Der für die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn hat sich dafür ausgesprochen, an einer «realistischeren Form der Beziehungen» zu arbeiten. Als mögliche Alternative zur EU-Mitgliedschaft der Türkei nannte der Österreicher in einem Interview der Deutschen-Presse Agentur eine strategische Partnerschaft, wie sie jüngst der französische Präsident Emmanuel Macron angeregt hatte. Er würde es begrüßen, wenn sich auch die anderen Mitgliedstaaten mit der Frage einer solchen Partnerschaft auseinandersetzen würden, sagte Hahn.
Mit Blick auf die türkische Wiederannäherung an Länder wie Deutschland erklärte der EU-Politiker, eine Charmeoffensive alleine reiche nicht aus, um für eine wirkliche Entspannung in den Beziehungen zu sorgen. «Was zählt, sind die Fakten vor Ort, und diese haben sich leider noch nicht geändert», sagte Hahn. «Nach wie vor sind Zehntausende Menschen – Journalisten, Anwälte, Akademiker, Staatsbedienstete – in Haft oder ihrer Existenz beraubt.» Die «unhaltbare Situation» im Bereich der Rechtsstaatlichkeit habe sich bislang nicht verbessert.
Europa lässt sich nicht erpressen
Scharfe Kritik übte Hahn an den Forderungen von Ländern wie Deutschland, die der Türkei versprochenen Gelder für die Versorgung von syrischen Flüchtlingen künftig allein über den EU-Haushalt zu finanzieren. «Wenn Mitgliedstaaten immer neue Leistungen – die sie selbst einstimmig beschlossen haben – durch den EU-Haushalt finanziert haben wollen, dann sollen sie doch bitte auch sagen, wo diese Gelder herkommen sollen bzw. bei welchen anderen Partnerländern ich Einsparungen vornehmen soll», sagte er. Er halte es «für unmöglich und falsch», die noch ausstehenden drei Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zu nehmen.
Hahn bestätigte zudem, dass die ersten drei Milliarden Euro, die der Türkei 2015 versprochen worden waren, mittlerweile komplett verplant seien. Diese wurden nur zu einem Drittel aus dem EU-Haushalt und zu zwei Dritteln aus den Haushalten der Mitgliedstaaten finanziert. Die EU hatte der Türkei die Gelder im Zuge der Flüchtlingskrise zugesichert. Im Gegenzug erklärte sich die Regierung in Ankara unter anderem bereit, illegal auf griechische Inseln gereiste Flüchtlinge aus Syrien wieder zurückzunehmen.
Dass die Türkei den Flüchtlingsdeal aufkündigen könnte, wenn die EU die noch ausstehenden drei Milliarden nicht oder nur teilweise zahlt, fürchtet Hahn nicht. «Ich halte nichts von dieser Angstdebatte, denn Europa lässt sich nicht erpressen», sagte er. Zum einen wäre die EU auf einen Flüchtlingszustrom viel besser vorbereitet als vor drei Jahren. Zum anderen glaube er, dass die Türkei selbst kein Interesse daran habe, solche Spiele zu spielen, sondern vielmehr gut integrierte Syrer sogar im Land behalten wolle.
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