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Wenn Kampfstoffe die Diplomatie vergiften

Wenn Kampfstoffe die Diplomatie vergiften

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Von Lucien Montebrusco und Eric Rings

Zum ersten Mal seit dem Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal sind die Diplomaten beider Seiten gestern in Den Haag aufeinandergetroffen. London und Moskau beschuldigen sich gegenseitig. Die Fronten sind verhärtet. 

Mitten in der tiefsten diplomatischen Krise zwischen Moskau und dem Westen haben sich deren Vertreter gestern bei einer Sondersitzung des Exekutivrats der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) in Den Haag eine weitere Schlammschlacht geliefert. London beharrt nach wie vor auf seiner Position, dass Moskau hinter dem Giftanschlag stecke. Russland brachte einen Vorschlag ein, dass beide Seiten gemeinsam in der Sache ermitteln könnten. Dies wurde von der britischen Regierung vehement abgelehnt und als „pervers“ bezeichnet. Russland wiederum nannte die britischen Vorwürfe inszeniert.

Es handele sich um eine „groteske Provokation, grob fabriziert von den britischen und amerikanischen Geheimdiensten“, sagte der Chef des russischen Auslandsgeheimdienst SWR, Sergej Naryschkin, in Moskau. Russland möchte an den Ermittlungen beteiligt werden. Die EU-Staaten weisen die Anliegen Russlands als völlig inakzeptabel zurück. Der frühere russische Doppelagent Skripal war am 4. März gemeinsam mit seiner Tochter Julia im südenglischen Salisbury vergiftet worden. Der 66-Jährige befindet sich in einem kritischen Zustand, seiner 33 Jahre alten Tochter geht es besser. Bei der Attacke wurde das Nervengift Nowitschok eingesetzt.

Vor zwei Tagen hatte das britische Militärlabor eingeräumt, dass eine russische Herkunft des Nervengifts nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte. Russland sendete unterdessen drei Fragenkataloge, jeweils einen an Großbritannien, an Frankreich und an die Organisation zum Verbot chemischer Waffen (OPCW), um die Ermittlungen zu hinterfragen. Welche Kampfstoffe es noch gibt und wann sie zum Einsatz kamen, zeigen unsere Tabellen.


Abbau von US-Chemiewaffen

Weltweit haben sich die meisten Länder dazu verpflichtet, ihre gesamten Bestände an chemischen Waffen abzubauen. So auch die USA. Doch das aufwendige Vorhaben stockt und droht zur wahren Kostenexplosion zu werden. In einem Depot im US-Bundesstaat Colorado lagern über 700.000 Granaten mit Senfgas. Daneben befindet sich eine hochautomatisierte Anlage, in der die Kampfmittel zerstört werden sollen. Wegen technischer Probleme steht der Betrieb aber seit Monaten nahezu still. Und vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass das Budget wohl um mehrere 100 Millionen Dollar überschritten wird. Die öffentliche Empörung hält sich trotzdem in Grenzen.

Die Anlage in Colorado ist nicht die einzige. Im Blue Grass Army Depot im US-Staat Kentucky wird derzeit die Zerstörung von kleineren, aber noch gefährlicheren Chemiewaffen vorbereitet. Hier werden die Gesamtkosten den Angaben zufolge am Ende wohl 357 Millionen Dollar (290 Millionen Euro) über dem ursprünglich veranschlagten Budget liegen. Und auch in Kentucky hinken die Arbeiten zudem zeitlich bereits deutlich hinter der eigentlichen Planung hinterher.


