Stiehl gelingt das Kunststück, die Geschichte konsequent und geradlinig zu erzählen, ohne sich dabei in Deutungen oder persönlichen Statements zu verlieren. Ganz im Gegenteil, der Regisseur nimmt das Werk sehr ernst und entlarvt in seiner Arbeit eine bürgerliche und aristokratische Gesellschaft, die ihrem Untergang geweiht ist. Und so hat es Strauss wohl auch gemeint und gewollt; als seine Operette 1874 in Wien uraufgeführt wurde, hatte die Wiener Gesellschaft arg unter dem Börsencrash von 1873 zu leiden, genauso wie unter dem finanziellen Fiasko der Weltausstellung im gleichen Jahr und den Folgen einer schlimmen Cholera-Epidemie, die 1873 ihren Höhenpunkt erreichte.
Das Kaiserreich Österreich war dabei, sich seit 1867 in die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie zu verwandeln, während ebenfalls der Nationalismus, wie überall in Europa, aufkam und sich schnell verbreitete. Inmitten dieser unruhigen Zeiten des politischen und gesellschaftlichen Wandels schuf Johann Strauss mit der Fledermaus die wohl wundervollste Operette der Musikgeschichte, in der sich die Wiener Gesellschaft in all ihrer Dekadenz selbst feiert.
Humor und Tragik
Trotzdem steht der Humor in dieser eigentlich an den Haaren herbeigezogenen Verwechslungsgeschichte immer im Vordergrund, während die ernsten, ja oft tragischen Momente meist nur ansatzweise gezeigt oder angedeutet werden. Stiehl erkennt dies sehr genau und stellt die Beziehungen der Personen in seinen Mittelpunkt. Da gibt es viel Betrug und Schwindel, da entflieht man der Realität, besäuft sich, feiert bis zum Umfallen. Wirklich tiefgehende Beziehungen zwischen den Protagonisten gibt es nicht, Erotik, Sex und Alkohol sind Trumpf.
Und trotzdem, alle Personen erscheinen wie Reisende, sie entwickeln sich, bewegen sich aufeinander zu und aneinander vorbei und jeder Einzelne macht sich auf eine fast krampfhafte Suche nach seiner Wahrheit. Lösungen gibt es keine. Aber zumindest Rosalinde scheint am Schluss zu wissen, was sie will, in der letzten Szene fesselt sie sowohl ihren Ehemann Gabriel von Eisenstein als auch ihren Geliebten Alfred mit Handschellen an die Wand und kann so, je nach Lust und Laune, auf den einen oder anderen zurückgreifen. So geht Emanzipation!
Das Bühnenbild spiegelt perfekt dieses Lebensgefühl der Leere wider; so werden die Zimmer des 1. Aktes im Hause Eisenstein zu den Gefängniszellen im 3. Akt. Der 2. Akt, das große Fest des Prinzen Orlofsky, hier halb Mann, halb Frau, findet somit in einer verlassenen und verkommenen alten Thermalbadhalle aus der großen herrschaftlichen Zeit statt und spielt in einem wahren Rocky-Horror-Picture-Show-Ambiente mit allerlei skurrilen Gestalten. Der Text ist leicht aktualisiert und erlaubt sich berechtigte Seitenhiebe auf die gegenwärtige politische Situation. Aron Stiehl hat seine Fledermaus-Inszenierung vollgepackt mit tollen Ideen, die man allerdings nicht alle beim ersten Mal wahrnehmen kann.
Welch ein Ensemble!
Und das liegt an der absolut phänomenalen Leistung des Saarbrücker Theaters, das mit dieser Fledermaus-Darbietung – wir besuchten die Silvester-Vorstellung am 31. Dezember – wieder einmal allerhöchstes Niveau zeigt und den Zuhörer ab der ersten Minute in seinen Bann zieht. Diese Inszenierung, so behaupte ich einmal, kann durchaus mit der Fledermaus der Wiener Staatsoper mithalten, die noch immer in ihrer betulichen Otto-Schenk-Inszenierung daherkommt.
Alle Rollen sind hochkarätig besetzt, allen voran der heldentenorale Alfred von Sung Min Song, auf dessen Entwicklung man gespannt sein darf, sowie der großartige Alleskönner Peter Schöne als Eisenstein, der wohl über eine der schönsten Bariton-Stimmen verfügt, die ich in letzter Zeit gehört habe. Und natürlich Bettina Maria Bauer als quirlige Adele, deren hinreißender Gesang eine wirkliche Wohltat ist.
Pauliina Linnosaari ist eine überzeugende, stimmgewaltige und persönlichkeitsstarke Rosalinde, die ihre Figur von Anfang bis zum Schluss sehr gut entwickeln und charakterisieren kann. Judith Braun gestaltet den Prinzen Orlofsky nicht als Prahlhans und Säufer, sondern als einen eher sympathischen Drübersteher, der als Einziger noch an Entwicklung und Kunst glaubt und sich mit dem Niedergang des Bürgertums abgefunden zu haben scheint.
Dr. Falke ist mit Max Dollinger ebenfalls hervorragend besetzt und auch die kleineren Rollen werden von Markus Jarusch (Franck), Matthieu Segui (Blind) und Nina Links (Ida) hochkarätig abgedeckt. Ein Sonderlob für John Wesley Zielmann in der Sprechrolle des Frosch, wenngleich seine Figur auch etwas zu sehr an Kerkelings Horst Schlämmer erinnert. Toll auch die Tänzer und Tänzerinnen und Roberto Junior in der hinzugedichteten stummen Rolle des Lustsklaven Iwan.
Die in allen Punkten überragende sängerische Leistung des Saarbrücker Ensembles wird durch den Opernchor des Saarländischen Staatstheaters unterstützt, während Dirigent Stefan Neubert das exzellent aufspielende Saarländische Staatsorchester zu einem ebenso spritzigen wie dynamischen und präzisen Spiel anfeuert. Auch hier hört man also erstklassiges Musizieren.
Wir können einen Besuch dieser kurzweiligen, humorvollen und in jeder Hinsicht gelungenen Fledermaus am Staatstheater Saarbrücken nur empfehlen. Weitere Vorstellungen gibt es noch am 22. und 28. Januar sowie am 12. und 19. Februar, am 21. und 25. März, am 7. und 25. Mai, am 9. Juni sowie am 5. und 9. Juli. (Weitere Infos unter www.staatstheater.saarland.de)
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