechnet Ex-Nationalist Vucic soll nun für eine Kehrwerte sorgen: Denn ohne eine faktische Anerkennung des Kosovos ist an Serbiens EU-Beitritt nicht zu denken. Dem Westen hat Vucic eine wie immer geartete Einigung mit Kosovo zugesagt. Und darum drückt Brüssel trotz steter Aushöhlung des Rechtsstaats bei dem EU-Anwärter alle Augen zu: Diplomatisch pflegen die EU-Emissäre den autoritär gestrickten Hoffnungsträger als «Reformer» zu feiern.
Vucic soll es nach dem Willen der EU richten, aber hat nun zu liefern: Bis Frühjahr 2019 soll das Nachbarschaftsabkommen mit dem Kosovo unter Dach und Fach sein. Bislang haben die Partner des von der EU forcierten Zwangsdialogs aber nicht einmal die Vereinbarungen des Brüsseler Abkommens von 2013 umgesetzt. Unversöhnlich wirft Belgrad Kosovo auf dem internationalen Parkett alle erdenklichen Knüppel zwischen die Beine. Umgekehrt hat Prishtina die Bildung eines Verbands der serbischen Kommunen noch nicht verwirklicht: Viele Kosovaren fürchten einen Staat im Staat nach Vorbild der bosnischen Republika Srpska.
Thaçis Vorschlag stößt auf Ablehnung
Auch Kosovos Präsident Hashim Thaçi hat eine «Korrektur der Grenzen» zur Einverleibung von Serbiens albanisch besiedeltem Presevo-Tal in die Debatte gebracht. Ob er damit tatsächlich einen Gebietsaustausch anvisiert, wie heimische Kritiker argwöhnen, oder er nur die serbischen Ansprüche auf den Nordkosovo kontern will, wie Belgrader Analysten vermuten: Mit dem Vorstoß stößt er bislang nicht nur in Kosovos Öffentlichkeit, sondern auch bei den EU-Partnern auf einhellige Ablehnung.
Obwohl die Belgrader Regierungspresse zumindest in den USA einen Stimmungswechsel zugunsten eines Teilungsszenarios zu verspüren glaubt, ist auch in Serbien die Begeisterung dafür begrenzt. Die serbisch-orthodoxe Kirche und Serben in den Enklaven im Süden Kosovos warnen vor dem verstärkten Druck auf die Minderheit, falls das Mutterland auf eine Abtrennung des Nordens setze. Die schwache Opposition wirft dem Präsident entweder «Verrat» vor – oder hegt die vage Hoffnung, dass Vucic sich an der Kosovo-Nuss die Zähne ausbeißen könnte. Bürgerrechtsgruppen warnen davor, die Landkarten wie im blutigen Kriegsjahrzehnt der 90er-Jahren erneut nach ethnischen Grenzen zu zeichnen: Ihre Furcht vor einem «Domino-Effekt» in der ganzen Region wird auch von westlichen Politikern geteilt.
Ein Gebietsaustausch dürfte vor allem in Bosnien neue Sezessionsgelüste auslösen. Milorad Dodik, der Präsident des Teilstaats der Republika Srpska, drängt schon lange auf Unabhängigkeit oder den Anschluss ans Mutterland. Ähnliche Absichten hegen auch Politiker der kroatischen Minderheit und Teile der albanischen Minderheit Mazedoniens. Das «Spielen mit Grenzen und Teilungen» sei schon in den 90er-Jahren gefährlich gewesen, warnte der frühere EU-Beauftragte für das frühere Jugoslawien, Carl Bildt: «Die weitere Balkanisierung des Balkans ist das Rezept für eine Katastrophe.»
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können