Headlines

Frostiger Empfang und ein Eklat – Erdogan bei Steinmeier

Frostiger Empfang und ein Eklat – Erdogan bei Steinmeier

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Frostiger kann man einen Gast nicht empfangen und wieder verabschieden. Kaum ein Lächeln, nur ein rascher Handschlag und ein kurzer Wortwechsel – das war es, was Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitag dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan öffentlich zuteil werden ließ. Etwas anders verhielt sich da Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Von unserem Korrespondenten Hagen Strauß, Berlin

Auch im Schlossgarten von Bellevue bei der Begrüßung Erdogans mit militärischen Ehren setzte der Bundespräsident eine eher finstere Miene auf. Es liegt nun mal einiges im Argen im Verhältnis zwischen Berlin und Ankara: Die Nazi-Vergleiche, mit denen Erdogan deutsche Politiker überzogen hat, sind noch nicht vergessen; vor allem aber sitzen Tausende Kritiker des türkischen Präsidenten im Gefängnis, darunter aus offenkundig politischen Gründen fünf Deutsche. Der Druck auf die Zivilgesellschaft und die Presse in der Türkei ist immens, zahlreiche Menschenrechtsorganisationen gehen hart mit der Politik des Türken ins Gericht. Auf der anderen Seite befindet sich die Türkei in einer Wirtschafts- und Währungskrise, weshalb Erdogan wieder die Nähe zu Europa und speziell Deutschland sucht.

Leichtes Spiel sollte er in Berlin nicht haben, das war allenthalben spürbar. Dass seine dreitägige Visite als Staatsbesuch behandelt wurde, brachte Gastgeber Steinmeier im Vorfeld viel Kritik ein. Am Freitag hieß es erneut aus dem Präsidialamt, die Form helfe, Inhalte zu positionieren. Und darum gehe es. Beim über eine Stunde andauernden Vier-Augen-Gespräch im Amtszimmer des Bundespräsidenten soll Steinmeier «konkrete Fälle» von Inhaftierten hervorgehoben haben. So verlautete aus Delegationskreisen gegenüber unserer Redaktion.

«In aller Klarheit» sprach er ebenso die erheblichen Differenzen u.a. bei den Themen Pressefreiheit und Rechtstaatlichkeit an, hieß es. «Die Atmosphäre war ernst.» Offenbar auch die Reaktionen Erdogans. Jedenfalls hatte man nach dem Gespräch den Eindruck, dass Steinmeier es eilig hatte bei der Verabschiedung. Freundlicher wurde der türkische Präsident danach von der Kanzlerin empfangen. Sie muss schließlich konkrete Politik mit Erdogan machen.

«Freiheit für Journalisten in der Türkei»

Nach ihrem Treffen kam es bei der Pressebegegnung zu einem Eklat: Ein türkischer Journalist trug ein T-Shirt mit der Aufschrift «Freiheit für Journalisten in der Türkei» – er wurde vor laufenden Kameras von Sicherheitsleuten abgeführt. Auch hatte Erdogan zunächst die Pressekonferenz absagen wollen, weil der in Deutschland im Exil lebende Journalisten Can Dündar daran teilnehmen wollte. Er verzichtete daraufhin. Erdogan betonte, Dündar sei «ein Agent, der Staatsgeheimnisse veröffentlicht hat». Daher müsse der ehemalige Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet an die Türkei ausgeliefert werden. Dem Vernehmen nach soll Ankara Berlin Anfang der Woche eine Liste mit 69 Gesuchten übermittelt haben, die nach türkischem Willen von Deutschland überstellt werden sollen.

Kanzlerin Merkel wollte dazu keinen Kommentar abgeben. Gleichwohl mahnte sie eine rasche Lösung für die in der Türkei inhaftierten Deutschen an. Es sei darüber hinaus klar, dass es noch immer «tiefgreifende Differenzen» hinsichtlich der Themen Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit gebe.

Ähnlich äußerte sich beim abendlichen Staatsbankett Steinmeier. Er begrüße alle Bemühungen, um nach konfliktreichen Monaten «zu unseren gewachsenen guten Beziehung zurückzufinden», sagte er laut vorab verbreitetem Redemanuskript. Aber er sorge sich um deutsche Staatsangehörige, «die aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert sind». Genauso wie um türkische Journalisten, Gewerkschafter, Juristen, Intellektuelle und Politiker. Steinmeier ergänzte: «Herr Präsident, Sie verstehen, dass wir darüber nicht zur Tagesordnung übergehen.» Erdogan aber wohl schon.

roger wohlfart
29. September 2018 - 19.41

Das alles hätten sich die Deutschen ersparen können. Einen Despoten, der seinem Gast vorschreibt wer beim offiziellen Empfang erwünscht oder unerwünscht ist, lädt man erst gar nicht ein.