Die Tage der Klischees sind vorbei. Die Zeit, in der die Piratenparteien in Europa als Exoten und Nerds belächelt wurden, als sie nach der Gründung der schwedischen Partei gleichen Namens im Jahr 2006 erste politische Erfolge erzielten, und von ihnen gesprochen wurde, als seien sie nur eine vorübergehende Zeiterscheinung. Sie traten für die Stärkung der Bürgerrechte, mehr Mitbestimmung und direkte Demokratie ein, verfochten eine Reform des Patent- und Urheberrechts, einen offenen Zugang zu Wissen, mehr Informationsfreiheit und einen besseren Datenschutz, kämpften für die Achtung der grundrechtlich garantierten Privatsphäre sowie für mehr Transparenz. In einigen Ländern war der Traum schnell ausgeträumt, die Piraten hatten kein Wind mehr in den Segeln. Die 2009 gegründete „Piratepartei Lëtzebuerg“ hat aus den Fehlern der Schwesterparteien gelernt.
In ihrer Hochburg Petingen bekamen die Piraten bei den Kommunalwahlen 18,74 Prozent der Wählerstimmen und erhielten dafür vier Sitze im Gemeinderat. Wer glaubt, am Sitz der Partei Seeräuber in der Art von Long John Silver, Messer-Jocke oder Blut-Svente anzutreffen, sieht sich getäuscht. Zwei Männer sitzen gemütlich in Liegestühlen mit dem Piratenlogo: Marc Goergen und Jean-Pierre Ecker. Erstgewählter Pirat, Abgeordneter und Politprofi der eine, drittgewählter Seeräuber bei den Gemeindewahlen, Pensionär und früher bei der Gemeinde angestellt der andere, strahlen Zufriedenheit aus. Ihr Hauptquartier beziehungsweise Piratennest im Zentrum haben sie eigens für die Wahlen angemietet. Es wirkt wie eine Art Bürgerbüro und Anlaufstelle.
Zusammen mit Christian Welter und Teresa Monteiro hatten sie den Gemeinderat geentert und können sich zu Recht als Wahlsieger bezeichnen. Aber auch in Esch, Differdingen, Kayl, Monnerich, Remich, Hesperingen, Sassenheim und Käerjeng sowie in Luxemburg-Stadt gelang ihnen der Einzug in die Gemeinderäte. Und in Colmar-Berg übernahm mit Mandy Arendt erstmals ein Mitglied der Piratenpartei als erste Frau das Bürgermeisteramt in der Gemeinde. War dies der von Marc Goergen anvisierte „Megascore“? „Unser Ziel war es, dort, wo wir antraten, auch einen Sitz zu ergattern“, sagt Goergen. Die Latte lag daher ziemlich hoch, was auf das seit einiger Zeit anhaltende Hoch in landesweiten Umfragen zurückzuführen ist. Auf das Erfolgsrezept angesprochen, sagt der Abgeordnete: „Wir machen eine Politik, die man bei keiner anderen Partei findet. Manche nennen uns streitlustig, andere zu provokativ. Schaut man sich aber die Wählerschaft im Süden an, ist unsere Sprache genau die, die man im Süden spricht. Wir verstellen uns nicht. Wir sprechen ‚vun der Long op d’Zong‘.“
Populismus oder nicht?
