Ein „allgemeingültiges Modell“ für das Ende der lockeren Geldpolitik gibt es nicht, meint das Ratingunternehmen S&P. Eine Straffung der Geldpolitik komme für die südlichen Staaten zu früh, für die nördlichen zu spät – egal wann an der Zinsschraube gedreht werde.
Die Europäische Zentralbank hat erst in diesem Monat ihren Willen für eine Normalisierung der Geldpolitik bekundet. Sie wird das Anleihen-Aufkaufprogramm schrittweise zurückfahren. „Die Investoren werden sicherere Vermögenswerte in ihre Portfolios aufnehmen“, meint S&P. Die Finanzierung über Schulden in der Eurozone wird also schwieriger werden.
Im Mai 2018 hat die Inflation in der Eurozone 1,9 Prozent erreicht. Damit liegt sie genau in der von der EZB gewünschten Höhe von „nahe, aber unter“ zwei Prozent. S&P macht den höheren Ölpreis und den schwachen Euro für das Anziehen der Preissteigerung verantwortlich. Dies sind jedoch temporäre Effekte, die nicht von Dauer sein müssen.
Dilemma für die EZB
Wichtiger sei die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, sagt S&P. Viele neu geschaffene Arbeitsstellen seien in den vergangenen Monaten besetzt worden, dies habe die Zahl der Arbeitslosen verringert. Wenn die Nachfrage nach Mitarbeitern steigt, steigt auch deren Preis: Die Löhne ziehen an. Laut S&P sind die Löhne in der Eurozone im ersten Quartal 2018 um 1,9 Prozent gestiegen. Neue Gehälterabkommen in Deutschland und Frankreich würden das Lohnniveau weiter steigern.
Laut Lehrbuch müsste die EZB nun ihre Geldpolitik straffen. „Die große Herausforderung für die EZB wird nun sein, die unterschiedlichen Inflationsraten und Wirtschaftszyklen der einzelnen Euro-Staaten unter einen Hut zu bekommen“, so S&P. Eine Einheitsgröße würde es nicht geben. Eine Straffung der Geldpolitik käme zum falschen Zeitpunkt. „Für die südlichen Staaten kommt sie unausweichlich zu früh“, so S&P. „Für die nördlichen Staaten zu spät.“
Unter dem Strich erwarten die Analysten von S&P, dass die Leitzinsen „bis nach dem Sommer 2019“ auf dem aktuellen Niveau bleiben werden. Im dritten Quartal 2019 soll dann die erste Leitzinserhöhung bekannt gegeben werden. Die Amtszeit des aktuellen EZB-Präsidenten Mario Draghis endet am 31. Oktober 2019.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können