Beim Lesen der betreffenden Zeilen fühlte ich mich ins letzte Jahrhundert zurückversetzt: ungenügendes Kundenpotenzial, nicht mehr zeitgemäß, Verschwinden eines Bahnübergangs, das waren alles Aussagen, die das Aus für so manche Bahnstrecke bedeutete. Bei uns sei in diesem Zusammenhang an das Teilstück zwischen Rümelingen-Stadt und Rümelingen-Öttingen erinnert, das 1996 stillgelegt wurde, da der Bahnübergang im Zentrum anscheinend den Verkehrsfluss des Individualverkehrs störte und die damaligen Gemeindeverantwortlichen auf dessen Abschaffung drängten.
Heute ist es auf diesem Gebiet zu manchem Umdenken gekommen. Es wurde auf Verkehrsexperten wie Professor Heiner Monheim oder Professor Hermann Knoflacher gehört und die Bedeutung der Schiene wurde wiedererkannt. Somit erlebt manche Bahnlinie, die vor Jahren als nicht rentabel und nicht mehr zeitgemäß aufgegeben wurde, heute eine erfolgreiche Wiedergeburt, auch wenn heute noch Lokalpolitiker liebend gerne auf die Schiene verzichten würden, um in ihren Augen wichtigere Straßenprojekte oder voll im Trend liegende Fahrradwege auf Bahntrassen zu realisieren.
Luxemburger Interessen bereits beim Bau 1880
Die Bahnstrecke von Esch/Alzette nach Audun-le-Tiche, ganze 2,67 Kilometer lang, gehört zu den Eisenbahnlinien, die zu einer bestimmten Zeit einen Höhepunkt erreichten und dann aber nach dem Verschwinden des einzigen Benutzers – in diesem Fall war es die Stahlindustrie – ohne Verkehrsaufkommen dastanden. Eröffnet wurde die Linie nach Deutsch-Oth bereits im Jahre 1880, um dann im damals preußischen Redingen an der Erzverladestelle Adlergrund zu enden. Der Anschluss in Richtung Diedenhofen wurde erst 1904 nach dem Bau des mächtigen Eisenbahnviaduktes fertiggestellt.
Bereits 1937 wurde der Personenzugverkehr in Richtung Redingen, welches nach der Rückkehr von Elsass-Lothringen zu Frankreich im Jahre 1918 nun Rédange (Moselle) hieß, eingestellt. 1939 verschwanden die Personenzüge zwischen Esch/Alzette und Audun-le-Tiche. 1948 erfolgte dann auch die Aufgabe der Reisezüge im Fenschtal zwischen Audun-le-Tiche und Fontoy.
Nichtsdestotrotz fristeten der Bahnhof von Audun-le-Tiche kein Nischendasein. Die Stahlindustrie sorgte für ein hohes Transportvolumen, das ihm sogar ein Bahnbetriebswerk für die Bekohlung der Dampflokomotiven beschaffte. Und 1962 wurde die Bahn im Fenschtal sogar elektrisch an die Nordost-Achse Frankreichs, welche die Stahlindustrie mit Dunkerque verband, angeschlossen. Bis das luxemburgische und das französische Bahnnetz miteinander verbunden waren, dauerte es allerdings noch bis ins Jahr 1972. Im Übrigen besaßen auch die Arbed-Werke einen Anschluss über die Terres-Rouges-Hütte an das französische Bahnnetz, über den noch bis in die achtziger Jahre regelmäßig Güterwagen übergeben wurden, zuletzt noch Ganzzüge mit Hochofenschlacke und Splitter.
Doch nach und nach setzte die Stahlkrise der siebziger und achtziger Jahre auch den Hüttenwerken auf französischer Seite zu. Langsam, aber sicher wurden die Standorte von Audun-le-Tiche und Villerupt geschlossen.
Die Stahlkrise verschonte die Strecke nicht.
Der Niedergang des Bahnhofes von Audun-le-Tiche begann mit der Stilllegung der Verbindung nach Rédange im Jahr 1984. Immer mehr Teile des einst großen Bahnhofes wurden „neutralisiert“; die beiden Rangierlokomotiven, die im Drei-Schicht-Betrieb im Einsatz waren, wurden abgezogen, da für die restliche Bedienung der verbliebenen Anschlüsse die Lokomotive des täglichen Güterzuges völlig ausreichte. Diese anfangs noch tägliche Verbindung ab Thionville brachte oft noch Kalkwagen aus Dugny-sur-Meuse mit, die dann nach Esch/Alzette weiterbefördert wurden.