Das klingt nach einer ordentlichen Portion Populismus, den unter anderem die politische Konkurrenz den Piraten bescheinigt und den Goergen eher vehement abstreitet. Wenn Populisten dem Volk nach dem Munde reden und einfache Lösungen anbieten, könnte dies zutreffen. Der Begriff Populismus ist heute vorwiegend negativ besetzt. Trotzdem gilt es, ihn genauer zu untersuchen. Einen guten Populismus gibt es nicht, sagen die einen; der Populismus kann die Demokratie beleben, sagen die anderen, wie etwa die deutsche Politologin Paula Diehl: „Populisten wirken als Korrektiv, wenn die Regierenden etwa nicht mehr in der Lage sind, die Bedürfnisse des Volkes zu ermitteln und zu repräsentieren. Wir sollten uns also nicht fragen, ob, sondern wie viel Populismus gut für die Demokratie ist.“
Dass der Populismus auch hierzulande immer mehr Nachahmer findet, stellte vergangenes Jahr Christoph Bumb in dem Artikel „Populismus für Fortgeschrittene“ von Reporter.lu fest. Die klassische (rechts-)populistische Schiene fahre seit geraumer Zeit die ADR. Die Piraten fischten im selben Protestwählerbecken, schreibt Bumb und zitiert die Einschätzung der Politikwissenschaftlerin Léonie de Jonge. Ihr zufolge könne man den Erfolg der Piraten bei den Chamber-Wahlen 2018 als „erstes Symptom des Vorstoßes des Populismus“ in Luxemburg werten. Doch „anders als die ADR setzen die Piraten weniger auf bewussten Populismus als auf eine konfuse, demagogisch angehauchte Stimmungsmache gegen die Herrschenden“.
Der Populismus-Vorwurf gegenüber den Piraten ist demnach nur eingeschränkt aufrechtzuerhalten. Sie betreiben eher eine radikale Oppositionspolitik. Ihre Vorgehensweise wirkt manchmal rabiat und überschreitet das eine oder andere Mal Grenzen. Wie die Kritik an den Piraten etwa als „Fake News“ abgetan werden, ist eine Anleihe an Donald Trump. Zugleich behaupten Sven Clement, Marc Goergen und Co., dass sie sich am ehesten der Sorgen der Bürger annehmen. „Wir sorgen für Transparenz und decken verschiedene Themen auf“, sagt Goergen und nennt die Affäre um das Science Center oder den Skandal um die Superdreckskëscht. „Unter der Großen schützt einer den anderen“ klingt dann schon wieder nach klassischem Anti-Establishment. Als Oppositionspartei sehen die Piraten sich, wenn er sagt: „Wir stecken den Medien die nötigen Informationen zu.“
Partei als Marke
Sven Clement und Marc Goergen sind nicht nur erfahren im Umgang mit Medien, sondern auch im politischen Marketing: „Heutzutage ist eine Partei auch ein Produkt. Es geht ums Image“, so Goergen. „Die DP macht es mit Gromperekichelcher, wir machen es mit Transparenz.“ Die Piraten seien „eigentlich eine Marke“, sagt der Abgeordnete. „Andere versuchen das auch, uns gelingt es besser. Andere Parteien ließen ihre Wahlplakate im Ausland machen, wir machen es selbst. Alles ist von uns selbst erschaffen.“ Zwischen Professionalität und Do-it-yourself ist nur ein kurzer Weg. Goergen, bereits vorher im Gemeinderat, hat Jean-Pierre Ecker schon vorher lange gekannt. Als er ihn auf der Braderie traf, sprach er den Pensionär an und fragte ihn, ob er Kandidat werden wolle. „Die Transparenz hat mich überzeugt“, sagt Ecker. „Jeder kann etwas sagen, jedem wird zugehört.“
Apropos Image: Als politischen Berater, Mitkoordinator und Kandidat für die Parlamentswahlen im Zentrum, wo er mit Spitzenkandidat Sven Clement antreten wird, hat die Partei Tommy Klein ins Boot geholt, vorher Managing Director beim Meinungsforschungsinstitut Ilres. Das passt gut zusammen, schließlich surften die Piraten zuletzt kräftig auf der Umfragewelle: Bereits vor zwei Jahren hatten sie die Zahl ihrer Mandate laut „Sonndesfro“ von Wort und RTL auf vier verdoppelt, danach sogar auf sieben. Im vergangenen Jahr pendelten sie sich auf sechs Sitze ein. Clement ist längst in den Top Ten der beliebtesten Politiker angekommen. Die Umfragen haben bei den Piraten eine verstärkte Dynamik ausgelöst. Im politischen Spektrum sieht Goergen seine Partei „mittig-links“. Vor allem gegen die Grünen wird kräftig ausgeteilt. Goergen empört sich: „Die stimmen gegen unsere Tierschutzvorschläge.“ Dagegen nennt er die Piraten als einzig echte Tierschutzpartei des Landes.
