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InterviewFrauenpower: Christiane Wagner wird erste Präsidentin der „Biergaarbechtermusek“ 

Interview / Frauenpower: Christiane Wagner wird erste Präsidentin der „Biergaarbechtermusek“ 
Christiane Wagner

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Im Jahr 2020 gibt es in Luxemburg weder Bergarbeiter noch Minen – auch die Stahlindustrie ist fast vollends verschwunden. Wie ein Anachronismus hat die Escher „Biergaarbechtermusek“ all das überlebt. Als eine der letzten ihrer Art feiert sie in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag. Pünktlich zu diesem Anlass übernimmt mit Christiane Wagner zum ersten Mal eine Frau den Präsidentschaftsposten des Traditionsvereins.

Tageblatt: In 100 Jahren sind Sie die erste Frau, die den Präsidentschaftsposten der Escher „Biergaarbechtermusek“ übernimmt. War das ein Thema?

Christiane Wagner: Nein, das stand nie zur Diskussion – weder im positiven noch im negativen Sinne. Der Vorstand hat nach Kompetenz gesucht und glaubt, diese in mir gefunden zu haben. Ich hoffe, ich kann dem gerecht werden. Als Lokalkorrespondentin des Tageblatt kenne ich die Stadt und ihre Eigenheiten jedenfalls sehr gut.

In der Vergangenheit hat die Bergarbeitermusik mit Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt.

2013 war der Verein wegen interner Streitigkeiten fast am Ende. Jean Hansen hatte seinen Präsidentschaftsposten mit dem Ziel angetreten, die Musik zu retten. Diese Mission ist er zusammen mit seinem Vorgänger und Ehrenpräsidenten Robert Mayer, der 35 Jahre lang den Posten innehatte, angegangen. Mit Erfolg: Damals überlebt der Verein mit sieben Musikern. Glücklicherweise, denn die „Biergaarbechtermusek“ spielt eine wichtige Rolle in der gesellschaftlichen und sozialen Geschichte der Stadt.

Wie ist die Situation aktuell?

Heute haben wir 16 Musiker und rechnen damit, dass noch zwei weitere hinzukommen. Der Verein ist gewachsen und die Solidarität unter den Musikern ist wieder da. Das Alter der Mitglieder reicht von sehr jungen, die das Konservatorium noch besuchen, bis hin zu alten Hasen. Männliche und weibliche Mitglieder halten sich ebenso die Waage. Nur die Multikulturalität wurde im Vergleich zu den Vorjahren weniger. Wir haben hauptsächlich italienisch- und luxemburgisch-stämmige Mitglieder.

Sie haben von der sozialen Rolle der Bergarbeitermusik gesprochen. Wie sieht diese aus?

Die Bergarbeitermusik wurde von 12 Personen gegründet, die fanden, dass die Menschen sich neben der harten Arbeit auch amüsieren sollen. Bis heute hält der Verein alte Traditionen der Bergarbeiter in Ehren. Die wichtigste ist der „Bärbelendag“, der eigentlich nur noch gefeiert wird, weil der Verein daran festgehalten hat. Das zeigt, wie eng der Musikkorps mit der Stadt verbunden ist. An dem Tag wird die harte Arbeit der Bergarbeiter sowie derjenigen, die in den Minen ihr Leben gelassen haben, geehrt. Und auch sonst ist die „Biergaarbechtermusek“ bei allen größeren Veranstaltungen in Esch präsent – am Nationalfeiertag, beim Karnevalsumzug und auf dem Weihnachtsmarkt, um nur einige Beispiele zu nennen.

Was sind Ihre Ziele als neue Präsidentin?

Der Musikerverein hat sich gefestigt, die Freundschaft ist wieder da. Jetzt gilt es, Jugendarbeit zu betreiben – junge Menschen dazu zu motivieren, bei uns mitzumachen. Hierfür müssen wir neue Wege gehen, denn die konventionellen, die bisher eingeschlagen wurden, haben nur wenig Früchte getragen. Ich will Impulse geben – ein Präsident ist schließlich immer nur das wert, was sein Team wert ist. Der Vorstand trifft am Ende die Entscheidungen.

Gibt es besondere Herausforderungen?

Ein Problem für uns momentan ist die Vielfalt der Musikinstrumente. Durch die fehlenden Instrumente sind wir in unserem Repertoire eingeschränkt. Das kann unser Dirigent durch ein zeitgemäßes und daran angepasstes Programm etwas wettmachen. Freunde unserer Musikanten ersetzen ab und an verschiedene Instrumente. Das ist sehr wichtig, sonst würde die Musik nicht bestehen können. Trotzdem müssen wir uns ins Zeug legen, um in Zukunft selbst jedes Instrument besetzen zu können. Das wird nicht leicht.