Mitte der achtziger Jahre wurde der Bahnbetrieb zwischen Audun-le-Tiche und Fontoy vereinfacht; die Signale wurden abgebaut und die Linie wurde seitens der SNCF als VUT („Voie unique à trafic restreint“) betrieben. Das französische Vorsignal in der Escher „Hiel“ in der Nähe des Bahnübergangs wurde am 27. November 1986 von einem Bauzug der SNCF abgebaut. Auf dem Abschnitt zwischen Esch/Alzette und Audun-le-Tiche, der nach luxemburgischen Eisenbahnvorschriften abgewickelt wurde, verlor die Strecke ihren Status als Hauptverkehrslinie und wurde gemäß den Regeln einer „courte ligne en impasse“ mit Esch als „gare de commande“ betrieben.
In puncto Güterverkehr zwischen Esch und Audun-le-Tiche sank der Verkehr ständig. Zählte man 1976 noch zwei Zugpaare pro Wochentag, so fiel diese Zahl anfangs der achtziger Jahre auf ein Zugpaar am Nachmittag. Ab Fahrplanwechsel 1985/1986 wurde nur mehr montags, mittwochs und freitags gefahren, dienstags und donnerstags konnte es zu bedarfsmäßigen Fahrten kommen. Ab April 1987 wurden alle Regelfahrten in Bedarfsfahrten umgewandelt und ab Fahrplanwechsel 1987/1988 verschwanden alle Fahrten zwischen beiden Orten aus den Fahrplanunterlagen der CFL.
Neue Zukunft durch den Personenverkehr?
Der damalige Niedergang im Güterverkehr bedeutete aber nicht, dass sich keine Gedanken über den Fortbestand der Strecke gemacht wurden. Schon damals wälzte sich täglich eine Blechlawine ab Audun-le-Tiche in Richtung Esch durch die Straßen des französischen Grenzortes und durch die engen Straßen im luxemburgischen Grenzviertel. Um diesem Problem Herr zu werden, kam der Gedanke auf, die bestehende Bahnverbindung, die jetzt ohne Verkehr war, für den Personenverkehr mindestens bis Audun-le-Tiche zu reaktivieren. Auf französischer Seite kam sogar der Wunsch auf, weiter durch das Fenschtal über Fontoy und Hayange bis nach Thionville zu fahren.
Die Idee der Wiederaufnahme des Bahnverkehrs auf der kurzen internationalen Strecke fand zahlreiche Unterstützer beiderseits der Grenzen. Treibende Kräfte damals waren neben der AÖT („Aktioun Öffentlechen Transport“) und den Eisenbahnergewerkschaften auch der damalige Escher Bürgermeister Jos Brebsom sowie die Bürgermeister von Audun-le-Tiche Alain Philippe und Angelo Filippetti, Vater der ehemaligen französischen Kulturministerin Aurélie Filippetti.
Die Hartnäckigkeit der Befürworter einer Reaktivierung wurde schlussendlich im Jahre 1992 belohnt. Nach verschiedenen Anpassungen (die drei restlichen „französischen“ Gleise im Bahnhof von Audun-le-Tiche wurden von Gleis 1, entlang dem ein Bahnsteig gebaut worden war, abgetrennt, die Trennstelle in der Oberleitung an der Grenze zwischen SNCF und CFL wurde entfernt und das „Escher Gleis“ fortan von Luxemburger Seite aus gespeist) erreichte der erste Personenzug mit den geladenen Gästen am Nachmittag des 26. Septembers 1992 den Bahnhof von Deutsch-Oth. Leider konnte einer der großen Befürworter der Wiederaufnahme des Personenzugverkehrs diesen Tag nicht mehr miterleben. Angelo Filippetti verstarb wenige Tage vorher am 15. September 1992 nach einer Herzoperation.
Ab dem 28. September 1992 (an Sonn- und Feiertagen waren keine Fahrten vorgesehen) wurde der Regelbetrieb zwischen Esch/Alzette und Audun-le-Tiche aufgenommen. Dabei kam der ehemalige Status der „gare commune franco-luxembourgeoise“ den Benutzern zugute. Ab dem französischen Bahnhof galten und gelten bis heute die luxemburgischen Tarifbestimmungen, und so kann man heute gratis in der 2. Klasse mit der Bahn bis in den Grenzort fahren.