Zerstrittene Schwesterpartei
In anderen Ländern wie Deutschland sind die Piraten wieder von der Bildfläche verschwunden. „Das Problem war bei ihnen, dass die zu sehr auf die Schwarmintelligenz gesetzt haben. Das war ein Fehler“, sagt Goergen. „Einmal gewählt, und schon haben sie immer nur gestritten. Öffentlich und auch intern.“ Wie nah Sieg und Niederlage voneinander liegen, hatte Sven Clement schon zu spüren bekommen: 2017 verpasste er den Einzug in den hauptstädtischen Gemeinderat. Doch sein unerschütterlich scheinender Optimismus scheint ihm auch immer wieder Aufwind verliehen zu haben. Der Parteimitgründer von 2009 und damalige Student der Wirtschaftsinformatik verortete die Piraten schon früh im politischen Spektrum ähnlich wie Marc Goergen als sozialliberal. Schon in einem Porträt in der Revue wies er den Vorwurf, dass es sich um eine Ein-Punkte- und Netzpartei handele, zurück: „Wir haben es im Netz mit vielen Fragen zu tun, mit Datenschutz und Urheberrecht. Aber auch mit weiterführenden Fragen wie die nach Bürgerrechten und sozialen Themen.“ Damals fanden sich bei den Piraten vorwiegend junge Anhänger. Auch heute ist der Altersdurchschnitt eher niedrig.
Die Piraten seien wirklich basisdemokratisch von unten nach oben, andere wiederum bezeichnen sie eher als ziemlich hierarchisch und auf die beiden Führungspersonen ausgerichtet, so Goergen. Anfangs wurde sie als eine Art One-Man-Show von Sven Clement oder gar als Nischenpartei dargestellt. Mittlerweile wird ihr auch zugetraut, in die Regierung zu kommen. In einer Zeit, in der es zunehmend schwierig wird, eine Zweierkoalition zu bilden, könnte sie zweiter Juniorpartner einer Koalition sein. Ein Vorbild könnte übrigens die Schwesterpartei in Tschechien sein. Dort stellten die Piraten nicht nur bis Februar den Prager Bürgermeister, sondern mit Jan Lipavsky den Außenminister. Kein Wunder, schließlich grüßt man in Tschechien mit „Ahoj“.
In Luxemburg gab es schon einmal ein "Piraten"-Phänomen.
Der luxemburgische Historiker Emile KRIER berichtet darüber auf Seite 430 in seinem Buch: Die deutsche Kultur- und Volkstumspolitik in Luxemburg 1933-1940:
(...) In Deutschland war man über den luxemburgischen Sender verärgert, weil dieser nicht die ihm vom Weltfunkverein zugewiesene Wellenlänge benutzte. Auf der von ihm benutzten Sendewelle störte er nämlich den Deutschen Bahn- und Flugfunk, und bereitete ebenfalls der Reichswehr Probleme. Besonders erbost war man ebenfalls über die politische Tendenz des Senders. In Deutschland sah man Radio-Luxemburg als
tendenziösen "Propagandasender" an; das
Propagandaministerium schreckte sogar nicht davor zurück, ihn als "Piratensender" zu bezeichnen. Trotz alldem war man deutscherseits dennoch bestrebt, Einfluss auf den Sender zu gewinnen. Diesen Einfluss wollte man vor allem im Bereiche des Nachrichtendienstes und der kulturellen Sendungen geltend machen. (...)
MfG
Robert Hottua
Macht roueg weider esou a bleift mat zwéi Féiss um Buedem. Wann der net enges daags deselwechte geféierlechen Politiker-Fuerz an de Kapp kritt wéi déi meescht aus anere Parteien, da kommt der och nach virun. Mär gefält Äert Schema: Där spriecht e Problem un an hutt eng ausgeschaffte Léisung dozou, déi ëmzesetzen wär, wann déijéineg déi un der Macht sinn Iech géingen hëllefen se ze realiséieren. An Ärer Sproch feelt den onnëtzen, typesch politesche Vokabulär mat geschwollene Verspriechen an déckem Getéins un déi kee Mënsch gleewe kann.