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Kolumbien ein Jahr im Frieden

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Drogenkartelle agieren im früheren Guerillagebiet, die Eingliederung der Ex-Kämpfer kommt nur schleppend voran.

Wie kompliziert die Sache mit dem Frieden ist, zeigt sich am Beispiel des mächtigen Clan del Golfo. Das Kartell dominiert zunehmend einige frühere Gebiete der Farc-Guerilla und verbreitet Angst und Schrecken. Über 3000 Mitglieder soll der Clan mittlerweile haben. Jüngst wurden 13,4 Tonnen Kokain des Golf-Clans beschlagnahmt, der größte Fund in der Geschichte Kolumbiens.

Vor einem Jahr, am 30. November 2016, wurde Geschichte geschrieben. Das Parlament segnete nach über 50 Jahren Konflikt das sechs Tage zuvor unterzeichnete Friedensabkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc-Guerilla ab. Damit konnte es in Kraft treten. Das Ergebnis lautete: 130 Ja-Stimmen, keine Gegenstimme.

Es war der zweite Anlauf, eine erste Version war beim Volk in einem Referendum durchgefallen – jetzt wurde es nicht mehr gefragt. So kam es, dass die Gegner des Abkommens die Abstimmung im Parlament boykottierten. Das Abkommen spaltet das Land, ein Makel bis heute, auch bei der Umsetzung. Gerade die Sonderjustiz mit milden Strafen für Verbrechen der zuletzt knapp 7000 Kämpfer ist hoch umstritten.

Mordrate sinkt

Das Positive: Die Waffen wurden den Vereinten Nationen übergeben und eingeschmolzen, die Mordrate ist niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Und 2016 wurde dank des Friedensprozesses erstmals die Schwelle von fünf Millionen Touristen in Kolumbien überschritten.

Das Problem: Der Staat hat bisher große Probleme, in den früheren Guerillagebieten das Einsickern anderer Banden zu verhindern, was sich am Beispiel des Golf-Clans zeigt. Die marxistische Farc-Guerilla hatte sich stark über den Kokainhandel und Schutzgelder finanziert. Aber statt nun zurückzugehen, ist der Kokaanbau um rund 50 Prozent gestiegen. Bis zu 160 000 Soldaten sollen mittelfristig in früheren Farc-Gebieten das staatliche Gewaltmonopol sichern.

«Das Machtvakuum, das durch den Rückzug der Farc vor einem Jahr entstanden ist, wird vielerorts durch bewaffnete Banden ausgefüllt», warnt die Caritas, die den Prozess unterstützt. Viele Regionen sind bisher durch die Topographie weitgehend isoliert, das begünstigte das Ausbreiten der Guerilla. Etwa in der Region Chocó am Pazifik, wo viele Dörfer nur auf dem Wasserweg zu erreichen sind und heute mangels staatlicher Präsenz riesige Lücken im grünen Regenwald klaffen. Goldgräber haben ein Netz an illegalen Minen geschaffen – das eingesetzte Quecksilber kontaminiert die Flüsse.

Aus Paramilitärs wurden kriminelle Banden

In vielen früheren Guerillagebieten leben die Menschen bisher nicht sicherer. Mit der kleineren ELN-Guerilla gibt es zudem nur einen Waffenstillstand. Und viele der rechten Paramilitärs, die schon vor zehn Jahren die Waffen offiziell abgegeben haben, sind heute in anderen kriminellen Banden aktiv, etwa beim Golf-Clan.

Neue Straßen, Schulen, Polizeistationen und Krankenhäuser sollen helfen, die Regionen zu befrieden. Das kostet aber Milliarden an Steuergeldern – was die Unterstützung für den Prozess nicht erhöht, auch Übergangshilfen für Farc-Kämpfer sind stark umstritten.

Präsident Juan Manuel Santos hatte stets betont: «Die Umsetzung des Vertrags wird genauso schwer oder sogar noch schwieriger als die eigentlichen Verhandlungen.» Für das Abkommen wurde Santos mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Und als wichtigster Fürsprecher kam im September Papst Franziskus. Der Vatikan hat die vierjährigen Verhandlungen auf neutralem Terrain in Kuba aktiv unterstützt.

600.000 Menschen feierten Gottesdienst

Besonders bewegend war die Messe in der früheren Konfliktregion Villavicencio, an der Tausende Opfer des Konfliktes teilnahmen. Es war ein Meer von über 600.000 Menschen in weiß. Franziskus segnete symbolisch den schwarzen Christus von Bojayá. Der verstümmelte Holzkorpus, dessen Arme und Beine abgerissen worden waren, war 2002 zwischen Leichen auf dem Boden einer Kirche entdeckt worden. Bei einer Bombenattacke der Farc starben damals in der Kirche in der abgelegenen Regenwaldregion im Department Chocó rund 100 Menschen.

Der Papst warb um Versöhnung statt Rache und pflanzte einen Baum, der wie der Frieden wachsen soll. Seit 1964 starben über 220 000 Menschen in dem Konflikt zwischen Guerilla, Paramilitärs, die die Rebellen bekämpften, und dem Militär. 7,5 Millionen wurden vertrieben.

«Die Menschen verlangen Gerechtigkeit», sagt der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Joachim Lüblinghoff, der kürzlich in Kolumbien war, um die Aufarbeitung zu unterstützen. Die Sonderjustiz müsse schnell ihre Arbeit aufnehmen. Derzeit hängt das entsprechende Gesetz noch im Parlament fest – geständigen Ex-Guerilleros drohen nur Freiheitsstrafen von maximal acht Jahren.

Farc-Anführer will Präsident werden

Der bisherige Farc-Anführer Rodrigo Londoño kandidiert nun nächstes Jahr bei der Präsidentenwahl – der Farc-Partei, die sich als Anwalt der armen Landbevölkerung sieht, werden für zehn Jahre zehn Kongressitze gewährt, mit entsprechenden Millionenkosten für Diäten. Bei der Wahl wird sich zeigen, ob der Prozess weitergeht oder ein Hardliner gewinnt – dann könnte der Prozess ins Wanken geraten. Die Opfer warten immer noch auf klare Entschädigungsregelungen. Und die Farc kritisiert eine unzureichende Umsetzung des Abkommens.

Die Lateinamerika-Expertin des Hilfswerks Misereor, Susanne Breuer, warnt: «Die Wiedereingliederung der ehemaligen Farc-Kämpfer läuft sehr schleppend.» Teilweise genehmige die Regierung Projekte nicht, etwa zur Gründung landwirtschaftlicher Kooperativen. Sie fürchtet, dass sich am Ende Ex-Rebellen neuen Banden anschließen könnten – und dem fragilen Friedensprozess ernüchtert den Rücken kehren.