Die verschiedenen Arten von Kampfstoffen

  • Hautschädigende Kampfstoffe: Der bekannteste Kampfstoff dieser Gruppe ist das im Ersten Weltkrieg eingesetzte Iprit (Senfgas).
    Es greift die Haut (dabei entstehen Geschwüre), Augen, Atemwege und Lungen an. Falls einer der Stoffe über Lebensmittel in den Organismus gelangt, werden die inneren Organe beschädigt, insbesondere das Verdauungssystem. Anzeichen einer Vergiftung sind Hautrötungen und die Bildung von Bläschen.
  • Lungenkampfstoffe: Zu dieser Gruppe gehören solche chemischen Kampfstoffe wie Chlor, Phosgen und Diphosgen.
    Sie greifen das Lungengewebe an, wobei erste Symptome erst nach 12 Stunden auftreten können. Vergiftungsanzeichen: süßlicher Geschmack im Mund, Husten, Schwindel- und Schwächegefühl. Bei einer Vergiftung mit Chlor verspürt das Opfer ein Brennen, die Augenlider erröten, Mundschleimhaut und Atemwege schwellen an.
  • Allgemeinwirkende Giftstoffe: Blausäure und Chlorzyan gehören dieser Gruppen von chemischen Kampfstoffen an. Bei Eintritt in den Organismus wird der Transfer von Sauerstoff in Blut und Gewebe gestört. Blausäure ist eines der am schnellsten wirkenden Giftstoffe. Vergiftungsanzeichen sind: Metallischer Geschmack im Mund, Brennen im Mundbereich, Gefühlslosigkeit an der Zungenspitze, Stechen im Augenbereich, Kratzen im Hals, Schwäche- und Schwindelgefühl.
  • Neurotoxische Kampfstoffe: Zu dieser Gruppe gehören Kampfstoffe wie VX, Sarin, Zyklosarin, Soman, Tabun, Stoffe aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe.
    Sie beeinträchtigen die Arbeit des Nervensystems und verursachen Zittern und Konvulsionen, die in Lähmung münden. Vergiftungsanzeichen: Verschlechterung der Sicht, Miosis (Pupillenverengung), Atemnot, Beklemmung in der Brust, Kopfschmerzen.

Russlands Fragenkatalog

An die OPCW

Russland hat zum Fall des vergifteten Ex-Agenten Sergej Skripal Fragen an die Organisation zum Verbot von Chemiewaffen (OPCW) im niederländischen Den Haag gerichtet:

  1. Um welche Art Hilfe hat London das Technische Sekretariat der OPCW ersucht?
  2.  Wird das Technische Sekretariat der OPCW den Exekutivrat und folglich auch Russland im festgelegten Modus über Daten informieren, die die Briten dem Technischen Sekretariat bei ihrer Kooperation gemäß Punkt 38 (e) des Artikels VIII der Konvention (technische Einschätzung bei der Umsetzung von Bestimmungen dieser Konvention, einschließlich der Einschätzung aufgelisteter und nicht aufgelisteter Chemikalien) zur Verfügung stellen?
  3. Hat die britische Seite dem Technischen Sekretariat irgendwelche (operativen, medizinischen, rechtlichen u.a.) Zusatzinformationen aus der eigenen nationalen Ermittlung zur Verfügung gestellt?
  4. Was soll das Technische Sekretariat der OPCW auf Bitten der Briten bestätigen – nur die Tatsache der Anwendung eines Nervengifts oder dass es nach westlicher Klassifizierung zur Nowitschok-Gruppe gehört?
  5. Welche Daten und materiellen Indizien haben die Briten dem Technischen Sekretariat zur Verfügung gestellt (Proben, Ergebnisse eigener Analysen, sonstige Indizien)?
  6. Wer stand an der Spitze der OPCW-Expertengruppe, die Großbritannien besucht hat? Welche Fachleute gehörten dazu? Wie lange waren sie im Einsatz? Mit wem kooperierten sie?
  7. Auf welche Art und Weise wurden die Proben genommen? Wurde bei den Ermittlungen das grundlegende Prinzip der Konvention über das Verbot chemischer Waffen („chain of custody“ – Reihenfolge der Handlungen bei der Erfassung von Beweisen) eingehalten?
  8. In welchen zertifizierten Labors werden die während des Großbritannien-Besuchs der OPCW-Experten gewonnenen Proben analysiert?
  9. Wie viel Zeit wird das Technische Sekretariat der OPCW zur Erstellung eines entsprechenden Gutachtens brauchen?
  10. Hat das Technische Sekretariat der OPCW akzeptiert, dass Großbritannien Materialien der Ermittlung den EU-Ländern offenlegt (nach jüngsten Angaben nimmt bereits Frankreich gleichberechtigt an den Ermittlungen teil)?
  11. Hat Frankreich das Technische Sekretariat der OPCW über seine Beteiligung an der technischen Hilfe informiert, um die Großbritannien ersucht hatte?
  12. Hat Frankreich Materialien der eigenen Ermittlung (falls solche vorhanden sind) dem Technischen Sekretariat der OPCW zur Verfügung gestellt?
  13. Könnte das Technische Sekretariat der OPCW Daten der französischen Ermittlungen (falls solche vorhanden sind) zur Kenntnisnahme an Russland weiterleiten? Wenn nicht, warum?

