Wie schreibt man eine Intro zu der wohl coolsten Begegnung seines Lebens? „Es war einmal ein junger Musikjournalist …“ oder „Unverhofft kommt oft …“? Seit knapp einer Woche geht mir eine bestimmte Begegnung am 22. Juni 2008 nicht mehr aus dem Kopf. Einer der beiden Menschen, die ich an jenem Tag bei Tuttlingen am Bodensee interviewen durfte, ist nämlich am vergangenen Freitag überraschend im Alter von nur 50 Jahren in Kolumbien gestorben.
Seit diesem tragischen Tag tut sich immer wieder das gleiche Bild vor mir auf: das Bild eines jungenhaft wirkenden Taylor Hawkins, der mit seinen blonden Surfer-Haaren, dem obligatorischen Tanktop und neonfarbenen Bade-Shorts auf einem Sofa im Interview-Bereich des Southside-Festivals herumlungert – die Beine über eine Armbeuge geschlungen, während er seinen besten Freund und Bandleader Dave Grohl mit unerwünschten Zwischenrufen beim Interview zu stören versucht.
Eigentlich hätte Taylor Hawkins an jenem Tag gar nicht zum Termin erscheinen müssen. Zunächst waren – so wurde es mir später berichtet – Leadgitarrist Chris Schifflett und Bassist Nate Mendel vorgesehen. Spontan, wie er halt so ist, hatte sich am Nachmittag aber Dave Grohl dazu entschlossen, die Presse selbst zu empfangen. Unberechenbar, aber auch extremely nice und etwas crazy – so werden Grohl und Hawkins gemeinhin von Zeitgenossen beschrieben. „The nicest guys in Rock ’n’ Roll“ ist nur einer von vielen Titeln, die sich die Rock-Ikonen auf die Brust heften könnten – wären sie beide nicht so verdammt bescheiden.
Dave Grohl ist ein Phänomen: Als Drummer von Nirvana erklimmt er früh den Rock-Olymp. Nach dem tragischen Ableben Kurt Cobains gründet er die Foo Fighters, mit denen er sich einen weiteren Platz in der „Rock and Roll Hall of Fame“ sichert. Daneben mischt er bei namhaften Bands mit, produziert Dokuserien, schreibt Bücher und dreht mit seinen Bandkollegen einen Horrorstreifen, der gerade in den US-Kinos läuft.
Es kann demnach nicht leicht gewesen sein für Taylor Hawkins, in die Fußstapfen von Dave Grohl zu treten. Doch hat er das Unmögliche möglich gemacht: Taylor war tatsächlich der einzige Drummer der Welt, der mit Dave auf einer Bühne stehen konnte, ohne dass man sich wünscht, er selbst sitze hinter dem Schlagzeug. Ich hatte gleich mehrmals Glück, mich live davon überzeugen zu können. Beim Rock am Ring, bei Rock Werchter, beim Pukkelpop oder bei besagtem Southside-Festival im Süden Deutschlands, wo ich zum ersten Mal die außerordentliche Freude hatte, die Foo Fighters zu erleben. Ein einschneidendes Erlebnis in meiner Laufbahn als Musikfan.
Denn: Bis dahin hatte ich die Foo Fighters kaum auf dem Radar. Nirvana war mir zwar ein Begriff, doch hatte ich bis dahin die Angewohnheit, Bands zu meiden, die von Altersgenossen gehyped wurden. Als ich im Juni 2008 für eine andere Tageszeitung zum Southside aufbrach, hatte ich viele Bands im Visier: die Beatsteaks, Enter Shikari, Tocotronic, Madsen, Billy Talent, Sigur Ros oder Radiohead. Doch die Foo Fighters – Headliner am Sonntag – gehörten nicht dazu. Für diesen Tag hatte ich mir u.a. Rise Against vorgemerkt und die fast zeitgleich mit den Foo Fighters auftretenden Biffy Clyro.
Wie der Zufall so will …
Es war eher Zufall, dass mir am Nachmittag die Möglichkeit geboten wurde, ein Fotopass für Foo Fighters zu beantragen. In der Regel dürfen akkreditierte Fotografen die ersten drei Songs fotografieren. Bei größeren Acts wollen Tourmanager oft aber mitbestimmen, wen sie vor die Bühne lassen. Als ich im Pressezelt für ein Interview mit den Kaiser Chiefs vorstellig wurde, bot mir die Pressesprecherin des Veranstalters (Katja?) eine Akkreditierungsanfrage für Grohl und Co. an. Es seien noch Plätze frei. Ich soll doch nach dem Interview mal vorbeischauen. Der Tourmanager sei kurz davor, eine Entscheidung zu treffen.
Gesagt, getan. Bei Festivals ist es üblich, dass Mitarbeiter des Veranstalters Pressevertreter zu den Interviews begleiten. Manchmal gibt es regelrechte Pressebereiche. Beim Southside waren aber mehrere Logen hergerichtet worden, in denen die Bands die Journalisten zum Gespräch empfangen konnten.
