Ein Hagelschauer prasselt auf das weiße Zelt, das sich in Koblenz über eine 500-Kilogramm-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg spannt. Vier Männer vom Kampfmittelräumdienst (KMRD) Rheinland-Pfalz beginnen am Samstagnachmittag ihren gefährlichen Job, mitten in einer Sperrzone mit einem Radius von einem Kilometer. 21 000 Anwohner haben dafür ihre Wohnungen verlassen müssen – fast ein Fünftel der 113 000 Einwohner der Rhein-Mosel-Stadt. Auch ein Gefängnis, zwei Bahnhöfe, ein Krankenhaus und zwei Altenheime sind geräumt worden. Die Gefangenen sind in anderen Haftanstalten untergekommen.
Nach einer Dreiviertelstunde gibt der Leiter der Räumgruppe Koblenz des KMRD, Frank Bender, Entwarnung: Die fast senkrecht in der Erde liegende Bombe sei «ohne Komplikationen» entschärft worden. «Wir haben erst den Kopfzünder ausgebaut, dann die Bombe vorsichtig umgelagert, um besser an den Heckzünder zu kommen, und ihn ebenfalls ausgebaut.» Nur einen Tag später, am Sonntag, sollten in Frankfurt sogar fast 70.000 Menschen ihre Wohnungen verlassen – für die Entschärfung einer 1,8-Tonnen-Luftmine aus dem Zweiten Weltkrieg.
Angst, dass die Bombe hochgeht
In Koblenz haben vor der Entschärfung die zehnjährigen Mädchen Lara und Amelie mit Ferngläsern neugierig durch einen Zaun zur Bombe gespäht. Lara sagt: «Ich habe schon ein bisschen Angst, dass die Bombe explodiert.» Wie alle Anwohner der Sperrzone müssen die beiden Kinder bis 13 Uhr das Evakuierungsgebiet verlassen haben. Mit Amelies Familie fahren zu einem Vulkanmuseum in Mendig in der Osteifel. Auch viele Nachbarn machen kurzerhand einen Ausflug – in eine als Aufenthaltsraum geöffnete Schulsporthalle kommen vorerst nur mehrere Dutzend Bürger. Der Arzt Karl Barwich zum Beispiel fährt mit seinem Hund Max lieber in die Pfalz: «Meine einzige Sorge sind nur Einbrecher. Bei uns ist schon mal eingebrochen worden.»
Der Lehrer Gorm Haseloff sagt: «Ich fahre einfach irgendwohin, keine Ahnung.» Sandra Hürter geht im Sperrgebiet erst noch mit Toni Gassi, dem Dackel des scheidenden Unions-Fraktionsvizes Michael Fuchs. Dann macht sie an der Mosel Wahlkampf mit einem CDU-Bundestagskandidaten. Rafi Ullah, Informatikstudent aus Pakistan, flüchtet mit einem Freund ebenfalls an die Mosel, nach Cochem, mit seinem Laptop im Rucksack: «Dann bin ich unabhängig, auch wenn das länger dauert.»
«Bitte verschließen Sie ihre Häuser»
12.000 Handzettel haben Mitarbeiter von Feuerwehr und Ordnungsamt in die Briefkästen gesteckt: «Bitte verschließen Sie Ihre Häuser/Wohnungen, schließen Sie Ihre Fenster und lassen Sie – falls möglich – die Rollläden an den Fenstern herab.» Auch Lautsprecherwagen machen noch auf die Evakuierung in einer Stadt aufmerksam, die als Militärzentrum und Verkehrsknotenpunkt im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs weitgehend zerstört worden ist.
Nach 13 Uhr kontrollieren Zweierteams von Feuerwehr und Ordnungsamt jedes Haus, ob es leer ist. Mehr als 20 Leute weigern sich erst, ihre Wohnung zu verlassen, wie Feuerwehr-Abschnittsleiter Olav Kullak berichtet: «Es hat laute Stimmen gegeben.» Der Feuerwehr zufolge muss ein Schlüsseldienst mehrere verschlossene Türen öffnen. Das verzögert die Entschärfung geringfügig. Zur weiteren Kontrolle kreist in der Luft ein Polizeihubschrauber.
Pralles Leben im Stadtzentrum
Die Sperrzone ist nun gespenstisch leer: komplett freie Straßen, ein leeres Gefängnis und ein Hauptbahnhof ohne Fahrgäste. Das pralle Samstagsleben tobt dagegen im nahen Stadtzentrum – tausende Bürger shoppen, etliche Cafés sind voll.
Christa Thomas (74), die mit einer etwa gleichaltrigen Bekannten aus der Sperrzone zu einem Spaziergang aufgebrochen ist, sagt: «Ich drücke den Männern die Daumen.» Ihre Begleiterin, die ihren Namen nicht nennen will, erinnert sich an Kriegserlebnisse als Kleinkind: «Wir haben uns bei Fliegern immer auf den Boden geschmissen.»
Nach der Bombenentschärfung sagt Kampfmittelräumer Bender, der Blindgänger werde nun zum zentralen Zwischenlager des KMRD an einem geheimen Ort gebracht und irgendwann von einer Fachfirma vernichtet. Bender sagt: «Ich bin erleichtert.»
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