An Großbritannien und Frankreich

14 Fragen befinden sich im Katalog, den die russische Botschaft in London an das britische Außenministerium gesendet hat. Mit diesem Fragenkatalog soll unter anderem geklärt werden, ob Proben des Nervengifts „Nowitschok“ jemals in Großbritannien entwickelt wurden:

  1. Um welche Art Hilfe hat London das Technische Sekretariat der OPCW ersucht?
  2. Wird das Technische Sekretariat der OPCW den Exekutivrat und folglich auch Russland im festgelegten Modus über Daten informieren, die die Briten dem Technischen Sekretariat bei ihrer Kooperation gemäß Punkt 38 (e) des Artikels VIII der Konvention (technische Einschätzung bei der Umsetzung von Bestimmungen dieser Konvention, einschließlich der Einschätzung aufgelisteter und nicht aufgelisteter Chemikalien) zur Verfügung stellen?
  3. Hat die britische Seite dem Technischen Sekretariat irgendwelche (operativen, medizinischen, rechtlichen u.a.) Zusatzinformationen aus der eigenen nationalen Ermittlung zur Verfügung gestellt?
  4. Was soll das Technische Sekretariat der OPCW auf Bitten der Briten bestätigen – nur die Tatsache der Anwendung eines Nervengifts oder dass es nach westlicher Klassifizierung zur Nowitschok-Gruppe gehört?
  5. Welche Daten und materiellen Indizien haben die Briten dem Technischen Sekretariat zur Verfügung gestellt (Proben, Ergebnisse eigener Analysen, sonstige Indizien)?
  6. Wer stand an der Spitze der OPCW-Expertengruppe, die Großbritannien besucht hat? Welche Fachleute gehörten dazu? Wie lange waren sie im Einsatz? Mit wem kooperierten sie?
  7. Auf welche Art und Weise wurden die Proben genommen? Wurde bei den Ermittlungen das grundlegende Prinzip der Konvention über das Verbot chemischer Waffen („chain of custody“ – Reihenfolge der Handlungen bei der Erfassung von Beweisen) eingehalten?
  8. In welchen zertifizierten Labors werden die während des Großbritannien-Besuchs der OPCW-Experten gewonnenen Proben analysiert?
  9. Wie viel Zeit wird das Technische Sekretariat der OPCW zur Erstellung eines entsprechenden Gutachtens brauchen?
  10. Hat das Technische Sekretariat der OPCW akzeptiert, dass Großbritannien Materialien der Ermittlung den EU-Ländern offenlegt (nach jüngsten Angaben nimmt bereits Frankreich gleichberechtigt an den Ermittlungen teil)?
  11. Hat Frankreich das Technische Sekretariat der OPCW über seine Beteiligung an der technischen Hilfe informiert, um die Großbritannien ersucht hatte?
  12. Hat Frankreich Materialien der eigenen Ermittlung (falls solche vorhanden sind) dem Technischen Sekretariat der OPCW zur Verfügung gestellt?
  13. Könnte das Technische Sekretariat der OPCW Daten der französischen Ermittlungen (falls solche vorhanden sind) zur Kenntnisnahme an Russland weiterleiten? Wenn nicht, warum?

