Terminales Nierenversagen ist für eine Million Menschen pro Jahr das Todesurteil, schätzen Experten. Könnte eine tragbare Niere ihnen helfen? Ein Bericht über die Dialyse am Weltnierentag.
Dialyse ist kein leichtes Los. Findet sich keine Spenderniere, dann heißt das langfristig für die allermeisten: Dreimal pro Woche für fünf Stunden zur Blutwäsche ins Krankenhaus oder zum Arzt. Doch das könnte sich bald ändern. Forscher arbeiten seit Jahren daran, eine tragbare künstliche Niere zu entwickeln. Und in Rostock sind sie einen wichtigen Schritt vorangekommen.
Nicht für alle Patienten wird eine solche Lösung infrage kommen – denn sich selbst zu dialysieren erfordert viel Eigenverantwortung, Sorgfalt und Disziplin. Für andere ist die Bauchfell-Dialyse, die sie zu Hause durchführen, zumindest eine Zeit lang eine Alternative. Nierenkranke, die noch im Beruf stehen, könnten jedoch auch von einer mobilen Lösung profitieren – vor allem, wenn sie kaum sichtbar ist. Ein Ausblick zum Welt-Nierentag an diesem Donnerstag:
Das erste tragbare, aber noch mit einigen Kinderkrankheiten versehene Dialysegerät stellte der US-Nephrologe Victor Gura (Los Angeles) schon vor zehn Jahren vor. Die Kunstniere filtert die giftigen Abfallstoffe mit Hilfe einer kleinen Pumpe und spezieller Filterkartuschen aus dem Blut. Zusammen mit Kollegen testete er 2015 dann ein verbessertes Gerät, das Patienten 24 Stunden an einem Gürtel mit sich herumtragen konnten. Doch die Studie mit zehn Patienten wurde wegen technischer Schwierigkeiten abgebrochen. Weitere klinische Studien mit einem erneut verfeinerten Gerät sind geplant.
In Italien arbeitet der Nierenspezialist Claudio Ronco (Vicenza) seit langer Zeit an tragbaren Alternativen – in einer Weste oder als Rucksack. «Wir optimieren gerade die miniaturisierten Komponenten und arbeiten an einem Kreislauf mit Antithrombose-Beschichtung», erläutert Ronco. Testreif ist die Kunstniere aber noch nicht.
Probleme mit Verkeimung
Grundsätzlich stehen alle Forscher dabei vor mehreren Herausforderungen: Der Gefäßzugang beim Patienten muss sicher sein, damit Blut in der richtigen Menge austritt und es nicht zu Verkeimungen und Infektionen kommt. Und es gilt Dialyse-Wasser zu sparen: Für die konventionelle Blutwäsche beim Arzt können 170 bis 210 Liter Waschlösung (Dialysat) nötig werden. Das tragbare US-Gerät hingegen kommt mit nur 0,4 Litern Wasser aus.
Die Wasserfrage sei wichtig, auch mit Blick auf Erkrankte in armen Ländern, in denen Wasser knapp ist, betont der Physiker Rainer Goldau. Am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI/Leipzig) tüftelt er in enger Zusammenarbeit mit den Nierenspezialisten der Uniklinik Rostock an der Idee, Menschen die körperlich und psychisch anstrengende Blutwäsche zu erleichtern: Indem sie fortlaufend und dadurch schonender durch eine tragbare Kunstniere geschieht.
Goldau ans Telefon zu bekommen gelingt nicht auf Anhieb, denn er fräst in der Werkstatt an einem Filter für den Prototyp und überhört das Klingeln. Seit er im vergangenen Sommer eine Idee hatte, um den Wasserverbrauch zu minimieren und die Blutreinigung zu vereinfachen, arbeitet er unermüdlich und auch – vorsichtig – optimistisch an einer tragbaren Kunstniere made in Rostock. Denn vor allem das Wasser-Filterverfahren erscheint so einfach und kostengünstig, dass es auch in armen Ländern eingesetzt werden könnte.
Mit Eis filtern
«Eis ist ein ganz wunderbarer Filter», beschreibt Goldau. In der Tat kann jeder, der als Kind mal ein 10-Cent-Wassereis gelutscht hat, bestätigen, dass nach dem Aussaugen des «Colageschmacks» nur pures, blankes Eis zurückbleibt. Diesen Effekt gefrierenden (Dialysat-)Wassers nutzen die Forscher nun, um den giftigen Harnstoff und die rund 130 sonstigen Toxine abzutrennen, die bei Gesunden einfach mit dem Urin ausgeschieden werden. Ist das Wasser durch Vereisung gereinigt, kann es wiederverwendet werden.
Konkret heißt das: Die tragbare Niere soll aus zwei Teilen bestehen. Einer handlichen, per Solarzelle oder Auto-Elektronik betriebenen Basisstation zur Kryoreinigung. Und einer mit Wasser gefüllten Weste, die sich an den Körper schmiegt. «Die Patienten behalten dadurch die Freiheit, ihr Leiden zu verbergen. Viele möchten nicht immer darauf angesprochen werden», erläutert Goldau.
In der Weste finden insgesamt mehrere Liter frisches und gebrauchtes Dialysat in unterschiedlichen Kammern Platz. Während das Blut durch eine von Dialysat umgebene Filterröhre fließt, wird es gereinigt: Schadstoffe treten durch die Filtermembran in das Wasser über. Alle paar Stunden dockt der Patient dann kurz an der Basisstation an. Das gebrauchte Dialysat wird abgelassen und gereinigt. 90 Prozent davon strömen recycelt als Frischwasser in die Weste zurück. Noch gebe es aber offene Fragen, sagt Goldau. Er möchte die IZI-Ergebnisse auf einem großen Fachkongress im Mai präsentieren und hofft, dass dies der weiteren Entwicklung einen Schub gibt. «Die großen Hersteller waren bisher zögerlich», berichtet Goldau. Ähnliches erlebte auch Ronco.
Liegt es am Geld, das Hersteller und Krankenhäuser mit den konventionellen Methoden verdienen? Eine herkömmliche Dialyse kostet pro Patient 40.000 Euro pro Jahr. Vor allem in armen Ländern, in denen Nierenkranke oft kaum Zugang zu Fachärzten haben, könnte eine Wasser sparende und relativ einfach zu wartende Kunstniere – neben der Bauchfell-Dialyse – eine Alternative sein. Weltweit sterben rund eine Million Menschen pro Jahr an terminalen Nierenversagen, schätzt die Nationale Nierenstiftung der USA.
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