/ Form ohne Sprache: Forscherin Véronique Cornu über das Erlernen von Mathematik

Eine Fibel, ein Heft und eine Füllfeder. Damit lernten Kinder früher in der Schule. Heute kommen im Unterricht Tablet-Computer zum Einsatz. Der Schulunterricht wird ständig weiterentwickelt und es werden immer neue Methoden eingeführt. Wozu das Ganze? Ist das, was früher gut war, nicht heute noch genauso gut? Nein, meint Psychologin Véronique Cornu. Ihre Doktorarbeit über die frühe Entwicklung mathematischer Fähigkeiten bei Kindern wurde mit dem Rolf-Tarrach-Preis für die beste Doktorarbeit des Jahres an der Uni Luxemburg ausgezeichnet.
„Unsere Bevölkerung hat sich gegenüber der von vor 50 Jahren sehr verändert. Zwei Drittel der Kinder, die in die Grundschule kommen, sprechen zu Hause kein Luxemburgisch“, sagt Cornu. Wenn die Kinder in den Kindergarten gehen, werden sie auf einmal mit Luxemburgisch konfrontiert. „Viele Kinder, die nicht so gut Luxemburgisch sprechen, verpassen eine ganze Menge.“ Internationale Studien zeigen, dass Kinder, die in der Schule nicht ihre Muttersprache sprechen, im Nachteil sind.
Besonders bei sogenannten Vorläuferfähigkeiten hapert es. Wenn Fähigkeiten wie das Zählen und das Erkennen von Formen gleich am Anfang nicht richtig sitzen, dann hat das Kind einen Rückstand, den es nur schwer aufholen kann. Das kann sich mitunter auf die gesamte schulische Karriere und seinen Erfolg im Leben auswirken. „Wenn ein Kind nicht versteht, was eine Fünf und eine Drei sind, dann ist es sehr schwer, fünf und drei zusammenzuzählen“, so Cornu.
Sprachunabhängige Lern-App
In ihrer Arbeit hat Véronique Cornu nach Wegen gesucht, diese Sprachbarriere zu überwinden. Dazu hat sie eine Lern-App entwickelt, die ohne Sprache auskommt. Stattdessen setzt das Programm auf das Visuelle. „Die Idee war es, den Tablet-Computer zu einer elektronischen Schiefertafel machen“, sagt sie. Für das Programm hat Cornu Aufgaben selbst entwickelt. Zum einen trainieren diese Aufgaben visuelle und räumliche Fähigkeiten. Zum anderen bringen sie Kindern Fähigkeiten bei wie das Verknüpfen von Zahlen und Mengen.
„Es ist wichtig, dass wir den Kindern die Möglichkeit bieten, diese Dinge zu lernen, unabhängig davon, mit welcher Sprache sie aufwachsen“, betont Cornu. „Es geht nicht darum, keine Sprache zu benutzen. Es geht darum, dass es egal ist, welche Sprache sie in ihrem Kopf benutzen.“
„Wir benutzen Tablet-Computer nicht, um zu spielen“, entgegnet Cornu Kritikern, die dem Einsatz von IT im Unterricht skeptisch gegenüberstehen. Es ginge nicht darum, den Kindern Computer in die Hand zu drücken und sie dann sich selbst zu überlassen. „Das Lehrpersonal soll auch weiterhin die Wahl haben, was das Kind macht und mit was es arbeitet.“
Finger statt Bleistift
Der Einsatz von Touchscreens ermögliche es den Kindern, deren Feinmotorik sich noch entwickelt, intuitiv mit ihren Fingern zu arbeiten. Für ein Kind sei es sehr „aufwendig“, die Abläufe zu erlernen, die es braucht, um die richtigen Symbole mit einem Bleistift zu produzieren, erklärt Cornu.
Im Rahmen ihrer Arbeit hat Cornu Kinder, die ihr Programm benutzt haben, mit Kindern verglichen, die nicht darauf zurückgegriffen haben. Die Fähigkeiten der Kleinen, die die Lern-App nutzten, hätten sich „signifikant verbessert“, so die Forscherin.
Derzeit feilt das „Luxembourg Centre for Educational Testing“ (Lucet), das Institut, an dem Cornu promoviert hat, zusammen mit dem „Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques“ (Script) an dem Programm, damit es in Zukunft allen Grundschulen in Luxemburg zur Verfügung gestellt wird und von ihnen genutzt werden kann. „Gerade überarbeiten wir die Grafiken alle professionell. Ich habe damals alle Grafiken selber gemacht und ich bin nun mal keine Grafikerin“, erklärt die Psychologin.
Tischdecken als Mathematik-Übung
„Unsere Bevölkerung hat sich gegenüber der von vor 50 Jahren sehr verändert. Zwei Drittel der Kinder, die in die Grundschule kommen, sprechen zu Hause kein Luxemburgisch“, sagt Cornu. Wenn die Kinder in den Kindergarten gehen, werden sie auf einmal mit Luxemburgisch konfrontiert. „Viele Kinder, die nicht so gut Luxemburgisch sprechen, verpassen eine ganze Menge.“ Internationale Studien zeigen, dass Kinder, die in der Schule nicht ihre Muttersprache sprechen, im Nachteil sind.