Übrigens gab es zu Beginn für lange Jahre morgens und abends Direktverbindungen zwischen Luxemburg und Audun-le-Tiche, wobei der abendliche Zug ab Luxemburg in Noertzingen getrennt wurde und somit auch den Benutzern aus dem Kayltal eine direkte Rückfahrmöglichkeit geboten wurde. Eine Möglichkeit, die man nach der Fertigstellung der Neubaustrecke zwischen Bettemburg und Luxemburg wieder ins Auge fassen sollte, um die Attraktivität dieser überregionalen Verbindung zu stärken und zu festigen.
Große Träume und verpasste Chancen
Der Erfolg der Wiederaufnahme des Personenverkehrs weckte auch die Wünsche nach einer Verlängerung der Bahn durch das Fenschtal in Richtung Hayange und Thionville. Befürworter sahen hier die Möglichkeit zur Schaffung einer dritten Schienenverbindung aus dem französischen Grenzgebiet nach Luxemburg und später die Möglichkeit einer Anbindung an das geplante neue Viertel in Belval.
Eine der Bürgervereinigungen, die sich für die Eröffnung der Bahnstrecke für den Personenverkehr einsetzten, war die Gruppe AGIRR („Association pour l’aménagement et la gestion des infrastructures dans le respect des ressources“) unter der Leitung von Martine Wagner, mit der sich die „Aktioun Öffentlechen Transport“ damals mehrmals traf. In einem Brief seitens der SNCF an den Verein aus dem Jahre 2003 hatte die Direktion der Region Metz-Nancy festgehalten, dass die Bahnverwaltung die Entwicklung des neuen Standortes Esch-Belval und in diesem Zusammenhang auch eine Wiederbelebung der Strecke im Personenverkehr im Auge behalten werde. Die Kosten für eine Instandsetzung bezifferte die SNCF damals auf etwa 10 Millionen Euro.
Leider stieß die Bitte nach einer Anfrage beim damaligen Transportminister Lucien Lux auf taube Ohren seitens des Ministers, welcher meinte, die CFL würde ja schon mit ihren Zügen bis nach Audun-le-Tiche fahren, und was dahinter geschehe, sei im Grunde genommen ein rein französisches Problem, in das er sich nicht einmischen wolle. Lediglich die Tageblatt-Journalisten Francis Wagner und Léon Marx empfingen eine Delegation von AGIRR und AÖT und schrieben einen Artikel über die Vorteile einer dritten regionalen Bahnverbindung zwischen Esch/Alzette und Lothringen.
Einen ersten herben Rückschlag für die Befürworter der Bahn gab es am 17. November 2005. An dem Tag sprach die für die Bahn zuständige Verwaltung RFF („Réseau ferré de France“) die Stilllegung der Strecke mit der Nummer 195000 Fontoy-Audun-le-Tiche zwischen den Kilometern 0,175 und 21,964 aus. Der Grund dazu war nicht nur das fehlende Verkehrsaufkommen, sondern auch die Pläne zum Bau einer Straßenverbindung, der sogenannten „Liaison Micheville“, die nicht nur den Durchgangsverkehr aus Audun-le-Tiche entfernen, sondern auch eine Verbindung an das luxemburgische Autobahnnetz in Höhe von Esch-Belval schaffen sollte. Durch das Verschwinden der Strecke würde auf den Bau von zwei Brücken verzichtet werden können.
Gegen diese Stilllegung klagten die französische Fahrgastvertretung FNAUT sowie die Vereinigung AGIRR im Jahr 2007 vor dem Straßburger Verwaltungsgericht und errangen einen Erfolg. Unter anderem hielten die Richter in ihrer Urteilsbegründung fest, dass sich RFF nicht genügend über die zu eventuell erwartenden Verkehre bei der SNCF im Zusammenhang mit dem neuen Areal Esch-Belval erkundigt habe. RFF ging zunächst nicht in Appell gegen das Urteil; die FNAUT und AGIRR setzten sich weiter für den Ausbau der Bahn und gegen den Bau der „Liaison Micheville“ ein. In ihren Augen standen ein Invest von 10 Millionen Euro für die Schiene einem Kostenpunkt von 30 Millionen für die Straße entgegen.
