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Alain spannt den BogenEine kleine Weltreise in der Philharmonie

Alain spannt den Bogen / Eine kleine Weltreise in der Philharmonie
Semyon Bychkov und die Tschechische Philharmonie (C) Sébastien Grébille

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Gustav Mahlers 7. Symphonie wird gerne als sperrig und komplex angesehen; sie ermöglicht keinen so leichten Zugang wie die anderen Symphonien. Das muss aber nicht so sein, denn Semyon Bychkov zeigte in seiner ungemein fein ausgearbeiteten und sehr dreidimensional angelegten Interpretation dieses Werkes, wie leicht man doch in das vermeintlich schwierige Stück eindringen kann – hat man erst den richtigen Schlüssel dafür gefunden.

Bychkov setzte nicht auf einen Unisono-Klang, sondern ging äußerst differenziert zur Sache; jede Instrumentengruppe hatte ihre Rolle zu spielen, jedes Soli wurde sorgfältig herausgearbeitet und als individuelle Stimme in einem musikalischen Ganzen behandelt. Gleiches tat Bychkov mit den Themenkomplexen, wobei er besonderen Wert auf die tänzerischen Elemente legte. Trauermarsch, Walzer, Ländler, sie alle kamen zu ihrem Recht.

Der erste Satz wirkte dann auch gewollt sarkastisch, der Block mit den beiden Nachtmusikern und dem Scherzo schattenhaft und mysteriös, das Finale nicht grobschlächtig, sondern mit Augenzwinkern, vielen Effekten und einem unaufhaltsamen Jubel ausgestattet. So humoristisch und gutgelaunt, so verschwenderisch mit musikalischen Ideen wie hier hat man Mahler selten erlebt.

In der Tat geht es im Finale zu wie auf einem Jahrmarkt. Dank des dreidimensionalen und sehr räumlichen Klanges hat man tatsächlich den Eindruck, sich mitten im Jahrmarktsgetümmel zu befinden. Davor zeigte Bychkov die mysteriösen Seiten Mahlers, groteske Bilder, eingebettet in volkstümliche Melodienstränge, düstere Visonen, Anstzustände, aber auch romantische Stimmungen und friedvolle Harmonie. Im Laufe der 80 Minuten Dauer fügten sich dann all diese Puzzleteile wie von selbst zusammen.

Darüber hinaus lieferte diese Aufführung den eindeutigen Beweis dafür, dass Mahlers Musik nur mit einem erstklassigen Orchester hundertprozentig beizukommen ist. Und natürlich einem hochkarätigen Dirigenten. Unter Semyon Bychkov erlebte man eine atemberaubende Tschechische Philharmonie, absolut präzise, klangschön und dynamisch abgestuft.

Der warme Klang der Streicher, die atemberaubende Qualität der Holzbläser und das phänomenale Blech prädestinieren die Tschechische Philharmonie für dieses Repertoire und der wunderbar musikantische Charakter des Orchesters, bei dem immer die große Tradition durchscheint, machen es zu einem Mahler-Orchester par excellence, wie eben das Concertgebouw Orchestra oder die Wiener Philharmoniker. Auf jeden Fall erlebte das Publikum an diesem Abend eine der besten und intensivsten Mahler-Interpretationen, die wir bis dato hier in der Philharmonie gehört haben.

Tan Dun: Komponist und Dirigent

Am Freitag dirigierte der chinesische, seit 1986 in Amerika lebende Komponist Tan Dun das Orchestre philharmonique du Luxembourg. Vier Werke standen auf dem Programm des „Adventure+“-Konzertes: Igor Stravinskys „Feu d‘artifice“ (1908) und die „Feuervogel-Suite“ (Fassung von 1919), dazwischen das Concerto for Trombone „Three Muses in Video Game“ (2021) mit dem Solisten Jörgen van Rijen sowie die Passacaglia „Secret Wind and Birds for Orchestra“ (2015).

Da das Konzert bereits um 19.00 begann, verpasste ich aus Unachtsamkeit leider die erste Hälfte, die, wie man mir berichtete, hervorragend gewesen sein soll. Und das war sehr schade, denn was ich nach der Pause hörte, war wirklich hervorragend.

In Tan Duns „Passacaglia“ darf das Publikum sogar mitmachen, indem es sich über eine App Vogelstimmen herunterlädt, die es dann während des Konzerts und natürlich auf Einsatz des Dirigenten zum Singen bringt. Das ergibt einen sehr schönen räumlichen Effekt in diesem interessanten Stück, bei dem es Tan Dun sehr gut gelingt, die asiatische Philosophie mit amerikanischen Rhythmen quasi nahtlos zu verbinden. Der recht fetzige Schluss ist nach Bernstein-Manier komponiert und das ganze Stück ist ein wahrer Genuss für Musiker und Publikum.