Gleich nach Ihrem Amtsantritt steht die Hundertjahrfeier des Vereins an. Was kommt auf die Escher zu?

Professor Damien Sagrillo, der an der Uni Luxemburg zur Musikgeschichte des Landes forscht, arbeitet derzeit die Geschichte der Bergarbeitermusik auf. Dabei konzentriert er sich nicht nur auf die Chronologie, sondern auch auf die soziale Rolle sowie die Zusammensetzung des Vereins im Laufe der Jahre. Zum Abschluss des „Centenaire“ erscheint eine Broschüre, in der die Ergebnisse der Forschungen von Professor Sagrillo veröffentlicht werden. Die werden auch dazu beitragen, die Escher Geschichte zu vervollständigen, denn der soziologische Teil der Geschichte wurde bisher noch nicht beleuchtet.

Die Bergarbeitermusik wurde am 3. April 1920 gegründet. Beginnt an diesem Datum das „Centenaire“?

Nein, aus organisatorischen Gründen fangen wir eine Woche früher an – am 21. März 2020. Den Auftakt macht eine Eröffnungszeremonie in der „Hall des poches“ auf Belval. Wir wollten unbedingt an einen industriellen Ort.

Ich persönlich hatte eigentlich erwartet, dass die vielen lokalen Vereine, die in den Kellern der Escher Schulen sitzen, durch Esch2022 eine Plattform kriegen würden und dass sie sich zeigen können. Ich habe aber bisher von keinem Projekt in dieser Richtung gehört.

Christiane Wagner, Präsidentin der Escher „Biergaarbechtermusek“

Wird es während des Jahres Highlights geben?

Ein Highlight wird das Harmony-Festival am 17. Mai sein, das auf dem Gelände vor der „Hall des poches“ stattfindet. Dort treten nationale und internationale Musiktruppen auf, darunter die aus der Hauptstadt oder das Kölner Musikkorps „Schwarz-Rot Köln“. Das fällt leider mit dem „Food Forest Festival“ des Escher „Syndicat d’initiative“ zusammen, aber das eine schließt das andere nicht aus. Wahrscheinlich organisieren wir einen Shuttlebus. Die „Bärbelen“-Feier soll in diesem Jahr größer aufgezogen werden. Vielleicht wollen wir im Saal der „Mine Cockerill“ mit Theaterkulissen eine Mine nachstellen – es gibt ja keine echte mehr in Esch, die betreten werden darf. Die UGDA stellt das Abschlusskonzert am 5. Dezember 2020 im Escher Theater.

Wie steht es um die finanzielle Situation der „Escher Biergaarbechtermusek“?

Die Suche nach Sponsoren und Unterstützern wurde lange Zeit vernachlässigt. Das gilt es jetzt anzupacken. Ich fürchte aber, dass wir hierfür in eine schlechte Zeit fallen – dadurch, dass Esch2022-Projekte sich zur Hälfte selbst finanzieren müssen. Dass dann noch viel für kleine, weniger sichtbare Vereine übrig bleibt, bezweifle ich.

Sie sind also ein armer Verein?

Sagen wir so: Die Situation ist gut, aber sie erlaubt keine großen Sprünge. Wir sind dankbar für die erhöhte Bezuschussung, die wir im Rahmen unser Hundertjahrfeier von der Stadt bekommen haben. Aber alleine eine Uniform für ein neues Mitglied kostet 1.000 Euro.

Ein Projekt für das Kulturjahr ist demnach nicht vorgesehen?

Bisher nicht. Ich persönlich hatte eigentlich erwartet, dass die vielen lokalen Vereine, die in den Kellern der Escher Schulen sitzen, durch Esch2022 eine Plattform kriegen würden und dass sie sich zeigen können. Ich habe aber bisher von keinem Projekt in dieser Richtung gehört. Falls sich das ändern sollte, stehen wir selbstverständlich bereit. Wir sind eben nur nicht in der Lage, Geld zu investieren.

Aber würde die „Biergaarbechtermusek“ nicht perfekt ins Kulturjahr passen?

Doch, das würde sie auf jeden Fall! Die „Biergaarbechtermusek“ gehört zur Escher Kultur. Sie ist ein Teil der Stadt und das muss sie auch bleiben. Da werde ich meine ganzen Bemühungen hineinstecken. Wir wollen zumindest die Feierlichkeiten zum „Centenaire“ nutzen, um sichtbarer zu werden.