In dieser Zeit entstand auch die Idee, die Bahnstrecke ab Audun-le-Tiche in Richtung Villerupt über die Trasse der ehemaligen Werksbahn, welche die Hütte von Micheville mit dem Bahnhof von Deutsch-Oth verband, wiederherzustellen und im Personenverkehr bis dorthin auf der Schiene zu betreiben. Auch hier blieb es beim Wunschdenken, da man, wie so oft bei Schienenprojekten, nur die Kosten sah und weniger den Nutzen, und aus der Bahnverbindung Villerupt-Luxemburg wurde die RGTR-Buslinie 321, die heute ohne direkte Bedienung des Escher Bahnhofes und Zentrums beide Städte verbindet.
Die Befürworter der „Liaison Micheville“ und des „Contournement“ von Audun-le-Tiche ließen sich jedoch nicht von der Entscheidung der Richter in Straßburg beeindrucken und trieben ihre Straßenbaupläne weiter; die Bahn blieb in ihren Augen stets ein Hindernis, das es aus der Welt zu schaffen galt. Und so erreichten sie im Jahr 2009 einen Kompromiss, der vollends für ihr Straßenbauprojekt langte. RFF legte nicht mehr die ganze Strecke still, sondern teilte in seiner Entscheidung, „immédiatement exécutoire“, wie sie im „Bulletin officiel“ von RFF über die Sitzung vom 26. November 2009 nachzulesen ist, nur die Aufgabe des etwa drei Kilometer langen Teilstücks zwischen Russange und Audun-le-Tiche, das für den Straßenbau nötig war, mit.
Wieder gaben sich die Befürworter der Bahn nicht geschlagen und zogen erneut auch gegen diese Teilstilllegung vor Gericht, diesmal jedoch ohne Erfolg. Die „Cour administrative d’appel de Nancy“ wies am 5. Juni 2012 ihre Beschwerde ab; die Bahnanlagen, die für den Bau der Schnellstraße hinderlich waren, konnten abgebaut werden, und der Realisierung der „Liaison Micheville“ ohne zusätzlichen Brückenbau stand nichts mehr im Weg.
Heute steht das Other Viadukt als Mahnmal für eine einseitige Verkehrsplanung in der Landschaft. Die Bahnlinie von Fontoy aus endet in Russange kurz hinter der Rampe, welche die Bahn auf die Brücke leitete; in Audun-le-Tiche führt die Schnellstraße in Richtung Belval hinter dem Bahnhof vorbei und ein Weiterführen der Strecke ist quasi unmöglich, da es gewaltigen Tunnelbauten – die man für den Straßenverkehr vielleicht noch zu bezahlen bereit wäre – bedarf, um weiter in Richtung Villerupt oder Fenschtal zu gelangen.
Nichts gelernt?
Die Bahnverbindung von Esch/Alzette nach Audun-le-Tiche blieb von all den Diskussionen auf französischer Seite unberührt und bietet heute zwischen 5 Uhr morgens und 21 Uhr abends von montags bis freitags einen Halbstundentakt an; an Samstagen wird nur morgens und zwischen 7 und halb 9 und abends ab 18 Uhr gefahren. Sonntags ruht der Verkehr. Rund 700 Fahrgäste sollen die Verbindung durchschnittlich pro Tag nutzen, obwohl es keine Direktverbindungen mehr zwischen Deutsch-Oth und Luxemburg mehr gibt.
Anfang November wurde nun während der Vorstellung des Projektes der neuen Südtram angedacht, die Bahnlinie zwischen Esch/Alzette und Audun-le-Tiche aufzugeben und die Züge durch einen BHNS, einen „Bus à haut niveau de service“, zu ersetzen, welcher dann teilweise die freigemachte Bahntrasse ab der Barbourg-Straße benutzen würde.
Die Aufgabe der Bahnverbindung, die in keiner Weise der neuen Schnelltram in Richtung Luxemburg im Wege steht, geht, so steht es in einem Interview mit dem Escher Bürgermeister Georges Mischo im Tageblatt vom 13. November zu lesen, von der Gemeinde Esch aus. Für den früheren Escher Bürgermeister Jos Brebsom muss das doch nach seinem langen Einsatz gemeinsam mit den „Maires“ der französischen Nachbargemeinden zuerst wie ein Schlag ins Gesicht wirken. Sein Wirken hat die Straßen von Esch zwar nicht ganz von den Autos der zahlreichen Pendler befreit, aber doch eine Alternative geboten, die trotz Umsteigen viele nutzen. Und auch wenn heute von nur 700 Benutzern am Tag die Rede ist und man von einer Besetzung von 1,5 Personen pro Auto ausgeht, so sind das trotzdem um die 200 Wagen, die nicht die Straßen verstopfen.
