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Fleißsternchen für Waffensprüche – Die Politik der US-Waffenlobby

Fleißsternchen für Waffensprüche – Die Politik der US-Waffenlobby

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«Thoughts and prayers» – Gedanken und Gebete: Das ist es, was US-Politiker für Opfer, Hinterbliebene und Rettungskräfte nach schweren Verbrechen wie zuletzt in Florida gemeinhin bereithalten. «Thoughts and prayers» – das ist nach den Schüssen in der Schule von Parkland geradezu zum Inbegriff für die Heuchelei derer geworden, die seit Jahren nichts gegen den überbordenden Missbrauch von Schusswaffen in den USA tun können – oder wollen.

Der Autorin Bess Kalb ist es vergangene Woche zuviel geworden. Jeder Politiker, der auf Twitter das Wort «prayer» benutzte, bekam eine Breitseite zurück: Nämlich in Form der Summe, die er in den vergangenen Jahren an Spenden von der Waffenlobby-Organisation NRA (National Rifle Organisation) eingesammelt hat. «Gnade Gott Euren an die NRA verkauften Seelen», schrieb die preisgekrönte Autorin.

Es ist nur eine Form des Protestes gegen die Waffenlobby, der nach den Schüssen von Florida ungewöhnlich lange und heftig anhält. In den USA könnte, angeführt von den Schülern der Schule in Parkland, seit langem wieder einmal eine Bewegung Tritt fassen, die ernsthaft Bewegung in die festgefahrene Waffendiskussion bringen könnte. Doch Experten geben den Bemühungen im Wahljahr 2018 nur bedingt Chancen.

Die Waffenmacht NRA 

Die Furcht, dass ein paar kosmetische Zugeständnisse oder schon deren unerfüllte Ankündigung viele Kritiker wieder verstummen lassen könnten, ist groß. Präsident Donald Trump redet nun über ein Verbot von Bump Stocks – diese hatte zwar der Attentäter von Las Vegas im vergangenen Jahr benutzt – die Schüsse von Florida wären aber auch mit einem solchen Verbot in gleicher Weise gefallen.

Die NRA ist wohl der Schlüssel zu der zumindest aus europäischer Sicht fast unglaublichen Freizügigkeit, mit der in den USA mit Schusswaffen umgegangen wird. Derzeit darf ein 18-Jähriger in den meisten Bundesstaaten zwar keine Flasche Wein kaufen, sehr wohl aber eine halbautomatische Waffe, die er mit ein paar Handgriffen praktisch zur Maschinenpistole ausbauen kann.

Als grundsätzliches Recht zur Selbstverteidigung im zweiten Verfassungszusatz festgeschrieben, pocht die Waffenlobby darauf, dass jeder Amerikaner seine Schießeisen im Schrank haben darf. Im NRA-Jargon hört sich das geradezu pathetisch an: Es gehe um jene «individuellen Freiheiten, die Amerika stets zur großartigsten Nation der Welt gemacht haben.»

Waffen gegen Waffen

Unter anderem über einen eigenen Fernsehkanal werden die steilen Thesen unters Volk gejubelt – technisch unterstützt von Firmen wie Amazon und Apple. Das Kernargument lautet in typisch amerikanischer Simplifizierung: Gegen einen Bösen mit einer Waffe hilft nur ein Guter mit einer Waffe.

Die NRA-Lobby treibt das noch weiter – und unterstellt den Waffengegnern ihrerseits, sie seien mit ihrer laschen Haltung für die Massaker mitverantwortlich. «Wie üblich, haben die Opportunisten nicht eine Sekunde gewartet, um die Tragödie für politische Zwecke auszubeuten», sagte NRA-Chef Wayne LaPierre in der vergangenen Woche.

Die NRA und ihre Politik sind für Ungeübte voller Unglaublichkeiten. Dass Politiker einem öffentlichen Ranking zur Frage unterstellt werden, wie sehr sie der Waffenlobby das Wort reden, gehört dazu. Der politische Arm der NRA, der Political Victory Fund, verteilt eine Art Fleißsternchen an die Politiker, die bei ihren öffentlichen Auftritten emsig Werbung machen für das elementare Recht auf Selbstverteidigung.