Chemische Kampfstoffe im Einsatz

  • 1915-1918: Während des Ersten Weltkriegs setzten alle Konfliktparteien chemische Kampfstoffe ein, als Erstes Deutschland gegen die französischen Truppen. Die Folge: 5.000 Tote. Sieben Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde der Einsatz von C-Waffen durch das Genfer Protokoll verboten. Der Gaskrieg im Ersten Weltkrieg forderte rund 100.000 Menschenleben. Über eine Million wurden verwundet.
  • 1936-1945: Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelte Deutschland den Kampfstoff Tabun – das erste neurotoxische Gas. Die weiteren Forschungsarbeiten führten zur Entwicklung von Sarin und Soman. Chemische Giftstoffe setzten die Nazis insbesondre in den Konzentrationslagern ein. Zu trauriger Berühmtheit gelangte das dabei benutzte Zyklon-B, ein auf der Basis von Blausäure entwickeltes Pestizid. Das mit Nazi-Deutschland verbündete Italien Mussolinis setzte Giftgas im Zweiten Italienisch-Libyschen Krieg und im Italienisch-Äthiopischen Krieg (1935-1936) ein. Während des Zweiten Weltkriegs griff allein Japan auf C-Waffen zurück. An chemischen Kampfstoffen arbeiteten auch die USA und die damalige Sowjetunion.
  • 1952-1955: In Großbritannien entwickeln Wissenschaftler das hochtoxische Nervengift VX. Sie entdecken den Stoff zufällig bei der Arbeit an einem neuen Schädlingsbekämpfungsmittel. Das Mittel erwies sich als zu toxisch für den Einsatz in der Landwirtschaft. Unter den entwickelten Kampfstoffen nimmt VX auf der Giftigkeitsskala Platz eins ein. Die VX-Formel wird an die USA verkauft. Es beginnt ein neues C-Waffenwettrüsten. Eines der Ergebnisse dieser Auseinandersetzung der Systeme sind in der Sowjetunion entwickelte neurotoxische Kampfstoffe. Binäre Waffen, die dem VX am nächsten kommen, gelangen erst in den 1970er Jahren in die Waffenbestände der Roten Armee.
  • 1997: Die UNO-Staaten unterschreiben die Genfer Konvention. Sie verpflichtet die Unterzeichnerländer, auf die Produktion von C-Waffen zu verzichten und die Bestände zu vernichten. In jenem Jahr wird auch die „Organisation für das Verbot chemischer Waffen“ (OPCW) mit Sitz in Den Haag gegründet. Derzeit gehören ihr 192 Staaten an. Nach dem Giftgasanschlag auf den britisch-russischen Doppelagenten Sergej Skripa und seine Tochter Julia in Salisbury in Großbritannien wird die OPCW in die Ermittlungen einbezogen. Die OPCW überwacht die Zerstörung der C-Waffenbestände ihrer Teilnehmerstaaten.
  • 2013-2017: Im syrischen Bürgerkrieg kommt es mehrmals zu Giftgasangriffen. Rebellen und syrische Regierungstruppen werfen sich gegenseitig die Schuld zu. Zum Einsatz kam das neurotoxische Sarin. 2013 tritt Syrien der Chemiewaffenkonvention bei und willigt der Zerstörung sämtlicher C-Waffenbestände ein. 2016 bestätigt die OPCW, dass alle bekannten Bestände der syrischen Armee vernichtet worden sind.
  • 2017: Russland schließt die Vernichtung sämtlicher C-Waffenbestände auf seinem Territorium ab. Die letzte Vernichtungsinstallation in Udmurtien (westlich des Ural im europäischen Teil Russlands) wird unter Teilnahme der OPCW geschlossen. Zerstört wurden insgesamt rund 40.000 Tonnen Kampfstoffe.
Een den keng Tomaten op den Aen huet!
5. April 2018 - 8.06

Es sieht so aus wie wenn die Staaten die Sanktionen in dieser Sache gegen Russland genommen haben, sich jetzt winden wie Würmer um diese ungerechtfertigten Sanktionen zu rechtfertigen! Warum sollte Russland von den Nachforschungen ausgeschlossen werden? Was ist pervers an der Tatsache dass Russland zur Wahrheitsfindung beitragen will? Hat da jemand Angst ertappt zu werden dass er die ganze Nato an der Nase herum geführt hat? Wo bleibt das Recht des Angeklagten sich zu verteidigen? Soll die ganze Welt gegen Russland aufgebracht werden um einen ungerechtfertigten Krieg zu provozieren?