Der Wunsch, die Bahn abzuschaffen, geht auch mit dem Wunsch nach der Abschaffung des Bahnübergangs 93 in der „Hiel“ daher. Hier wird auf den Wunsch der Anwohner hingewiesen und ihnen lange Wartezeiten vor den geschlossenen Schranken suggeriert. Schaut man sich die Sache vor Ort an, so stellt man fest, dass zwischen dem ersten Blinken der roten Ampeln und der Vorbeifahrt eines Zuges nur etwas mehr als eine Minute vergeht, viel weniger Wartezeit als an manchen Verkehrsampeln.
Bahnschranken speisen eben die Mär von der Trennung von Ortschaften; in Rümelingen hat der Bahnübergang bereits das Aus für die Schiene in Richtung Öttingen bedeutet; zwischen Ettelbrück und Diekirch dienen sie der Straßenlobby ebenfalls als Argument zur Einstellung der Bahnverbindung, und selbst in Düdelingen sucht man nach Möglichkeiten, um sich dieser lästigen Behinderungen des Autoverkehrs zu entledigen. Dass man gefährliche Bahnübergänge versuchen sollte abzuschaffen, steht außer Frage. Dies darf jedoch im 21. Jahrhundert nicht mehr auf Kosten der Schiene gehen, frei nach dem Motto: „Einfach Bahn weg, dann Bahnübergang weg, also freie Fahrt für freie Bürger“.
An Zuspruch gewonnen
In den letzten Jahren hat die Schiene überall wieder an Zuspruch gewonnen, weil viele Bürger ihre Vorteile erkannt haben. Sie gilt als besonders umweltfreundliches Transportmittel, zumal wenn sie elektrisch betrieben wird. Sie stellt eine schnelle Verbindung zwischen den Orten und Zentren her, sie kennt keinen Stau und ist, trotz manchmal auftretender Probleme, doch meistens pünktlich und verlässlich. Nicht umsonst fordern immer mehr anerkannte Verkehrsexperten deshalb die Wiederaufnahme und sogar den Wiederaufbau von stillgelegten Bahnstrecken.
Und doch wird immer wieder versucht, mit Argumenten aus dem letzten Jahrhundert die Vorteile der Schiene zu minimieren. Sicher traut sich heute kein Politiker mehr zu einer Äußerung, jeder Luxemburger müsste jeden Morgen 5 Franken für die Eisenbahn auf den Nachttisch legen, aber der Hintergedanke ist geblieben. Warum will man sonst dem Wahlvolk vorgaukeln, mit Bussen könnte man den öffentlichen Transport genauso gut bewältigen wie auf der Schiene? Schon allein hier strafen die Pläne einer Südtram diese Gedanken Lüge. Wäre das so einfach möglich, hätte Minister Bausch ja einfach nur mehr direkte Busverbindungen ab Esch über die A4 einsetzen können, seien sie per einfachem Bus oder per Gelenk- oder Doppelgelenkbus. Komischerweise setzt der Minister aber hier auf die leichte Schiene, die genau wie der Bus verschiedene Viertel aus Esch/Alzette mit verschiedenen Vierteln aus der Hauptstadt verbinden kann.
Apropos „Bus à haut niveau de service“: Mit dieser Bezeichnung wird das Wahlvolk wieder getäuscht, da ihm eine Mogelpackung präsentiert wird. Der BHNS ist nichts anderes als ein Doppelgelenkbus, der ganz oder den größten Teil seiner Strecke auf einer eigenen Trasse fährt. Vom Antrieb her gibt es ihn wohl heute mit konventionellem Dieselmotor, mit Erdgasantrieb oder seit neuestem auch mit Batterien, aber von seinem Konzept her bleibt er ein Straßenfahrzeug mit dem Komfort eines Busses – nicht mehr und nicht weniger. Die Laufeigenschaften eines Schienenfahrzeuges erreicht er jedenfalls nicht, auch wenn er, wie z.B. der Mettis in Metz, auf einer vom übrigen Straßenverkehr abgetrennten glatten Betonfahrbahn verkehrt.