Geld und Fleißsternchen

Der texanische Senator Ted Cruz etwa, während des Präsidentschaftswahlkampfes mit einem Werbespot auffällig geworden, in dem er Speck am heißgeschossenen Lauf einer halbautomatischen Pistole garte, bekommt ein A+-Rating. Dafür muss man nach NRA-Statuten nicht nur höchst eindeutige Reden zum Waffenrecht gehalten haben, sondern den Worten auch bei parlamentarischen Abstimmungen Taten haben folgen lassen.

Die führenden Figuren der Partei, Abgeordnetenhaus-Vorsitzender Paul Ryan und Senats-Fraktionschef Mitch McConnell etwa, schmücken sich ebenfalls mit A+. Präsident Donald Trumps Wahlkampf soll von der Waffenlobby mit 31 Millionen Dollar unterstützt worden sein.

Doch es sind längst nicht nur Finanzzuwendungen, mit denen Politiker bei Laune und unter Druck gehalten werden. Selbst liberale Experten zweifeln bereits an, dass die Finanzspritzen überhaupt eine wesentliche Rolle spielen. Die Lobby-Organisation, hinter der nicht nur die Waffenhersteller, sondern auch deren Kunden in Form von fünf Millionen Mitgliedern stehen, hat ein ausgeklügeltes System kreiert, dessen Arme weit in die Gesellschaft hineinreichen. So ist die hinter der NRA vereinte Wählermacht inzwischen wohl entscheidender als das Geld.

Boni für Waffennarren

In großen Teilen Amerikas, so stellt es zumindest die NRA um ihren Chef LaPierre dar, ist die eigene Waffe geradezu ein Statussymbol für Stolz und persönliche Unangreifbarkeit. Errungenschaften, die sich kaum einer nehmen lassen will. Charles Schumer, Oppositionsführer im Senat, fasste es am Montag so zusammen: «Wir können Fortschritte machen, aber das würde erfordern, dass sich unsere republikanischen Freunde aus dem harten Griff der NRA befreien.»

Für ihre Mitglieder hat die Organisation ein Bonus-Modell entwickelt – wer eine Mitgliedskarte vorzeigen kann, bekommt alle möglichen Rabatte, von der Tankstelle, über den Weinhändler bis zu ermäßigten Flügen. Auf diese Weise bindet die Waffenlobby Millionen von Wählern – eine wohl noch mächtigere Maschinerie als das Spendenwesen. Anders ausgedrückt: Wer in bestimmten Bundesstaaten einen Parlamentssitz gewinnen will, der darf nicht für striktere Waffengesetze sein.

Viele der teilnehmenden Unternehmen haben nach den tödlichen Schüssen von Florida – auch auf Druck ihrer kopfschüttelnden, teils im Ausland ansässigen Aktionäre – die Reißleine gezogen und ihre Bindungen zur Waffenlobby gekappt. Die Reaktion der NRA war drastisch. «Einige Unternehmen haben sich dafür entschieden, in schändlicher Weise politische und bürgerliche Feigheit zu zeigen.»

Zeitgleich setzte die NRA ihre Spendenempfänger aus der Politik in Marsch. Der stellvertretende Gouverneur von Georgia, Casey Cagle, etwa, drohte etwa der Fluggesellschaft Delta, er werde einen Steuerbonus beschneiden, wenn Delta bei ihrem Ausstieg aus dem NRA-Bonussystem bleibe. Cagley hat bei der NRA ein A+-Rating.

Jacques Zeyen
28. Februar 2018 - 8.34

Vielleicht sollten die Nachkommen der puritanischen Mayflowerbesatzung etwas mehr denken und weniger beten. In keinem Land wird soviel gebetet wie in den USA. Am meisten wohl in den Schützengräben und in den Gefängnissen kurz vor der Giftspritze. Die Witzfigur die aktuell im Weissen Haus paradiert ist der Spiegel der amerikanischen Gesellschaft. Wenn am Wochenende Knaben den Umgang mit der Panzerfaust erlernen oder mit Daddy mit Großkalibern trainieren,dann helfen auch keine Gebete aber Gedanken vielleicht.