In der Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften steht es in Frankreich 2:0 für den Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Im vergangenen Jahr setzte sich Macron mit einer veränderten Arbeitsgesetzgebung durch. Jetzt ist die Reform der Eisenbahn mit überdeutlichen Mehrheiten in der Nationalversammlung und im Senat beschlossen worden.
Gestreikt wird aber weiter. Die beiden Gewerkschaften CGT und SUD Rail haben zur Fortführung des Streiks beschlossen. Die CGT geht darüber hinaus in einen neuen Machtkampf. Sie hat am Samstag früh angekündigt, die französische Eisenbahn auch im Juli zu bestreiken, wenn halb Frankreich in die Ferien fährt und traditionell mehr Züge für die Hin- und Rückfahrt eingesetzt werden. Die Kommentatoren in den Rundfunk- und Fernsehsendern sind entsetzt. Die Ankündigung der CGT erfolgt in einem Moment, wo die Streikfront auseinander gebrochen ist. CGT und die radikale Gewerkschaft SUD Rail streiken weiter. Die CGT macht sich dabei zur Gefangenen der radikalen Bewegung Sud Rail, die von Beginn an unbefristet streiken wollte, während die CGT ursprünglich die Arbeitsniederlegung bis zum 28. Juni befristet hatte.
Die Reformgewerkschaft CFDT und die gemäßigte Eisenbahnergewerkschaft Unsa haben den Streik zunächst unterbrochen. Der Grund: das französische Abitur. Es ist ein Zentralabitur, bei dem die Schüler in andere Schulen in anderen Städten reisen müssen. Die SNCF hatte dazu aufgerufen, die Züge fahren zu lassen, damit die Kandidaten zu den Arbeiten kommen können. Die Akademien haben überdies verfügt, dass die schriftlichen Arbeiten später beginnen könnten, wenn nicht alle Schüler rechtzeitig eintreffen würden. Die CGT und SUD Rail wollten auf das Abitur, das in Frankreich mythische Bedeutung hat, nicht eingehen und setzen ihren Streik fort. Ob CFDT und Unsa ihren Streik danach fortsetzen, ist nicht sicher.
SNCF mit schlechtem Ruf
Reformen bei der Eisenbahn sind schwierig und waren bisher unmöglich. Ein Versuch hatte 1995 Premierminister Alain Juppé das Amt gekostet. Emmanuel Macron arbeitete in einer anderen Situation. Die SNCF hat einen schlechten Ruf: zu alt, zu teuer, zu unpünktlich insbesondere im Pariser Großraum. Störungen wie gerade im Bahnhof Saint Lazare, den täglich 450.000 Menschen benutzen, gehen auf zum Teil auf über 50 Jahre altes Material zurück. Der Bahnhof Saint Lazare wurde lahm gelegt, weil ein elektronisches Teil aus dem Jahre 1966 ausfiel. Die SNCF arbeitet zum Teil mit Material aus den Jahren von vor dem Zweiten Weltkrieg. Der Zeitpunkt für eine Reform war günstig, weil sich gegen die SNCF zunehmend Unmut aufstaute.
Staatspräsident Macron wendete bei der Reform eine ähnliche Strategie angewendet, wie auch bei der Reform des Arbeitsrechtes. Er ließ seine Fachminister hunderte von Stunden mit den Gewerkschaften reden, ohne einen festen Pan vorzulegen. Man verhandele gar nicht, sondern man konzertiere sich zu Vorstellungen der Regierung, klagte CGT Chef Martinez. Premierminister Verkehrsminister Edouard Philippe stellte Eckpunkte vor, die nicht verhandelbar waren. Gleichzeitig wurde sowohl in der Nationalversammlung als auch im Senat ein Gesetzentwurf verhandelt, über den nach und nach die Reform Gestalt annahm. Macron gelang überdies eine Spaltung der Gewerkschaften.
Demonstrationen perlen an der Regierung ab
In Bereichen wie etwa den sozialen, die die Eckpunkte nicht berührten, kam es zu Zugeständnissen der Regierung. Vorschläge aus den Reformgewerkschaften CFDT und UNSA – als «sozialer Rucksack» bezeichnet – wurden mitten in der Gesetzesberatung in das Reformgesetz eingearbeitet. Am Donnerstag wurde mit der Abstimmung im Senat die Eisenbahnreform endgültig verabschiedet. Anders auch als in der Vergangenheit, als Regierungen vor Massendemonstrationen zurückwichen, perlten diese Demonstrationen an der Regierung ab. Die Justiz hat begonnen Ausschreitungen während der Demonstrationen aufzuarbeiten.