Mit diesem BHNS sollen jetzt auch die Grenzgänger in Audun-le-Tiche beglückt werden. Auf den Plänen des neuen Viertels „Rout Lëns“, ist die Bahnstrecke bereits durch eine BHNS-Trasse ersetzt und eine entsprechende Haltestelle eingezeichnet. Hier stellt sich doch zuallererst die Frage, warum man hier keine Bahnhaltestelle errichten kann. Der BHNS kommt ja auch nicht direkt zu den Bewohnern und Besuchern des neuen Viertels, diese müssen zu ihm kommen. Und für die neue Bustrasse muss ja auch erst einmal die Trasse für den BHNS gebaut werden, d.h. Bestehendes und Bewährtes muss zerstört werden, um Neues zu schaffen.
In diesem Zusammenhang seien auch noch folgende Fragen erlaubt: Wenn der BHNS denn kommen soll, wo soll die breitere Fahrbahn herkommen? Die jetzige Bahntrasse ist eingleisig ausgelegt, sie müsste also verbreitert werden. Opfert man dann die Baumallee in der Barbourg-Straße? Oder zweigt man Fläche vom Baugrund des neuen Viertels ab? Oder verkehrt der neue Bus, der ja öfter als die Bahn fahren soll, jeweils auf der jetzigen Trasse im abwechselnden Richtungsverkehr? Und wie geht es weiter, nachdem das Gefährt die ehemalige Bahntrasse auf der Höhe des Bahnübergangs verlassen hat? Auch wenn die Other Straße und der Boulevard Kennedy verkehrsberuhigt werden, so wird doch sicherlich beim Abbiegen des BHNS auf die Fahrbahn in Richtung Bahnhof viel Können vom Fahrer verlangt werden. Auf jeden Fall wird der Bus einen Teil seines Zeitgewinnes auf eigener Trasse an dieser Stelle einbüßen, und ob die jetzige Fahrzeit von 5 Minuten zwischen Audun-le-Tiche und Esch/Alzette eingehalten werden kann, ist fraglich. Natürlich wird sich im Falle eines Zwischenhaltes im neuen Viertel auch die Fahrzeit der Bahn um ein paar Minuten erhöhen; sie wird aber sicher unter der Fahrzeit des BHNS liegen.
Der Süden Luxemburgs dürfte im Übrigen auch zu den wenigen Gegenden zählen, die auf das Transportmittel BHNS setzen. In der November-Ausgabe der Fachzeitschrift Der Stadtverkehr kann man so nachlesen, dass Straßburg überlegt, seine Linie H, die als BHNS betrieben wird, mittelfristig in eine Tramlinie umzuwandeln. Ausschlaggebend ist hier auch die Tatsache, dass der Flächenbedarf bei einer solchen Bustrasse größer ist als der einer Tramtrasse, und dies bei einer niedrigeren Transportkapazität.
Und auf französischer Seite?
Im Le Quotidien vom 8. November 2020 zeigt sich in einem Interview auch Alain Casoni, „conseiller départemental de Meurthe-et-Moselle“ und Vizepräsident der CCPHVA („Communauté de communes du Pays Haut Val d’Alzette“), nicht überzeugt vom BHNS, mit dem Luxemburg die französische Grenzregion beglücken will. Zu Recht weist er darauf hin, dass die neue Busverbindung, sollte sie denn Wirklichkeit werden, erst 2035 in Betrieb gehen wird und dass bis dahin weiterhin zahlreiche Pendler sich den Weg durch Audun-le-Tiche bahnen müssen, um entweder mit der Bahn oder ab 2028 mit der Tram ab Foetz nach Luxemburg zu fahren. Auch erinnert Casoni daran, dass es auf französischer Seite kein Weiterkommen für den BHNS gibt, da ja die Schnellstraße hier genauso für eine Bahn- als auch für eine Bustrasse eine Mauer bildet. Der moderne Bus müsste sich also die engen Straßen des französischen Grenzortes mit dem Individualverkehr teilen und verlöre so alle seine Vorteile.
Alain Casoni gibt dazu zu bedenken, dass es seines Wissens noch zu keiner Absprache auf beiden Seiten der Grenze gekommen sei und es seitens der lothringischen Verantwortlichen noch zu keinen Gesprächen gekommen sei. Dieses Vorgehen erinnert doch an die vagen Versprechen seitens der französischen Verantwortlichen beim Abbau des Eisenbahnabschnittes Russange-Audun-le-Tiche. Hier hatte man dem Wahlvolk verklickert, eventuell die ehemalige Bahnlinie ab dem Ende des Viaduktes in Russange in Richtung Belval zu orientieren. Zu dumm nur, dass man auch hier vergaß, mit den Luxemburgern über diese Pläne zu reden, denn kein Transportminister, mit dem die „Aktioun Öffentlechen Transport“ eine Unterredung hatte, wusste etwas von der Idee, die sicher wert wäre, studiert zu werden. Vielleicht hätte man dann den Bahnhof von Belval-Universität anders geplant, denn heute würde eine solche Verlängerung im neu errichteten Parkhaus enden.