Das Interview mit Sänger Ricky Wilson war denn auch ganz nett, aber nicht weiter beeindruckend. Anschließend ging es zurück zum Pressezelt, wo Katja gerade in ein Gespräch verwickelt war. Mit einem Lächeln deutete sie mir an, neben der Theke Platz zu nehmen. Gleichzeitig hatten sich zwei Kollegen bei der jungen Assistentin eingefunden, um zum nächsten Termin aufzubrechen. Daneben stand ein Rockertyp mit langen Haaren, der ungeduldig auf die Armbanduhr blickte und genervte Kommentare auf Amerikanisch von sich gab – ein Tourmanager unter Zeitdruck.
An die genauen Details der folgenden 30 Minuten kann ich mich nach fast 15 Jahren nur noch vage erinnern. Doch spielte sich das Ganze in etwa so ab: Die Pressehilfe schaut etwas hilflos umher. Dann kreuzen sich unsere Blicke und sie sagt: „There you are! Peter from Kölner Stadtanzeiger, right?!“ Ihr fordernder Blick und misslungenes Augenzwinkern verraten mir, dass Widerstand zwecklos ist. Peter aus Köln hat Verspätung und der Tourmanager drängt zum Interview. Eric aus Luxemburg kommt da wie gerufen. Und Eric spielt mit. Wieso auch nicht: Vielleicht warten ja Rise Against oder Biffy Clyro?
Dass mir zehn Minuten später eine Rocklegende Kaffee einschenkt, hätte ich nie zu hoffen gewagt. Dabei ist es Dave Grohl höchstpersönlich, der mich mit den zwei anderen Kollegen im Backstagebereich empfängt. Unvorbereitet, sprachlos und überwältigt bringe ich es fertig, einige Fragen niederzukritzeln. Dass ich nicht Peter heiße, stattdessen aus Luxemburg stamme, ist Grohl völlig schnuppe. Der charismatische Frontmann ist viel zu sehr damit beschäftigt, seine Gäste zu unterhalten.
Laxembörg oder Lichtenstiin
Keine Sekunde lang bleibt der Musiker ruhig sitzen. Im Gegensatz zu Taylor Hawkins, der auf dem Sofa Platz genommen hat, um seinen Freund aus dem Konzept zu bringen. Jede unserer Fragen wird mit einem Zwischenruf aus dem Hintergrund versehen. Was Grohl wiederum mit einem schelmischen Grinsen und vorlauten Kommentaren quittiert. „Don’t mind him!“ – Wir sollen Hawkins einfach ignorieren.
Der genaue Inhalt des Interviews ist nur nebensächlich. Wichtiger ist der Eindruck, den zwei Menschen hinterlassen, die bodenständiger nicht hätten sein können. Hier ein charismatischer Frontmann, der mit einer kindlichen Freude über sein Album „Echoes, Silence, Patience & Grace“ spricht und jedem Reporter seine vollste Aufmerksamkeit schenkt, gleichzeitig aber im Zelt umher wuselt, um Kaffee für seine Gäste aufzubereiten. Und dort ein vorlauter Surfer-Dude, der alles andere hätte tun können, es dennoch vorzog, an diesem schönen Sonntagnachmittag neue Leute kennenzulernen. Das wäre halt sein „thing“, wie Grohl verrät.
Tatsächlich sitzen dort zwei Rocklegenden, die ihren drei Gästen aufrichtiges Interesse entgegenbringen und auch selbst einige Fragen stellen. Fragen über deutsche Politik, deutsche Musik und … ob Luxemburg nun zu Deutschland gehöre oder ein eigenes Land sei. Ob es sich in „Lichtenstiin“ (damit war wohl Luxemburg gemeint) gut leben lässt. Und ob im Großherzogtum wirklich jeder Mercedes, BMW oder Porsche fahre. Während den zwei Journalistenkollegen kurz der Atem stockt, entblößt Hawkins ein perlweißes Grinsen. Die Fragen waren ganz offensichtlich als Scherz gedacht. Hawkins’ Versuch, die Menschen um sich herum wie alte Freunde zu behandeln.
Dass ich mir das Konzert im späteren Verlauf des Abends dann doch nicht entgehen ließ, muss ich wohl nicht betonen. Dass mich der Auftritt derart fasziniert hat, dass ich in den folgenden Jahren keine Gelegenheit mehr verpassen sollte, die Foo Fighters live zu erleben, wohl auch nicht. Dass mich die Nachricht von Taylor Hawkins’ Tod extrem betrübt hat, versteht sich an dieser Stelle wohl von selbst. 2017 habe ich die Foo Fighters in Werchter zum letzten Mal erlebt. Egal wie es weitergeht: Hawkins hinterlässt ein Loch, das nicht mal der beste Drummer der Welt zu füllen vermag. Rest easy, Taylor! Es war mir ein Vergnügen!
Man sollte auch anmerken dass Taylor Hawkins vorher für Alanis Morissette gespielt hat.