Ob der vor knapp zwei Jahren vom Wiener Olymp gefallene Polit-Jungstar unbeschadet aus der strafrechtlichen Nummer rauskommt, ist nicht nur für Kurz selbst von Bedeutung. Die im Umfragetief dümpelnde ÖVP von Bundeskanzler Karl Nehammer könnte ganz anders ins bevorstehende Wahljahr einsteigen, ließe sich Kurz als Opfer einer linken Verschwörung in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) inszenieren.
Selbst das vom derzeit im fürstlichen Sold des deutsch-amerikanischen Tech-Milliardärs Peter Thiel stehenden Ex-Kanzler kategorisch ausgeschlossene Comeback auf der politischen Bühne ist dann nicht mehr ausgeschlossen.
Phönix in der Asche
Doch vorerst steckt der Phönix noch tief in der Asche. Am Freitag gab die WKStA bekannt, was erwartet worden war: Nachdem das von Alma Zadic (Grüne) geführte Justizministerium grünes Licht gegeben hatte, muss sich Kurz ab 18. Oktober vor dem Wiener Landesgericht wegen des Verdachtes der Falschaussage im Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung des Ibiza-Skandals verantworten, der 2019 die ÖVP-FPÖ-Koalition in den Abgrund gerissen hatte. Mitangeklagt sind Ex-Kanzleramtschef Bernhard Bonelli und die frühere ÖVP-Vizechefin Bettina Glatz-Kremsner, beides enge Kurz-Vertraute.
Kurz’ erste Reaktion: „Die Vorwürfe sind falsch und wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen.“ Wie schon in der Vergangenheit stellt sich der 36-Jährige als Justizopfer dar: Er erklärt es für „wenig überraschend, dass die WKStA trotz 30 entlastender Zeugenaussagen dennoch entschieden hat, einen Strafantrag zu stellen“. Die Zweifel an der Redlichkeit der WKStA garniert er mit einem Gegenverdacht: Es sei „rechtsstaatlich nicht unbedenklich, dass die Medien einmal mehr vor den Betroffenen über den Verfahrensstand informiert sind“.
Tatsächlich hatte sich die Nachricht von der Anklageerhebung bereits vor der offiziellen Bekanntgabe in Wien wie ein Lauffeuer verbreitet. Die Kurz-Fangemeinde ist fest von der Existenz einer linken Mafia in der Justiz überzeugt, welche nichts anderes im Sinn hat, als ihr Idol mit geleakten Informationen anzupatzen.
Schwer zu beweisen
Möglicherweise ist Kurz’ Freude auf den Prozess nicht einmal gespielt. Denn seine Chancen auf Freispruch sind intakt. Die Staatsanwaltschaft wird in dem Prozess nämlich einen schwierigen Beweis anzutreten haben: Konkret geht es um die Frage, ob Kurz im Juni 2020 im Untersuchungsausschuss bewusst gelogen hat, als es um den Postenschacher der türkis-blauen Koalition ging. Sein damals enger, heute als Kronzeuge gegen ihn auftretender Vertrauter Thomas Schmid sagte aus, dass Kurz in den Umbau der Staatsholding ÖBIB zur heutigen ÖBAG stärker involviert war, als von diesem zugegeben. Sichergestellte Chats legen nahe, dass Kurz sehr wohl Einfluss auf die personelle Gestaltung nahm, insbesondere auf die Installierung Schmids als ÖBAG-Chef. Im Ausschuss bestritt Kurz, dass die Initiative zur Bestellung Schmids von ihm ausgegangen war. Er sei nur „irgendwann davon informiert (worden), dass er (Schmid) sich bewerben wird“.
Wer die politischen Gepflogenheiten in Österreich kennt, kann sich freilich nicht vorstellen, dass die Spitzenposition der staatsnahen Wirtschaft nicht ohne Sanktus des Regierungschefs vergeben wird. Niemand wäre also überrascht gewesen, hätte sich Kurz im Ausschuss als Strippenzieher geoutet. Formal ist der Regierungschef allerdings nicht zuständig, was erklären könnte, warum er seine Rolle kleinzureden versuchte.
Ob dies auch strafrechtlich relevant ist, soll nun bis 23. Oktober geklärt sein. Die Höchststrafe von drei Jahren Haft für „falsche Beweisaussage“ muss der bislang unbescholtene Ex-Kanzler ohnehin nicht fürchten. Ob es überhaupt zu einem Schuldspruch kommt, hängt nicht nur vom – relativ leicht zu führenden – Nachweis der Falschaussage ab. Die Staatsanwaltschaft muss Kurz auch einen Vorsatz nachweisen. Das heißt, sie muss belegen, dass der Angeklagte von den ÖBAG-Personalentscheidungen nicht nur informiert war, sondern entgegen seiner Behauptung tatsächlich in sie involviert war und dies wissentlich geleugnet hat.
Schon an Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hatte sich die WKStA die Zähne ausgebissen: Kurz’ früherer Vize wurde erst vor vier Wochen in letzter Instanz vom Vorwurf der Bestechlichkeit freigesprochen: Dass er einem großzügigen FPÖ-Spender einen Aufsichtsratsposten in der Autobahn-Holding Asfinag verschafft hatte, wertete das Oberlandesgericht Wien nur als Folge von nicht strafbarem Lobbying. Der Zusammenhang zwischen Postenvergabe und der 10.000-Euro-Spende an die FPÖ war nicht nachweisbar. Auch einen Korruptionsverdacht in einer anderen Causa konnte Strache bereits mit einem Freispruch abhaken. Österreichs Justiz scheint der Macht der Freunderlwirtschaft nicht gewachsen, weil diese eben eine politische, juristisch schwer fassbare ist.
Umfragen-Affäre
Sollte auch Kurz im Oktober seinen Kopf aus der Schlinge ziehen können, ist er noch nicht wirklich aus dem Schneider. Denn ihm droht eine weitere, viel brisantere Anklage. Dabei geht es um das sogenannte „Beinschab-Österreich-Tool“, ein System zur Förderung der Kurz-Machtübernahme in der ÖVP im Jahr 2017. Dabei soll das ÖVP-geführte Finanzministerium für Kurz günstige Umfragen finanziert haben, die die mit öffentlichen Inseraten gefütterte Boulevardzeitung Österreich pushte.
Die Meinungsforscherin Sabine Beinschab hat schon vor einem Jahr mit einem umfangreichen Geständnis den Kronzeugenstatus erlangt. Sie sagte unter anderem aus, dass das Finanzministerium auch noch nach Kurz’ Einzug ins Kanzleramt zwischen September 2018 und Dezember 2020 Studien beauftragt und bezahlt habe, die „zum Nutzen von Sebastian Kurz und der ÖVP“ gewesen seien. Auch hier wird es, sofern es zur Anklage kommt, um die Frage gehen: Was wusste Sebastian Kurz und wie konkret war er in diese Machenschaften involviert?
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