So plädiert auch Casoni für eine schienengebundene Lösung und weist auf andere überregionale Verbindungen im Raum Genf hin, wo die französische Nachbarstadt Annemasse von der Schweizer Seite nicht nur von einer neu geschaffenen Tramlinie, sondern auch vom Hauptbahnhof Cornavin mittels eines neu gebauten Eisenbahntunnels seit 2019 mit der klassischen Eisenbahn, dem Léman Express, erreicht werden kann. Übrigens hat man auch in Basel auf die Schiene gesetzt und die neue Verbindung ins französische Saint-Louis als Tram und nicht als BHNS gebaut.
Die Bahn erhalten
In einer Zeit, in der viel von Klimawandel geredet wird und den Bürgerinnen und Bürgern nahegelegt wird, doch öfter auf ihr Auto zu verzichten, muss es für sie eine annehmbare Alternative zum Individualverkehr geben. Und die ist sicher nicht ein größeres Auto, denn das ist der BHNS letztendlich nur. Es ist ein Straßenfahrzeug mit dem gleichen Komfort wie ein gewöhnlicher Bus, bei dem man sich schlussendlich fragt, wo denn der „haut niveau de service“ liegt, außer dass er auf eigener Betonfahrbahn fährt, in die er seine Spurrillen zieht. Interessenten, die sich von einem solchen Betriebsmodell ein Bild machen wollen, sei ein Besuch beim Mettis in Metz empfohlen.
Die Schiene, sei sie nun klassische Eisenbahn oder Tram, bietet dagegen ein Mehr an Reisekomfort, schnelle Verbindungen und eine größere Transportkapazität. Sie ist die Antwort auf die Transportfragen der Zukunft und genießt trotz mancher Imperfektionen doch den Zuspruch der meisten Reisenden.
Will man also mehr Menschen zum Umsteigen bewegen, muss ihnen ein Transportmittel angeboten werden, das sie anspricht und sie gerne benutzen. Es muss ihnen bewusst gemacht werden, dass denjenigen, die sie zum Verzicht auf ihr Auto bringen wollen, bereit sind, sich dies etwas kosten zu lassen. Vor Jahren brachte es der Verkehrsexperte Dr. Hary Hondius, Diplom-Ingenieur von der ETH Zürich und Mitarbeiter der Zeitschrift Der Stadtverkehr, in einem Artikel über das BHNS-System auf den Punkt: „Der Unterschied zwischen einem schienengebundenen Verkehrsmittel und einem BHNS-System liegt schlussendlich auch im Preis, den man für den Reisekomfort der Fahrgäste zahlen möchte.“
Und diejenigen, die zum Umsteigen bereit sind, sollen doch nicht das Gefühl bekommen, dass für sie das billigste gerade gut genug ist. Ein gutes Projekt, und das ist die Südtram allemal, scheitert oft an einem Detail. Und genauso ist es hier mit der Aufgabe des Schienenverkehrs und der Einführung eines BHNS zwischen Esch/Alzette und Audun-le-Tiche, denn man kann nicht gleichzeitig im Großen auf die Schiene setzen und sie im Kleinen abschaffen.
* Der Autor ist Sekretär der AÖT und ehemaliges Mitglied der exekutive des Landesverbandes
Mir wiren haut och fro' wann mer d'Attert-Line vun Ettelbreck ob Pei'teng net oofgrappt haetten !
Man kann bloß hoffen, dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen ist. Wir sollten uns nicht von der Corona-Krise ablenken lassen.
Exzellenter Artikel mit der ganzen Historie. In der Tat - der Mensch wiederholt immer und immer wieder seine Fehler....
Eine bessere Lösung als ein Bus wäre der Ersatz der Züge durch eine Strassenbahn, die über die bestehende Streckeninfrastruktur verkehrt , ein "Train-Tram" der eventuell sogar bis nach Villerupt ausgebaut werden könnte....