Faire Jobs, eine gute Ausbildung, gerechte Löhne. Eine Wohnung, Gesundheitsversorgung, Pflege. Ein bezahlbarer Krippenplatz, Schutz vor Armut für die Kinder. Die Europäische Union verspricht künftig soziale Mindeststandards für alle gut 500 Millionen Menschen zwischen Helsinki und Lissabon. In Göteborg wird die neue «Säule sozialer Rechte» am Freitag beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs besiegelt.
Gewerkschafter erwarten ein klares Signal gegen Sozialdumping, denn billige Kräfte aus ärmeren EU-Ländern mischen den deutschen Arbeitsmarkt auf. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, seit langem Streiter für einen sozialeren Anstrich Europas, will zudem Populisten und EU-Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen. «Das sollte ein denkwürdiger Moment werden», sagt er über den Göteborger Gipfel.
Luxemburg weit über dem Durchschnitt
Europa kämpft nicht nur mit den Spätfolgen der Wirtschaftskrise und immer noch sehr hohen Arbeitslosenzahlen in Ländern wie Griechenland, Spanien oder Italien – mit der «größten sozialen Krise seit Generationen», wie Juncker es formuliert. Auch unabhängig von der Krise trennen die EU-Länder im Westen und Osten, im Norden und Süden bei Wirtschaftskraft, Arbeitskosten, Kaufkraft und sozialer Sicherung Welten. So lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2016 nach Daten der Statistikbehörde Eurostat in den 28 EU-Ländern bei durchschnittlich 29 000 Euro. In Luxemburg war es jedoch mehr als zweieinhalb mal so hoch, Bulgarien erreichte weniger als die Hälfte.
Die Arbeitslosigkeit lag in Tschechien laut Eurostat bei nur 2,9 Prozent – in Spanien waren es 17,1 Prozent, in Griechenland 21,7 Prozent und 44,4 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Bildung, Armut, Einkommen, Kinderbetreuung, Gesundheitsversorgung – überall zeigen die Balkendiagramme im am Donnerstag veröffentlichten «Social Scoreboard» der EU-Kommission ein steiles Gefälle. Aber all die Gegensätze hält die von Erweiterung, Eurokrise und Brexit aufgerüttelte EU auf Dauer wohl kaum aus. Hinzu kommen Globalisierungsängste und der Umbruch der Arbeitswelt, die viele verunsichern und eurokritischen Populisten Auftrieb geben.
Ein Kompass oder ein verpflichtender Standard?
Stefan Löfven ist es ein Anliegen, sich als Gastgeber profilieren und seinen Sozialstaat als Vorbild präsentieren will. Er ist einer der letzten sozialdemokratischen Regierungschefs in der EU. Doch auch in Schweden wird nächstes Jahr gewählt – und den Sozialdemokraten hier droht ein ähnliches Desaster wie in vielen anderen europäischen Ländern. Auch hier hat mit den Schwedendemokraten eine rechtspopulistische Partei Zulauf. Sie fordert die strikte Begrenzung der Zuwanderung – und den Schutz des heimischen Wohlfahrts- und Sozialstaates.
Ursprünglich sollte es in Göteborg vor allem um die neue «Säule sozialer Rechte» gehen, die auch mit Gewerkschaftern und Betroffenen kleinen Runden diskutiert werden soll. Dann sattelten die Gipfelmacher in letzter Minute noch eine Bildungsoffensive drauf, als Thema beim Mittagessen der Staats- und Regierungschefs. Computerkenntnisse und mindestens zwei Fremdsprachen in der Schule, EU-weit anerkannte Abschlüsse, mehr Austausch – auch hier will die EU-Kommission einheitlichere Standards für alle auf dem Kontinent.
Allerdings ist Brüssel weder für die Bildungs- noch für Sozialgesetzgebung wirklich zuständig. In den meisten Fragen kann die EU bestenfalls den Rahmen vorgeben und die Mitgliedsstaaten drängen. Die Wirtschaft warnt indes vor neuer Regelungswut. Es gebe ja auf EU-Ebene schon einen umfassenden sozialen Besitzstand mit mehr als 70 Richtlinien und Verordnungen, mäkeln Arbeitgeberverbände. Die neue Soziale Säule sei höchstens eine Art Kompass für die EU-Staaten.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können