Nach Einschätzung von führenden Alzheimer-Experten könnten sie allerdings Weißen mehr nutzen als schwarzen Menschen, deren Krankheit womöglich durch andere Faktoren ausgelöst wird. Denn von Ablagerungen des Proteins Beta-Amyloid, die als Auslöser für Alzheimer gelten und die die neuen Mittel bekämpfen, sind sie offenbar weniger betroffen. Obwohl ältere schwarze Amerikaner doppelt so häufig an Demenz erkranken wie weiße, wurden sie häufiger aus den klinischen Studien mit den neuen Medikamenten ausgeschlossen, wie aus Interviews mit zehn Forschern und vier Managern des Biogen-Entwicklungspartners Eisai sowie von Lilly hervorgeht.
Das Biogen-Mittel Leqembi gehört wie auch Donanemab von Eli Lilly zu einer Klasse von Medikamenten, die das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamen sollen, indem sie Ablagerungen von Beta-Amyloid aus dem Gehirn entfernen. Leqembi erhielt in den USA Anfang Juli eine reguläre Zulassung – was das Mittel zum ersten krankheitsmodifizierenden Alzheimer-Medikament überhaupt machte, das diesen regulatorischen Meilenstein erreichte. Lilly erwartet nach vielversprechenden Studiendaten bis Ende des Jahres eine Entscheidung über die US-Zulassung von Donanemab.
Nach Angaben von zehn Forschern hatten schwarze Menschen, die an den Studien mit den beiden Arzneien teilnehmen wollten, oft nicht genügend Amyloid im Gehirn, um sich für die Teilnahme zu qualifizieren. Hispano-Amerikaner wurden ebenfalls häufiger wegen zu geringer Amyloidkonzentration ausgeschlossen, obwohl das Problem nicht so ausgeprägt war wie bei Schwarzen, erklärten fünf der Forscher. Bei Wissenschaftlern wirft das Fragen darüber auf, wer von den neuen Medikamenten profitiert. „Trifft dies überhaupt auf die Gruppen zu, die am meisten gefährdet sind?“, fragt Crystal Glover, die die Rekrutierung klinischer Studien am Rush Alzheimer’s Disease Research Center in Chicago leitet.
Denn schätzungsweise 20 Prozent der älteren Schwarzen sind an Alzheimer oder einer anderen Demenz erkrankt – doppelt so viele wie unter den Weißen und mehr als die 14 Prozent unter den Hispanics. Wissenschaftler gehen daher der Frage nach, ob die Demenz bei schwarzen Patienten andere Ursachen als Alzheimer hat oder ob sich die Krankheit in verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich manifestiert. Nach Angaben von Eisai erfüllten 49 Prozent der schwarzen Freiwilligen die Amyloid-Grenzwerte der Studie nicht – verglichen mit 22 Prozent bei Weißen und 55 Prozent bei Hispanics. Das Unternehmen arbeite noch daran, die Gründe dafür zu verstehen. Letztlich blieben damit nur 43 Afro-Amerikaner unter 947 Probanden im US-Teil der Studie übrig.
Schwarze und Hispanics in Studien unterrepräsentiert
Schwarze waren damit stark unterrepräsentiert, obwohl die Krankheit bei ihnen am häufigsten auftritt und sie fast 14 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen. „Liegt es daran, dass frühe Demenzsymptome bei Schwarzen eher durch andere Ursachen als durch Alzheimer ausgelöst werden?“, fragt Ivan Cheung, Leiter des US-Geschäfts von Eisai im Gespräch mit Reuters. „Wir prüfen das.“ Nach seiner Einschätzung sollten nur Menschen, die Amyloid-positiv sind, Leqembi bekommen – „unabhängig von Rasse und ethnischer Zugehörigkeit. Das Medikament wurde nicht entwickelt, um bestimmten ethnischen Gruppen zu helfen.“
Schwarze und Hispanics wurden auch bei der Studie mit Donanemab von Eli Lilly in etwas höherem Maße von der Teilnahme ausgeschlossen, sagt Mark Mintun, Group Vice President für neurowissenschaftliche Forschung und Entwicklung bei Lilly. In den USA waren demnach vier Prozent der Donanemab-Probanden Schwarze und sechs Prozent Hispanics. Für die Gründe gebe es viele Hypothesen, darunter die, dass ihre Demenz nicht durch Alzheimer verursacht werde oder dass sie sich in einer früheren Phase der Erkrankung befänden, diese aber durch andere Faktoren wie kleine Schlaganfälle beeinträchtigt werde, erklärte Lilly.
An klinischen Studien nehmen im Allgemeinen allerdings nur wenige unterschiedliche Bevölkerungsgruppen teil: Bei den US-Studien, die Angaben zu Rasse und ethnischer Zugehörigkeit machten, waren etwa 80 Prozent der Teilnehmer Weiße, 10 Prozent schwarze Menschen, sechs Prozent hispanisch und ein Prozent asiatisch, wie eine Untersuchung aus dem vergangenen Jahr zeigt. In 96 Demenzstudien aus den Jahren 2000 bis 2017 machten laut einer Auswertung andere Bevölkerungsgruppen als Weiße nur etwa elf Prozent der Probanden aus.
Unterschiedliche Ursachen für Alzheimer?
Forscher sind dazu übergegangen, Alzheimer-Patienten nicht mehr anhand äußerer Anzeichen wie Gedächtnisverlust zu identifizieren, sondern durch den Nachweis von Alzheimer-assoziierten Proteinen im Körper, einschließlich Amyloid, die bereits lange vor dem Ausbruch der Demenz auftreten können. In einer kleinen Studie aus dem Jahr 2015, in der die Gehirne von Schwarzen und Weißen, die an der Krankheit starben, verglichen wurden, wurden allerdings Unterschiede bei den Treibern von Alzheimer festgestellt.
Die Untersuchung unter Leitung der Wissenschaftlerin Lisa Barnes, die ebenfalls am Rush Center tätig ist, ergab, dass bei Weißen eher Alzheimer-assoziierte Proteine die Hauptursache für ihre Demenz sind. Bei Schwarzen ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es mehrere Ursachen für die Erkrankung gibt, wie etwa eine Gefäßerkrankung. Nachfolgende Studien mit Gehirnscans, Rückenmarksflüssigkeit und Bluttests, von denen viele die Arbeit von Barnes zitieren, stellten ebenfalls Unterschiede fest. In einer Fachzeitschrift forderte Barnes 2021, dass Wissenschaftler ein besseres Verständnis der Alzheimer-Krankheit bei Schwarzen benötigten, da es sonst keine wirksamen Behandlungen für diese gefährdete, aber unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppe gäbe. „Wir sehen, dass das mit diesem neuen Medikament ans Licht kommt“, sagte Barnes mit Blick auf Leqembi zu Reuters.
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