Ich kenne Tan Duns Oper „Marco Polo“ und war 1998 bei der Uraufführung seines „Water-Concerto for Percussion and Orchestra“ in New York dabei und erlebte hier eine Musik, die mich in keinster Weise ansprach. Auch spätere Werke blieben mir fremd. Tan Dun hat aber in den letzten Jahren eine Entwicklung hin zu einer tonaleren und zugänglicheren Musik gemacht, die richtig Spaß bereitet.

Doch an diesem Abend überzeugte mich Tan Dun mehr noch als Dirigent. Seine Interpretation der „Feuervogel-Suite“ war sehr räumlich angelegt, jede Stimme wurde herausgehoben, jede Stimmung exakt vorbereitet und entwickelt. Es war oft ein Stravinsky der leisen Töne (Intro, Khorovode, Berceuse) und das Orchester begeisterte mit einem wunderschönen, regelrecht schwebenden Klang. Dort, wo es dann dramatischer zuging (Danse infernale, Finale), ließ Tan Dun sich und den Musikern genug Zeit, damit sich Stravinskys Musik richtig und dynamisch entwickeln konnte.

Die OPL-Musiker spielten, wie schon in der Woche davor unter Sir John Eliot Gardiner, makellos und sehr präzise. Alle Einsätze stimmten und alle Soli (Fagott, Horn) waren hochkarätig. Die Musiker schienen sich zudem sehr wohl zu fühlen und spielten unter einer zweiten Probe-Konzertmeisterin ein in allen Punkten überragendes Konzert mit einem exakten inneren Timing, zumindest was die von mir besuchte zweite Hälfte anging. Die „Adventure+“ -Hörer zeigten sich jedenfalls dankbarer und begeisterungsfähiger als das übliche OPL-Publikum und feierten das Orchester und Tan Dun mit Standing Ovations und jubelndem Applaus.

Musikalische Erinnerungen an Françoise Groben

Die viel zu früh verstorbene luxemburgische Cellistin Françoise Groben (1965-2011) war eine Vollblutmusikerin und eine große künstlerische Persönlichkeit. Dies hat sie in unzähligen Konzerten und Aufnahmen bewiesen, von denen hänssler Classic nun viele in einer 6 CD starken Box auf den Markt bringt. Wir erleben Françoise Groben u.a. sowohl mit den Cellokonzerten von Elgar, Schostakowitsch (Nr.1), Saint-Saëns (Nr. 1) Martinu (Nr. 1), Müllenbach, Danzi (Nr. 1), Boccherini (Nr. 29) und natürlich Haydn (Nr. 1 & 2), wie auch als Kammermusikerin in den Sonaten für Cello und Klavier von Grieg und Rachmaninoff, dem Trio Nr. 1 von Brahms und dem Streichquartett Nr. 3 von Schumann mit dem Zehetmair Quartett, dessen Mitglied sie von 1997 bis 2003 war.

Ihre Kammermusikpartner sind u.a. die Pianisten Alfredo Perl, Ira Maria Witoschynski und Peter Laul, in den Konzerten wird sie u.a. begleitet vom RTL-Sinfonieorchester respektive dem Orchestre philharmonique Luxembourg unter Leopold Hager und David Shallon, den Solistes européens Luxembourg unter Jack Martin Händler, dem Orchestre de chambre du Luxembourg unter Nicholas Brochot und den Heidelberger Sinfonikern unter Thomas Fey. In allen Werken betört Groben durch eine nie nachlassende Intensität auf der einen und eine wunderschöne, immer sehr musikantische Phrasierung auf der anderen Seite. Technische Brillanz und persönlicher Einsatz, Spiellust und künstlerische Bescheidenheit, all das macht das Spiel von Françoise Groben aus.

Im Bereich der Kammermusik ist sie eine hellhörige und reaktionsschnelle Partnerin, immer darauf bedacht, Musik im Team zu machen. Höhepunkte dieser in allen Hinsichten willkommenen hänssler-Box sind natürlich die Konzerte von Elgar, Schostakowitsch, Haydn und Müllenbach, und im Bereich Kammermusik sind das die Sonaten von Rachmaninoff und Grieg, das Trio von Brahms und natürlich das Quartett von Schumann. Darüberhinaus gibt es aber auch noch andere, hochinteressante Werke zu entdecken. Ist man am Schluss dieser Box angelangt, wird einem bewusst, dass Françoise Groben eine Cellistin von internationalem Format war und dass sie seit nunmehr elf Jahren in unserer Musiklandschaft fehlt.