Während der Beratungen zur Eisenbahnreform begann die Regierung bereits mit der nächsten Reform. Die vielen verschiedenen Renten sollen vereinheitlicht und in ein Punktesystem eingepasst werden. Es scheint, als ob die CGT auch hier wieder in eine schwierige Situation gerät. Man brauche das nicht, argumentierte die Gewerkschaft CGT wie auch schon bei der Reform der Arbeitsgesetzgebung und der Reform des Eisenbahngesetzes.
Worum ging es bei der Eisenbahngesetzgebung?
Seit den 1990er Jahren gilt in Europa das Prinzip, dass der Eisenbahnsektor liberalisiert werden soll. Frankreich hatte die Direktive unterschrieben, aber die Präsidenten Chirac, Sarkozy und auch Hollande hatten nach der Erfahrung von 1995 wenig Lust verspürt, sie umzusetzen. Bis Ende 2018 müssen die nationalen Gesetze andererseits beschlossen sein. Macron setzte um, was seine Vorgänger versäumt hatten.
Die Liberalisierung des europäischen Eisenbahnverkehrs sieht vor, dass Eisenbahngesellschaften in anderen Ländern Strecken befahren dürfen. In Deutschland wird Konkurrenz seit über 20 Jahren geübt. Das französische Unternehmen Transdev hat sich zum zweitgrößten Bahnbetreiber nach der Deutschen Bahn entwickelt. Transdev bedient regionale Strecken und verfügt über einen Marktanteil von sieben Prozent. Die Deutsche Bahn hat viele regionale Strecken der Konkurrenz überlassen. Mit den privaten Betreibern ist im Regionalverkehr der Anteil der Eisenbahn Passagiere gestiegen.
Die französische Bahnreform besteht aus vier wesentlichen Punkten, die das System verändern.
Die Regionen, die es wünschen, können ab Dezember 2019 regionale Eisenbahnstrecken der Konkurrenz öffnen. Entscheidet die Großregion im Osten Frankreichs, Strecken auszuschreiben, könnte die CFL sich darum bewerben, die jetzt bereits 30 Prozent aller Verbindungen zwischen Luxemburg und Nancy durchführt.
Der Hochgeschwindigkeitsverkehr mit den TGV Strecken wird ab Dezember 2020 der Konkurrenz geöffnet.
Eisenbahner in Frankreich werden zukünftig nur noch als Angestellte ohne die bisherigen Privilegien eingestellt. Das bisherige Statut sichert den Eisenbahnern Arbeitsplatzsicherheit zu, sowie eine Karriereplanung und eine eigene Rentenform. Das soll für neu Eingestellte vom 1. Januar 2020 an nicht mehr gelten. Die Gewerkschaften haben durchgesetzt, dass SNCF Mitarbeiter, die zu Konkurrenzunternehmen wechseln, in einem Zeitraum von bis zu acht Jahren wieder mit ihren alten Privilegien zur SNCF zurückkehren dürfen.
Die SNCF wird in der Struktur verändert. Sie wird in eine nicht Börsennotierte Aktiengesellschaft umgewandelt. Das Kapital darf nicht geöffnet werden. Es muss in der Hand des Staates bleiben.
Der französische Staat übernimmt 35 Milliarden der 45 Milliarden Euro Schulden der SNCF, davon 25 Milliarden im Jahre 2020 und zehn Milliarden im Jahre 2022. Frankreich verhält sich dabei so wie Deutschland. Berlin hatte die Deutsche Bahn bei der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft um einen Betrag von 30 Milliarden Euro entschuldet. Mit einer ähnlichen Summe hatte die britische Regierung British Rail bei der Privatisierung entlastet.
Die Fortführung des Streiks durch die beiden Gewerkschaften in Frankreich hat einen tieferen Sinn. Im Herbst finden Sozialwahlen bei der Eisenbahn statt. Die CGT und Sud Rail gehen davon aus, ihre führende Stellung durch die Mobilisierung der Mitglieder behaupten zu können. Im Anschluss an die Reformgesetzgebung muss in Frankreich ein neuer Manteltarifvertrag zwischen Regierung und Gewerkschaften verhandelt werden. Er soll für den gesamten Sektor gelten, also auch für die zukünftigen Konkurrenten der Bahn. Der Hintergedanke der Gewerkschaften ist, die Situation so zu gestalten, dass zukünftige Konkurrenten abgeschreckt werden.
Verkehrsministerin Elisabeth Borne, die monatelang mit den Gewerkschaften redete, zeigte für die Fortführung des Arbeitskampfes wenig Verständnis. «Das Gesetz ist beschlossen. Die Fortführung des Streiks lohnt sich nicht mehr», sagte sie.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können